Der Zivildienst ist am Ende und doch wird er heute quasi „gerettet„. Doch wie sinnvoll ist die Rettung eines Zwangsdienstes, der mittlerweile nicht einfach nur ein „Ersatzdienst“ für die Zwangsrekrutierung im Bundesheer ist, sondern für das Gesundheits- und Pflegesystem als kritischer Faktor gilt? Und was könnte eine Alternative zum derzeitigen System sein?
Zwölf Monate Kartoffel schälen
Als ich 19 war endete mit meiner HAK-Matura meine Schulzeit und ich wurde Zwangsarbeiter. Zwölf Monate verbrachte ich Kartoffel-schälend und Alten-betreuend in einem Seniorenheim. „Entschädigt“ wurde ich monatlich mit 210 Euro und auch manchen wertvollen Erfahrungen fürs weitere Leben. Aber war das alles sinnvoll?
Erlaubt, aber auch sinnvoll?
Rechtlich gesehen ist alles glasklar. Der männerdiskriminierende Grundwehrdienst – als Ersatz desselben die Zivildienstpflicht – ist umfassend im nationalen Recht verankert. Obwohl der Grundwehrdienst als auch der auf der Wehrpflicht basierende Zivildienst als „Zwangsarbeit“ einzustufen sind, sind beide „Dienste“ durch eine Ausnahmeregelung im Artikel 4 der EMRK erlaubt. Aber wie zweckmäßig ist dieses Relikt, hervorgegangen aus der Entstehung der Nationalstaaten, noch?
Der Panzerkrieg im Marchfeld wurde abgeblasen. Die Zeiten großer Feldschlachten sind vorbei. Österreich ist von verbündeten Staaten umgeben. Die Anforderungen an ein Heer sind nicht in Stein gemeißelt und verändern sich mit ihren jeweiligen Gesellschaften. In Österreich sind dies – im Großen und Ganzen – zwei Bereiche: Auslands– und Katastropheneinsätze (das und das nicht).
Beide Bereich sind nicht auf die Wehrpflicht angewiesen, sondern können durch ein gut ausgebildetes und auch ausreichend finanziertes Berufsheer erfüllt werden. Nicht die Mannstärke, sondern Know-how und Technik sind gefragt. Die Wehrpflicht ist obsolet und damit würde auch die Basis für den Zivildienst entfallen. Die Einführung eines Berufsheeres wäre vernünftig.
Abhängig nach Zivildienern
Wie abhängig Hilfsorganisationen von Zivildienern mittlerweile sind, zeigte die Aufregung um nicht ausreichende Budgetmittel für die Zuweisung von Zivildienern. Die Aufregung dürfte sich nach der geplanten Aufstockung des Budgets legen, doch wurde einmal mehr offenkundig, auf welch wackligen Beinen Dienstleistungen, etwa im Pflege- und Rettungswesen, stehen. Wenn selbst die billigen Zivildiener schon zu teuer sind, dann müssen alle Alarmglocken schrillen.
In erster Linie ist dies ein Zeichen dafür, dass die betroffenen Sektoren generell unterfinanziert sind. Wo Zwangsarbeiter der Engpass sind, liegt etwas offenkundig im Argen. Zivildiener stopfen die Löcher, die sich durch fehlendes qualifiziertes Personal auftun. Vor dem Hintergrund, dass Zivildiener kaum die erforderlichen Qualifikationen für ihre realen Tätigkeiten mitbringen (etwa im Pflegebereich) – und diese auch während ihres Zivildienstes nicht qualifiziert vermittelt bekommen – stellt sich die Frage, wie nachhaltig ein solches System ist und was dies insgesamt für ein System bedeutet.
Zivildienst kann tödlich sein
Kurzfristig können Personalengpässe durch Zivildiener gestopft werden. Wodurch in den betroffenen Sektoren ein Zwei-Klassensystem der Beschäftigten entsteht, welches sich laut meiner Ansicht auch negativ auf professionell tätige ArbeitnehmerInnen auswirkt. Auch organisationelle Fehlentwicklungen – etwa mangelnde Planung, ineffiziente Strukturen etc. – können kurzfristig durch den Einsatz von billigen Zivildienern überdeckt werden. Auch wenn die Qualität der Dienstleistung darunter leidet.
Bis zu einem gewissen Grad funktioniert diese Vorgangsweise. Wenn sie nicht funktioniert, dann hat dies jedoch gravierende Auswirkungen auf die Betroffenen – etwa durch grobe Mängel in der Pflege. Inklusive hoher Folgekosten und menschlichem Leid. Um es drastisch auszudrücken: Zivildienst kann tödlich sein.
Wie sieht er also aus, der Status quo? Wir beschäftigen unqualifizierte junge Männer in Bereichen die qualifzierte Kenntnisse erfordern. Junge Männer, die aufgrund eines Zwanges ihre Arbeit verrichten und während ihres Zivildienstes auch auf Einkommen, Bildungsfortschritte und Lebensqualität verzichten müssen. Trotz vieler engagierter Zivildiener kann nicht von einer motivierten Beschäftigungsgruppe ausgegangen werden. Wer für Peanuts – und oftmals ohne jegliche Eignung – in einem Aufgabengebiet arbeitet, kann trotz genereller Leistungsbereitschaft keine Profis ersetzen.
