Leichte Aufregung machte sich in mir breit. Nervös befühlte ich meine widerspenstige Frisur und trat aus der Strassenbahn 42. Zwei Blicke auf mein Smartphone. Ich bog in die Vinzenzgasse ab und begab mich von 18. in den 17. Wiener Gemeindebezirk. Ein kleiner Markt, ein Wettcafe, ein paar Imbissbuden, zwei Beisl. Viele verlassene Geschäftslokale. Hier, im Norden von Hernals residiert die Firma A. in einem Altbau. Ich sollte Herrn H. zu einem Bewerbungsgespräch treffen.

In Zeiten der Wirtschaftskrise als junger, nicht fertig studierter Onlineredakteur und Agentureinsteiger einen Job zu finden, ist keine leichte Aufgabe. Und so bleibt nichts anderes übrig, als nicht nur nach Stellen zu suchen, mit denen man potentiell glücklich werden würde. Damit leben zu können musste vorerst reichen. In Absprache mit einem Redakteur Interviewtermine mit „Führungskräfte[n], Manager[n], Sportler[n], Politiker[n], Künstler[n] und Unternehmer[n]“ am Telefon ausmachen. Eigentlich nicht direkt meine Sparte, aber einen Versuch wert. Jedoch hatte Herr H. von „Telefonmarketing“ gesprochen, was bei mir eine gewisse Skepsis hervorgerufen hatte.

Udo Jürgens

Ich betrat das Gebäude und erklomm die Stiege in den 2. Stock. Mein möglicher Arbeitgeber wartete bereits in der Tür und bat mich freundlich herein. Sein dunkelbrauner, traditionell gehaltener Anzug mit unpassender Krawatte fiel mir auf. Sein Outfit stand im Mißverhältnis zu meinem. Ich hielt es casual, denn ich bin kein Freund von Anzügen. Beißender Rauchgeruch schlug mir aus der zum Kleinbüro umgebauten Wohnung entgegen. Den Teppich im Gang zierte der Name des einzigen Produkts der Firma.

Da saß ich nun auf einem Drehstuhl, der ältere Herr mir gegenüber auf der anderen Seite der Tischecke. Er gab mir seine Visitenkarte. Meinen CV hatte er sich ausgedruckt, eine unleserliche Notiz war darauf angebracht. Im Nebenraum saß jemand an einem PC und tippte eifrig.

„Karriereklub“* nennt sich das Projekt der Firma übersetzt. Präsentiert werden darauf Interviews mit Personen aus den bereits erwähnten Sparten. In der riesigen Datenbank finden sich größtenteils völlig unbekannte Namen von Persönlichkeiten deren Bedeutung über den Status eines Branchenteilnehmers kaum hinausreichen. Und Udo Jürgens.

Sie alle zahlen der Firma A. Geld, um von einem Redakteur interviewed zu werden. Das verschriftlichte Gespräch landet schließlich in dieser frei abrufbaren Datenbank. Mit einer entsprechenden Mehrinvestition auch mit Firmenlogo und Video.

Die Datenfrage

Herr H. erklärte mir, dass dahinter ein sozialpsychologisches Konzept stehe. Es ginge darum, Wissen aus den Branchen zusammenzutragen, einen Querschnitt abzubilden, die Personen und Firmen zu binden. Die Präsenz im „Karriereklub“ wäre ein wichtiger Bonus für Marketing und PR. Auf der Website wird die Sammlung an Interviews als Langzeitstudie bezeichnet.

Die Gespräche, die die Redakteure der Firma A. führen sind eher kurz gehalten, die Fragen gehen nicht über Belanglosigkeiten wie „Was bedeutet für Sie persönlich Erfolg?“ oder „Welchen Rat möchten Sie an die nächste Generation weitergeben?“ hinaus. Optisch wie technisch ist die Website altbacken, die Formatierung der Texte eine Katastrophe für die Lesbarkeit.

Telefonmarketing. Woher kommen die Adressen und Telefonnummern? Zwei mal stellte ich Herrn H. diese Frage. Zwei mal beantwortete er sie, ohne Antwort zu geben. Stattdessen spulte er den Werbetext ab, erklärte mir, dass man Führungskräfte aus Industrie, Handel und anderen Bereichen interviewen würde. Dass man für einen Interviewtermin anderthalb Stunden im Kalender veranschlagen müsse. Dass manche Redakteure Vollzeit und andere Teilzeit arbeiten würden.

Telefonieren lernen

Ich fragte ein drittes Mal. Herr H. wirkte nun etwas nervös und gereizt. Er kramte in seiner Tasche und holte eine Packung Zigaretten hervor. Ohne einem weiteren Wort zündete er den Glimtstengel an. Keine Frage, ob es mich stören würde. Die Luft im Büro konnte ohnehin kaum schlechter werden. Kein Akt der Höflichkeit.

