Man möchte sich die Haare ausreißen, wenn man diese Experten hört, die in den vergangenen Tagen Norbert Hofer zum praktisch sicheren Wahlsieger ernennen. Weil – und das ist ihre eine mathematische Meisterleistung – er hatte im ersten Wahlgang ja 35% und Alexander Van der Bellen nur 21%. Also hat Hofer 14 Prozentpunkte Vorsprung und das sei ja nun wirklich fast unmöglich „aufzuholen“.

Stimmt schon. Wenn ein Hundertmeterläufer 14 Meter hinter einem Konkurrenten starten muss, dann ist das kaum noch aufholbar. Aber wie oft muss man das eigentlich noch anmerken?

Eine Wahl ist kein Wettrennen.

Es ist eine einzelne, politische Entscheidung – eine Frage von Mehrheiten, die sich nicht binnen weniger Wochen verändern. Und Österreich ist nach allen bisher verfügbaren empirischen Werten kein Land, das strukturell und in absoluten Mehrheiten Rechtsaußen wählt.

Verdeutlichen wir die Potentiale ganz einfach.

2010 hat Heinz Fischer hat mit 2,5 Mio. Stimmen gewonnen. Ein absolut normales Ergebnis für erfolgreiche Kandidaten der Mitte. Damals gab es mit Fischer gegen Barbara Rosenkranz eine nicht idente, aber im Groben ähnliche Ausgangsposition. Auch da stand ein sehr moderater Mitte-Links Kandidat gegen einen Rechtsaußen zur Wahl. Damals war die Erwartung aber so eindeutig, dass nur die Hälfte der Menschen zur Wahl ging. Demokraten mussten sich keine echten Sorgen machen, viele Mitte-Rechts-Wähler, die zur Not für Fischer gestimmt hätten, blieben sogar noch daheim. Das „Gegen-Rechtsaußen-Potential“ könnte man also als größer annehmen, als es 2010 mobilisiert werden konnte.

Im ersten Wahlgang 2016 hatte Norbert Hofer bei deutlich höherer Wahlbeteiligung 1,5 Mio. Stimmen. Das ist wohlgemerkt nicht das Ende der Fahnenstange für einen FPÖ-Kandidaten. Bei einzelnen Landtagswahlen hatte die FPÖ in Wien schon ca. 60.000 Stimmen mehr, in Vorarlberg 10.000 und in Kärnten 65.000, als Hofer bei dieser Wahl. Aber in den anderen sechs Bundesländern hat Hofer zum Teil deutliche blaue Rekorde aufgestellt. Insgesamt ist sein Ergebnis zumindest vorerst mit großem Abstand das absolute Rekordergebnis der FPÖ quer über alle Zeiten bei einer Bundeswahl.

Norbert Hofer (Bild: Franz Johann Morgenbesser CC BY-SA 2.0)
Norbert Hofer (Bild: Franz Johann Morgenbesser, CC BY-SA 2.0)

Es ist nicht unmöglich, dass Hofer noch einmal zulegt (davon gehe ich aus) und die Stichwahl gewinnt. Er ist immerhin ein geschickter Kandidat und es gibt eine gewisse politische Stimmung im Land, die seine Kampagne trotz seiner FPÖ-Mitgliedschaft begünstigt. Aber zulegen muss er für einen Sieg definitiv und es ist schwer zu sagen, wie wahrscheinlich das ist. Als 2002 in Frankreich der Rechtsaußen Jean-Marie Le Pen gegen Mitte-Rechts-Kandidaten Jaques Chirac in die Stichwahl einzog, wuchs sein Stimmenanteil im zweiten Durchgang nur um 0,9 Prozentpunkte an.

Hofer wird wohl mehr dazu gewinnen. Ich persönlich tippe deshalb, dass es am 22. Mai eher knapp wird. Aber falls Van der Bellen die 2,5 Mio. WählerInnen von Fischer erreicht (und man würde doch davon ausgehen, dass sich die moderateren Mitte-Rechts Wähler von ÖVP, NEOS und Griss diesmal auch ein bisserl mehr Sorgen machen), ist das eine schwierige Hürde für Hofer. Er müsste die FPÖ dann gegenüber dem rechten Rekordergebnis von 2008 (FPÖ und BZÖ hatten damals 1,38 Mio Stimmen) verdoppeln.

Die Frage ist im Endeffekt nur, wer zur Wahl geht und die Entscheidung scheint offen. Aber „aufzuholen“ gibt es da gar nichts.

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