Soziale Betätigung macht dennoch Sinn
Trotzdem macht es Sinn, wenn junge Menschen (egal ob Männer oder Frauen) in sozialen Bereichen tätig sind und Arbeiten leisten, die ihnen hinsichtlich der Qualifizierung auch zumutbar sind. Die Arbeit in sozialen Bereichen kann den Horizont erweitern, man kann hilfreiche Qualifikationen für das persönliche und berufliche Leben erlangen und in nicht wenigen Fällen werden auch Talente und Interessen geweckt, die zuvor nicht offensichtlich waren. Die Betätigung von jungen Menschen in sozialen Bereichen – wohlgemerkt auf freiwilliger Basis – kann sowohl für Einzelne als auch die Gesellschaft von Vorteil sein.
Ein solches „Freiwilliges soziales Jahr“ gibt es bereits, doch die Entlohnung (und damit auch die Existenzsicherung) ist ein schlechter Witz. Freiwilligkeit im sozialen Bereich – das Ehrenamt nicht berücksichtigend – ist nach derzeitigen Regelungen nur denjenigen möglich, die finanziell nicht von Arbeit abhängig sind. Zudem zeigt die derzeitige Entlohnung des „Freiwilligen sozialen Jahres“ auch den Stellenwert auf, der diesen Tätigkeiten von der Politik zugeschrieben wird.
Soziales Jahr – richtig gemacht
Damit ein „Freiwilliges soziales Jahr“ funktioniert, genügt jedoch nicht nur die Freiwilligkeit und eine menschengerechte Entlohnung. Auch zusätzliche Anreize, wie etwa Anrechenbarkeiten bei späteren Qualifizierungen oder das Prestige eines „Freiwilligen sozialen Jahres“ muss gefördert werden. Im besten Fall sollte ein „Freiwilliges soziales Jahr“ auch dazu führen, dass potenzielle zukünftige ArbeitergeberInnen den Wert einer solchen Tätigkeit anerkennen und ausreichend bei Bewerbungen berücksichtigen.
Das „Freiwillige soziale Jahr“ sollte nicht den Stellenwert dieser unsäglichen unbezahlten Praktika erhalten, sondern als wirkungsvolles Werkzeug der Persönlichkeitsbildung anerkannt werden. Zudem ist ökonomischer Erfolg auch immer von der Solidarität innerhalb einer Gesellschaft abhängig. Aber auch zeitlich befristete Steuervorteile sind denkbar.
Zivildienst am Ende
Das ob seiner Ineffizienz teure österreichische Bundesheer wird politisch zunehmend schwieriger zu halten sein. Und mit dem derzeitigen Bundesheer auch der Zivildienst. Wenn man so will: der Zivildienst ist am Ende. Es ist nun Aufgabe der Politik, die Weichen für die Zeit „danach“ zu stellen. Der Sektor der sozialen Dienstleistungen wird eines Tages (in vielleicht gar nicht mehr allzu langer Zeit) auf Zivildiener verzichten müssen. Die zu erfüllenden Aufgaben werden nicht weniger werden.
Auch wenn klar ist, dass soziale Dienstleistungen in ihrer Gesamtheit nicht billiger werden, muss die Politik dafür Sorge tragen, dass sie ausreichend finanziert werden. Dies kann nicht nach betriebswirtschaftlichen Maßstäben erfolgen, denn auch soziale Dienstleistungen sind Teil einer Infrastruktur, welche zukunftsfähiges Wirtschaften erst ermöglichen. Ein System, welches auf Zwangsarbeit aufgebaut ist, ist in Zeiten einer immer komplexeren Arbeitsteilung langfristig nicht mehr zu halten. Das ist nicht nur eine moralische Frage, sondern auch eine Frage der Vernunft.
Teure Folgekosten können vermieden werden
Soziale Dienstleistungen werden teurer werden (dies würden sie aufgrund der demographischen Entwicklung sowieso). Die Gesellschaft wird mehr querfinanzieren müssen und dafür anderen Bereiche, die für das Funktionieren derselben weniger wichtig sind, Zuschüsse streichen. Teilnehmer eines innovativen „Sozialen Jahres“ können und sollen die derzeitigen Zivildiener in der derzeitigen Form nicht ersetzen. Mehr Professionalisierung im Sektor wird jedoch nicht nur teurer sein, sondern auch die Qualität der Dienstleistungen erhöhen. Teure Folgekosten durch mangelhafte Dienstleistungen können damit verringert werden. Mehr Professionalisierung sollte auch mehr Effizienz und Transparenz bedeuten.
… die Kartoffelberge
Um diesen Beitrag jedoch versöhnlich ausklingen zu lassen, sei noch einmal auf die anfänglichen Kartoffeln verwiesen. Denn neben vielen positiven (und auch einigen negativen) Erlebnissen meiner Zivildienstzeit – durch die ich einiges lernen konnte – habe ich mittlerweile auch mit diesem Gemüse Frieden geschlossen. Selbst nach Jahren schäle ich Kartoffeln noch immer so rasch wie nahezu kein Zweiter. Seit sieben Jahren unfallfrei.
Foto: ernstl, CC2.0-BY-SA