Ideologie klingt verstaubt und unsexy. Viele im Audimax wehren sich gegen die Idee, sie würden diesem Protest aus ideologischen Gründen angehören – manche wollen ihn sogar unpolitisch begreifen. Dieses Selbstverständnis ist naiv, aber lässt sich nachvollziehen. Wer hinhört merkt auch schnell. Es stammt nicht aus einer echten Ablehnung von Politik und Ideologie. Abgelehnt wird, was allgemein darunter verstanden wird.
Politik als verknöcherte Apparate voller geistig alter Menschen – kalt berechnender, wendehalsiger PR-Plapperer, die immer dasselbe und doch nie etwas Interessantes sagen. PolitikerInnen werden als Menschen gesehen, die Macht (auch etwas, das böse klingt aber eigentlich ganz normal ist) als Selbstzweck begreifen. Und Ideologie? Die gilt immer als Fanatismus, der die Augen vor dem Sinnvollen verschließt – etwa das Gebahren verbissener, parolendreschender Extrem-Kommunisten. So werden diese Worte verstanden – und in diesem Sinne wäre auch ich unpolitisch und unideologisch.
[ad#ad-1]Doch man sollte sich diese wichtigen Begriffe einer Gesellschaft nicht so einfach aus der Hand nehmen lassen. Eine Ideologie ist im Grunde nichts anderes als ein Wertegerüst aus dem gewisse Forderungen entstehen. Eine Vorstellung, wie die Welt sein soll und wie sie das am besten werden kann. So etwas hat jeder Mensch, ob er es nun bewusst entwickelt oder es sich einfach aus dem Bauchgefühl heraus ergibt. Denkt man darüber nach, warum man nicht (oder eben schon) will, dass arme Menschen auf der Straße leben, stoßt man am Ende auf eine Begründung. Das ist eine Basis und der Kern der Ideologie, die sich dann weiterentwickelt.
Und Politik, das ist in Wirklichkeit alles, wo Fragen von Macht und Werten entschieden werden. Nicht nur in Parteien, Parlamenten, Regierungen und im Bürgermeisteramt. Erhebt man in der Straßenbahn das Wort gegen einen Rassisten, ist das politisch. Tut man das Gegenteil, natürlich auch. Im Allgemeinen wird Politik viel zu eng verstanden und deshalb auch abgelehnt. Doch überall dort wo wir unsere Vorstellungen von der Welt vertreten (oder nicht vertreten) betreiben wir Politik.
Wenn wir auf die Straße gehen um einen freien und kostenlosen Hochschulzugang zu fordern, dann ist das natürlich sowohl ideologisch als auch politisch. Dahinter steckt wohl meist der Wunsch, dass die staatliche Bildung für alle Menschen offenstehen soll, damit alle das Beste für sich und ihr Leben machen können. Andere mögen egoistischere Motive haben. Doch auch wer einfach nur selbst keine Studiengebühren zahlen will oder kann, drückt damit aus, dass er Bildung für etwas hält, für das man nicht zahlen müssen sollte. Dass das der Staat als kollektive Gemeinschaft finanzieren soll, damit niemand ausgeschlossen bleibt – zumindest nicht dadurch.
Links oder so, whatever
Diese solidarischen Begründungen sind Werte, die normalerweise der politischen Linken zugerechnet werden. Aber auch im konservativen Lager gibt es sie teilweise. Die in Österreich durch den Rechtsruck der ÖVP marginalisierte Gruppe der christlich-sozialen etwa, die aus ihrem Glauben heraus nicht ertragen können, dass Menschen – egal welcher Gruppe sie auch zugehören – sozial benachteiligt werden. Das ist ein anderes Motiv, eine andere Ideologie, führt aber zur selben politischen Forderung.
Im Audimax hat Ideologie noch eine symbolische Dimension. Wenn zu Beginn Fahnen der Kommunistischen Partei an den Wänden hingen, ist das an und für sich für viele im Raum sicher keine schlimme Sache – mögen sie auch selbst keine Kommunisten sein. Jedoch ist diese Fahne auch Teil eines Machtspiels. Sie vereinnahmt einen sehr vielfältigen Protest mit einem Label. Für Nicht-Kommunisten ergibt es ein schiefes Bild der Bewegung, wenn sie plötzlich unter kommunistischer Flagge protestieren sollen.
Aus diesem Dilemma gibt es zwei Auswege. Variante 1: Jeder hängt sein Symbol auf, und so wird die Vielfalt des Protests dargestellt. Das Problem daran: Viele Menschen im Raum gehören keiner so eindeutigen politischen Bewegung an, können sich deshalb gar nicht erst mit einem solch kräftigen Symbol wie Hammer und Sichel ausdrücken. Einige wollen sich kein Label verpassen lassen (hier!), andere wissen vielleicht auch gar nicht so genau über ihre eigenen politischen Werte bescheid.
Es liegt deshalb Variante 2 nahe: Keiner hängt sein Symbol auf, und man besinnt sich auf die gemeinsamen Werte und drückt die gemeinsamen Forderungen in den Vordergrund. Diese werden damit ideologisch auf eine viel breitere und weniger konkrete Basis gehievt, in der sich alle wiederfinden können. Es bleibt aber ideologisch – ein Wertebild von dem man nicht abweicht. Der Wunsch nach in Zugang und Kosten freier Bildung ist nicht mit jedem Weltbild vereinbar.
Das Audimax hat (ohne dass alle zu dieser Erkenntnis gekommen wären) komplett unaufgeregt die Variante 2 durchgesetzt. Die Symbole kleinerer Einzelgruppen sind weg und weichen den gemeinsamen Plakaten und Icons. Mobilisiert wird über das gemeinsame Programm, das sich in einem Forderungskatalog widerspiegelt, der noch lange nicht final ist.
Aus der Ideologie entwickelt sich Politik – was ohne verknöcherte Parolendrescher (die sich unter interessierten Menschen mit einer Wortmeldung eh selbst unglaubwürdig machen) so spannend ist, dass zehntausende Menschen es täglich sehen wollen. Die Audimaxismus-Bewegung trägt dazu bei, dass diese Begriffe aus dem Griff jener befreit werden, die die dahinterstehenden Prinzipien absurd verunstaltet haben.
Die Ideologie muss nicht raus aus dem Audimax, das geht überhaupt nicht. Es sollte vielmehr weiter gemeinsam daran gearbeitet werden.