So begann ich zu plaudern. Von Internet-Gewinnspielbetreibern, die Daten von Teilnehmern an dubiose Dataminer weiterverkauften erzählte ich. Von den hunderten Anrufen, die ich deswegen schon mehr oder weniger freundlich abwimmeln musste. Ich pochte auf Seriosität.

Die Quelle seiner Daten nannte mir Herr H. nach wie vor nicht. Lieber redete er davon, dass es eine Einschulung im Umfang von zwei Halbtagen geben würde, um Kommunikation nicht zu erlernen, sondern zu begreifen. Und nein, die Angerufenen wüssten vorher nichts von ihrem Glück. Den Interviewtermin trotzdem zu bekommen, mit dem Handwerkszeug, dass man mir mitgeben würde, das wäre meine Aufgabe. Man nennt das auch einen „Cold Call“.

Meine Frage, wegen den Gewinnspielen, verstünde er nicht. Es ginge ja um Führungskräfte. Immerhin, das machte die Kollekte von Kontaktdaten über Autoverlosungen zumindest unwahrscheinlich.

Zahlenspiele

Herr H. ließ seine Brille nun ans Ende seiner Nase rutschen, versuchte mich tiefgründig anzusehen, wich meinem Blick dann wieder aus. Schließlich begann er, mich mit Zahlen zu bewerfen.

Seit 1997 würde man diesem Geschäftsmodell nachgehen und sei in diesem Feld immer noch einzigartig. Über 27.000 Interviews wären schon in der Datenbank. Und 96.000 Zugriffe hätte man letztes Jahr. 25% davon kämen aus dem Umfeld von Fachhochschulen, wollte er via Google Analytics herausgefunden haben. Und pro ausgemachtem Termin würde ich 10 Euro verdienen, seine „Erfahrungswerte“ zeigten, dass man mit Übung bei 20 Wochenstunden im Monat deutlich über 1.000 Euro verdienen könne – jeweils ausbezahlt am ersten Dienstag des Folgemonats. Man hätte noch über 20 andere Bewerber.

Er blickte mich kurz an, Dann kritzelte er einen kurzen Satz auf meinen Lebenslauf.

96.000 ist eine große Zahl. Wenn man nicht länger darüber nachdenkt, wirkt sie beeindruckend. Ist man mit den Größenordnungen des Online-Werbemarkts nicht vertraut, entfährt einem vielleicht ein „Wow!. 96.000 Zugriffe im Jahr bedeutet rund 260 Zugriffe am Tag. Das FAQ des „Karriereklubs“ gibt 500 tägliche Zugriffe an. Ob es sich dabei um Hits (Seitenaufrufen), Visitors (Besucher) oder Uniques (eindeutige Besucher, die „harte Währung“ des Onlinemarketings) handelt, ist nicht ersichtlich.

Für jedes hinterlegte Interview liegt die rein  rechnerische Wahrscheinlichkeit, wenigstens einmal am Tag aufgerufen zu werden damit bei ungefähr 1:100 oder 1:50.  Am Ende eine unwichtige Differenz, weil eine für professionelle Imagepflege und Vermarktung fern jeder Bedeutung liegende Größenordnung.

Studie oder Kaltakquise?

Es wirft die Frage auf, in welchem Verhältnis die Leistung des Unternehmens zu den Versprechungen steht. Nutzen „Redakteure, Head-Hunter, Unternehmer und Netzwerker“ diese Seite wirklich? Geben die Interviews überhaupt im Ansatz Auskunft über „sozialpsychologische Verhaltensweisen und Charaktereigenschaften, die manche aus Ihrem geeigneten sozialen Umfeld annehmen“?

Oder zieht man gewieft internet-unerfahrenen Personen Geld aus der Tasche, in dem man ihnen das Gefühl gibt, wichtig zu sein und über ihren Eintrag in der „Karriereklub“-Datenbank wirklich etwas erreichen zu können? Ebenso muss man sich fragen, ob diese Betriebspraxis überhaupt legal ist, denn Cold Calls sind im Telekommunikationsgesetz verboten. Geht das Projekt als Langzeitstudie durch? Das Gesetz sieht eine Ausnahme für Marktforschungsunternehmen vor.

Ich trat wieder in die Eiseskälte des Tages hinaus. Der Wind pfiff durch Hernals und ließ mich kurz erschaudern. Am nächsten Montag beginnt die Schulung. Am Donnerstag will sich Herr H. melden und mir mitteilen, ob ich teilnehmen darf.

Es wäre netter von mir gewesen, gleich abzulehnen. Vermutlich hätte auch er mir gleich absagen können. Am Ende des Tages wird ein weiteres Telefonat für ihn keine Rolle spielen.

* Begriff verfremdet

Foto: plenty (bearbeitet) / CC-BY-SA 2.0

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