Heinz Wittenbrink (Jg. 1956) unterrichtet Soziale Medien und Online-Journalismus in an der FH Joanneum in Graz. Er bloggt auch darüber.

Tom Schaffer hat mir vor einigen Wochen verraten, dass er einen Relaunch von zurpolitik.com plant. Ich habe ihm gerne einen Gastbeitag zugesagt, wie von Tom vorgeschlagen zum Thema Crowd Funding und Journalismus. Ob ich das nun im Sinne des neuen, professionalisierten Blogs tun kann, weiß ich nicht: Ich bin bei diesem Thema zu wenig beschlagen, um mehr zu schreiben als ein subjektives Blogpost, in dem ich notiere, was ich denke – wobei ich alle, die sich besser auskennen, bitte, es zu korrigieren und zu ergänzen.

Ich kann nicht beurteilen, wie tragfähig die vorhandenen Crowd Funding-Modelle wirtschaftlich sind; vielleicht reichen die Erfahrungen dazu überhaupt noch nicht aus. In einem Punkt sind sie den herkämmlichen, verlagsorientierten Finanzierungsformen für Journalismus aber sicher überlegen: Sie gestehen dem Kunden/Benutzer/Leser die Macht zu, die er durch das Web gewonnen hat; sie erweitern seine Handlungsmöglichkeiten statt sie, etwa durch Pay Walls und Digital Rights Management einschränken zu wollen.

Vor oder nach der Produktion zahlen?

Ich kenne zwei Modelle des crowd funded jornalism:

  • Es wird für bestimmte Reportagen oder Projekte Geld gesammelt, die realisiert werden, wenn eine vorher festgelegte Summe zusammengekommen ist.
  • Benutzer verteilen Geld an existierende Projekte, die dadurch ähnlich wie durch Anzeigen vorher nicht feststehende Erlöse erzielen.

Die bekannteste journalistische Plattform im Sinne des ersten Modells ist Spot.us. Es gibt schon länger ähnliche Plattformen für Musiker und andere Kreative, z.B. Kickstarter oder das gerade aus einem Konkurs gerettete SellaBand.

Dem zweiten Modell folgt die neue Plattform Kachingle. Das ebenfalls neue RocketHub scheint in die erste Kategorie zu gehören.

Spot.us ist eine lokale Plattform für San Francisco; sie wird gerade auf andere US-Städte übertragen. Benutzer oder Journalisten schlagen Themen vor. Ein Beitrag, meist eine Reportage, wird realisiert, wenn die Kosten durch Beiträge der Mitglieder der Plattform gedeckt sind. Die Themen stehen dabei im Wettbewerb miteinander, das Auswahlverfahren hat Ähnlichkeiten mit einer Auktion.

Bei Kachingle stellen User einen monatlichen Fixbetrag (meist $ 5,-) zur Verfügung. Wenn sie Websites besuchen, die Mitglied des Kachingle-Netzwerks sind, können sie auf diesen Seiten auf einen Button klicken und ihnen so einen Betrag zukommmen lassen. Die Kachingle-User können auf ihren Profilen z.B. bei Facebook publizieren, was und wem sie zahlen. (Ausführliche Erklärung auf der Kachingle-Site oder hier.)

Weder bei Spot.us noch bei Kachingle zahlen die Benutzer, um einen Inhalt zu bekommen, zu dem sie sonst keinen Zugang hätten. Bei Spot.us ist das Hauptmotiv der Benutzer Interesse an Berichten zu bestimmten Themen. Bei Kachingle dürfte das Interesse an der eigenen Reputation eine größere Rolle spielen.

Vor der Realitätsprüfung

Was beiden Modellen gemeinsam ist: Sie haben noch nicht bewiesen, dass sie wirtschaftlich tragfähig sind. Mit Spot.us sind schon wichtige Projekte finanziert worden – eines hat es bis in die New York Times geschafft – aber der Gründer selbst arbeitet nach wie vor unbezahlt, kann also seine eigenen Kosten noch nicht decken.

Kachingle hat erhebliches Aufsehen erregt, aber die Finanzierungsbeiträge liegen im zweistelligen Bereich. Steve Outing, der an der Spitze liegt, hat bisher $61.60 mit Kachingle verdient.

Es gibt also noch keine empirisch belastbaren Argumente, um die Frage zu entscheiden, ob crowd funded journalism sich zu mehr als einem Nischenphänomen entwickeln kann, ob also diese Modelle z.B größere, kontiniuierlich arbeitende Redaktionen finanzieren können.

Es spricht einiges dafür, dass das Spot.us-Konzept im kleinen Maßstab funktionieren kann. Sein Vorteil ist, das es überschaubar ist, und dass sich feste Beziehungen zwischen Finanzierern und Finanzierten ergeben können. David Sasaki hat in einem ausführlichen Post dargestellt, dass es für einen Kreativen, also auch einen Journalisten, heute genügt, seine 1000 true fans zu haben, um seine Arbeit zu finanzieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass so etwas bei einem Projekt wie Georg Holzers digirati funktioniert.

Das Kachingle-Konzept dagegen ist auf Masse angelegt. Es müssen sehr viele Nutzer zusammenkommen, und von diesem muss wiederum eine große Zahl für bestimmte Angebote voten, um mehr Geld zusammenzubekommen, als es z.B. mit Google Ads möglich ist. In einer ersten Phase dürfte die Zahl der Zahlungsbereiten ebenso schnell wachsen wie der Zahl der Websites, die diese Quelle anzapfen möchten.

Danach könnte es dann entsprechend den Power Laws dazu kommen, dass tatsächlich einige Angebote soviel Interessenten an sich ziehen, dass Kachingle für die wirtschaftlich interessant ist. Dazu werden sie vermutlich kontinuierlich und viel publizieren müssen. Kachingle dürfte sich also nicht so sehr als Modell für den Einzelpublisher eignen, also etwa etwa einen Blogger, der von seinem Blog leben möchte.

Gesucht: Vendor Relationship Management im Journalismus

Bedeutet das, dass crowd funded journalism in großem Maßstab eine Utopie bleiben muss, dass diese Konzepte nur in Ausnahmef#llen funktionieren – da, wo genug Idealisten zusammenkommen, die für etwas zahlen, das es auch gratis gibt (sofern es überhaupt produziert wurde)? Ich glaube, dass crowd funding vor allem in einer Hinsicht weniger utopisch ist als die Bezahlmodelle, die gerade im Moment wieder von den Großverlagen ventiliert werden: crowd funding trägt der Tasache Rechnung, dass im Web die User weit mehr Kontrolle haben als die Produzenten.

Kachingle setzt die Grundidee des Vendor Relationship Management in die Praxis um: Kunden oder User organisieren ihre Beziehungen zu den Anbietern. Dieses Konzept ist sicher tragfähiger als die Vorstellung, dass die Webnutzer auf Dauer Produktbündel (z.B. Weltnachrichten, nationale Nachrichten, Kultur, Wirtschaft, Lokales und Kleinanzeigen) aus einer Hand akzeptieren, die eher durch Vertriebsnotwendigkeiten zusammengehalten werden als aus sachlichen Gründen, und auf die sie im Einzelnen keinerlei Einfluss haben. Das Problem liegt ja nicht darin, dass die Leute nicht für Qualität zahlen würden, das Problem liegt darin, ein Modell zu finden, dass zur Online-Umgebung passt. Dazu muss es benutzer- oder kundenzentriert sein.

Foto: EikeR, CC2.0-BY

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