Vorab: Ich möchte Irmgard Griss nicht in ein Nazi-Eck stellen. Ich habe in keiner Weise den Eindruck, dass sie Nazi-Sympathisantin ist. Aber mich stört es, wenn sie wiederholt in Interviews und Talkrunden keine klaren Worte zur Rolle Österreichs im Nationalsozialismus findet, so wie ich sie mir vorstelle.

Lange habe ich das eher so abgetan, dass da ihre politische Unbeholfenheit durchkommt. Aber nach Monaten des Wahlkampfs zieht diese Erklärung einfach nicht mehr.

Griss hat in diesem Wahlkampf in diesem Zusammenhang mehrere problematische Aussagen getätigt. Sie hat Kurt Waldheim und ihre Stimme für ihn verteidigt, weil man seine Rolle in der Wehrmacht nicht so genau kenne. Sie hat für die Novemberpogrome 1938 das Wort „Reichskristallnacht“ verwendet (und die Verwendung hinterher verteidigt). Sie hat sich geweigert, Österreich als Täternation des Nationalsozialismus zu bezeichnen, und gemeint, dass die Nazis nicht immer „ihr böses Gesicht“ gezeigt, sondern „die Menschen verführt“ hätten. Sie meint, man solle Menschen heute nicht mehr an ihrer Einstellung zu damals messen und in diesem Wahlkampf bitteschön nicht so viel darüber reden.

Und da Griss zu intelligent ist, um den Sachverhalt nicht zu verstehen. Und da sie als Juristin im Umgang mit Nuancen der Sprache zu gebildet sein sollte, um in all diesen Monaten keine eindeutigeren, befriedigenderen Aussagen zu formulieren. Und da (ums nochmal zu sagen) auch die „Sie ist ein Nazi!!1!“-Erklärung nicht trifft, finde ich nur noch eine andere Erklärung für dieses Verhalten: Sie macht diese klaren Aussagen aus taktischen Gründen nicht. Weil sie vor allem in einer möglichen Stichwahl mit Alexander Van der Bellen halt ganz gerne auch die Stimmen der Dolfuß-Bilderaufhänger und Ewiggestrigen hätte. (Gegen Norbert Hofer dürfte das eher ein schwieriges Klientel sein)

Sorry, aber das stört doch! Das geht nicht. Nicht bei diesem Thema. Nicht in diesen Zeiten. Nicht bei diesem Amt.

Ich weiß, dass diejenigen unter meinen FreundInnen, die sie wählen wollen, bei diesem Thema normalerweise sensibel sind.

Ich weiß, dass sie wissen, dass man sich von dieser ewigen Schande auf dem Konto dieser Nation – ja auch 2016 noch – uneingeschränkt distanzieren sollte. Mit der Gnade der späten Geburt nicht aus einem Gefühl persönlicher Schuld, sondern weil es angesichts der Widerlichkeit der begangenen Verbrechen einfach nicht schwer fallen sollte. Es muss auch nicht dauernd und jeden Tag sein, aber schon wenn man gefragt wird, weil man PräsidentIn werden will. Zwischen Kurt Waldheim und unserem nächsten Präsidenten lagen mit Thomas Klestil und Heinz Fischer gerade einmal zwei Amtsträger. Da sollten Kandidaten es noch nicht leid sein, an dieser Distanzierung auch gemessen zu werden.

Ich weiß, dass diese FreundInnen normalerweise darauf bestehen, dass diese Epoche der österreichischen Geschichte natürlich insbesondere dann zum Thema wird, wenn es manchen doch schwer fällt, ohne Vorbehalte zu sagen: „Österreich war eine Täternation“ (wie Griss und Khol, der auch kein Nazi ist). Weil alles andere schwer mit den geschichtlichen Fakten und schon gar nicht den moralischen Gepflogenheiten in Einklang zu bringen ist. Und weil es aufrechten Österreichern außerdem nicht im Geringsten weh tun sollte, das zu sagen, weil sie sich heute nicht in der Tradition dieses Regimes sehen, sondern als sein Feind, der 1945 gesiegt hat.

Ich weiß, dass diese FreundInnen kapieren, dass man Waldheim heute nicht mehr mit dem Argument der Ignoranz verteidigen kann. Dass man ihn vielleicht einst zum Bundespräsidenten gewählt haben kann (woran man sich vielleicht schon erinnern sollte), aber dann heute schlicht sagen könnte: „Das war ein Fehler, ich wurde getäuscht und würde das heute nicht mehr tun“ und nicht „Man weiß ja nicht, was er wusste.“ Man weiß es hinreichend. Er hat selbst keine nachweisbaren Kriegsverbrechen begangen, aber über solche Verbrechen außerordentlich gut Bescheid gewusst; er konnte sie realistischerweise nicht verhindern und hat das auch nicht versucht; und er hat im Gegenteil dazu manche von ihnen durch sein Zutun erleichtert. Und man weiß, dass er die Öffentlichkeit über seine Rolle belogen hat.

Ich weiß, dass sie vielleicht schonmal gehört haben, dass man seit zumindest 30-40 Jahren nicht mehr „Reichskristallnacht“ sagen sollte, weil argumentiert werden kann, dass dieses Wort die Novemberpogrome mit ein paar zerschlagenen Fenstern verharmlost, statt ihrer grausamen Gewalttaten und Mob-Morde gerecht zu werden (jene Pogrome die in Österreich übrigens schon Monate davor und auch durch die Zivilgesellschaft besonders aggressiv verübt wurden und dem „die Menschen wurden verführt“-Mythos schlicht nicht gut tun). Dass man dieses Wort vielleicht seiner Oma nicht übel nimmt, weil die das Zeit ihres Lebens so sagte, aber dass das für KandidatInnen des höchsten Amts im Staat zumindest ein heftiger (und nicht auch noch verteidigenswerter) Fauxpas ist.

Es ist ja wirklich traurig, dass man über diese Dinge noch reden muss. Denn wir haben einen Wahlkampf für das höchste Amt im Staat im Jahr 2016 und die Sache sollte klar und wir sollten uns alle einig sein. Aber zumindest zwei KandidatInnen schaffen es nicht, Östereichs Rolle im Nationalsozialismus ohne irgendwelche Vorbehalte zu verurteilen. Irgendwo muss immer noch ein „aber“ rein. Irgendwo noch ein bisserl Verständnis. Ein Dritter muss überhaupt noch betonen, dass er Österreichs Existenzrecht im Gegensatz zu seiner Burschenschaft eh anerkennt und betrachtet den 8. Mai (den Tag der Befreiung vor dem NS-Regime) als Tag für Traurigkeit. Und irgendwie ist das Thema eben damit einfach doch noch nicht so richtig gegessen und klar und ignorierbar.

Und deshalb würde mich interessieren, wie es diesen FreundInnen eigentlich so geht, wenn sie jemanden wählen wollen, der natürlich um Himmels Willen kein Nazi ist, aber all diese zweifelhaften und verwerflichen Dinge irgendwie taktisch in Kauf nimmt?

Redet man sich das schön und sagt „Aber bei allen anderen Fragen finde ich sie so viel besser“?
Hört man da immer kurz weg?
Oder zuckt man bei diesen Aussagen wenigstens so ein bisserl?

So, wie man es sonst halt auch immer tun würde.

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