Michel Reimon hat ein Buch geschrieben. Und weil so gut wie alles, was Michel Reimon schreibt, irgendwie lesenswert ist, habe ich es aufgeschlagen. Also auf meinen Tablet geöffnet habe ich es. Denn #incommunicado findet ihr in keinem Buchladen, sondern im Web zum kostenlosen Download. Ich habe es nur vier Mal geladen. Heute morgen um 5 hatte ich die fast 600 groß bedruckten Seiten der PDF verschlungen. So gut finde ich es. Es ist das erste Buch, das ich auf einem Bildschirm ausgelesen habe und das erste seit langem, das ich ohne Unterbrechung durchgelesen habe (für manche Bücher brauche ich Jahre, weil ich sie zwischendurch ewig nicht anfasse).

#incommunicado sieht aus wie ein Roman – es ist die Geschichte der politischen Radikalisierung des unpolitischen Protagonisten. Der Text folgt einem lustlosen Musikjournalisten, der im Italien-Urlaub auf eine lustvolle, unbekannte Band stößt, bei der er kurz darauf anheuert: Die „Soundinistas“ (offensichtlich Namensvorlage: Nicaraguas revolutionär-sozialistisch-demokratischen „Sandinisten„). Die kleine Band kippt aus der Bedeutungslosigkeit in eine irre Geschichte, die sie durch halb Europa führt. Und dieser Rock’n’Road-Trip dreht sich um das Copyright.

Eine geschickt im Roman platzierte Figur erzählt dem Protagonisten das meiste, was es darüber zu wissen gibt. Seine Entstehung, seine Machtfaktoren, die aufklärerische Bedeutung, den Missbrauch und die Perversionen. Diese Figur macht #incommunicado in Wahrheit zu einem als Roman verkleideten Sachbuch. Die Anekdoten lassen sich leichter schultern, führen ein. Die Fiktion trägt die Fakten für uns. Anfangs selten. aber mit fortschreitendem Text häufiger, verzichtet Michel Reimon dann auch auf die Einbettung. Er wirft seinen LeserInnen Infobits direkt vor die Füße. Neben einem Romangespräch über Nirvana stehen dann einige Sätze von Immanuel Kant. Neben einem Gedichtstext ein Gespräch über das „unbeabsichtigte Plagiat„, das ein Welthit wurde. #incommunicado ist auch ein Remix. Weil unsere Kultur ein Remix ist und in Wahrheit schon immer war.

Abrechnung

Michel Reimon hat jahrelang recherchiert und nachgedacht und sich mit diesem Buch abgearbeitet. Am Copyrightbusiness das nicht mehr den UrheberInnen und der Menschheit, sondern nur noch den Konzernen und ihrem konzentrierten Kapital dient. Jenen, die über ihre Marktmacht, Lobbyarbeit und AnwältInnen entscheiden, wer noch im großen Stil mitmachen kann und wer „incommunicado“ ist – isoliert. Und am Überwachungsstaat der dasselbe tut, indem er Bürgerrechte aushöhlt statt auszuweiten – um kaputte Geschäftsmodelle zu schützen, die versenkt gehören. Das Szenario ist realistisch, auch wenn die ablaufenden Prozesse fiktiv auf ihre logische, nicht aufrechterhaltbare Spitze zugetrieben werden. Dass man Richtung Höhepunkt nicht ganz genau weiß, wo der Autor übertreibt, ob er das überhaupt tut und wo er nur die Fakten liefert, das ist eine Aussage für sich.

Im Vorbeigehen klärt sich die Bedeutung von Entwicklungen wie dem Buchdruck, der Universität, der Schallplatte, dem Radio, dem Internet und von Mickey Mouse. Und Michel Reimon weist auf die großen und kleinen Revolutionen hin, die mit ihnen einher gingen und gehen, weil die alten Zustände mit der neuen Situation nicht mehr klar kamen. Eine dieser Revolutionen erzählt er selbst. Und während die Aufhängergeschichte erfunden ist, ist es der Kampf nicht, den sie beschreibt. Nicht umsonst ziert die sehr real gewordene Guy Fawkes-Maske von Anonymous das Cover. #incommunicado ist hinter all dem Roman in Zeiten von ACTA & Co. eine messerscharfe Analyse – schwere Fakten in leicht verdaubarem Gewand.

#incommunicado könnte ein gefährliches Buch sein.

Ich finde, ihr solltet es lesen.

Fotocredits: Juan Osborne CC3.0, BY-NC-ND

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