Das neue ORF-Gesetz wirft erste Schatten (auch in der Blogosphäre). Der Stein des Anstoßes? Ein simpler Kuhhandel: Der ORF darf seine Online-Werbeeinahmen stufenweise bis zu einem Anteil von 5% gemessen an den Gebühreneinnahmen (ab 2016) erhöhen. Dafür muss er aber auf Bereiche in der journalistischen Online-Berichterstattung verzichten. Sie stellen offenbar als „Special-Interest“* eine Konkurrenz zur Berichterstattung privatwirtschaftlicher Verleger dar. Das prominenteste und wichtigste „Opfer“ ist die ORF-Futurezone.
Werbe-Krösus ORF
Der ORF ist ein öffentlich-rechtliches Rundfunkunternehmen und finanziert sich vornehmlich über Rundfunkgebühren und Werbung, ferner auch durch Subventionen oder durch Erträge aus Eigenproduktionen und Lizenzen. So weit, so klar. Werbung ist wichtig für den ORF, wie auch ein Blick auf die Aufstellung der Statistik Austria zu den Erlösen des ORF zwischen 1980 und 2008 beweist.
Demnach wurden 2008 knapp 30% der Gesamterlöse über die Werbung erzielt. In Zahlen: Die Gesamterslöse dieses Jahres von 884.800.000 Euro beinhalten 263.300.000 Euro an Werbeeinnahmen. Eine doch beachtliche Summe für einen relativ kleinen Werbemarkt wie Österreich. Noch dazu in einem Jahr, in dem infolge des ersten Schocks der Finanzkrise Marketingbudgets drastisch gekürzt wurden.
Der Wert von knapp 30% Anteil der Werbeeinnahmen an den Gesamterlösen gibt Aufschluß darüber, wie abhängig der ORF von Werbung ist. Und er ist dabei – auch schon vor dem neuen ORF-Gesetz – hinsichtlich der gesetzlichen Rahmenbedingungen alles andere als unterpriviligiert.
72 Minuten Freude
Wagen wir einen Vergleich im Bereich der TV-Werbung: Die beiden deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF dürfen täglich jeweils 20 Minuten kommerzielle Werbung ausstrahlen. Nach 20.00 Uhr, also auch zur Prime-Time, ist ihnen die Ausstrahlung kommerzieller Werbung untersagt. Der ORF hingegen darf bis zu 5% seiner täglichen Sendezeit mit kommerzieller Werbung füllen (ausgenommen von dieser Regelung: Eigenwerbung). Das sind 72 Minuten, natürlich auch zur attraktiven Prime-Time.
Man möchte meinen, die Regelungen im doch recht lukrativen TV-Werbesektor wären gemeinsam mit den Gebühreneinnahmen und sonstigen Erträgen ausreichend, um auch den Online-Bereich des ORF in einer Form querfinanzieren zu können, die im Einklang mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag steht. Dieser muss im 21. Jahrhundert natürlich auch den Online-Bereich umfassend berücksichtigen – alles andere wäre rundfunkpolitischer Schwachsinn.
Online-Werbegelder sollen fließen
Doch der Finanzierungsbedarf des ORF scheint trotz einer bereits jetzt recht lockeren Werbezeitregulierung und fließenden Rundfunkgebühren nicht gedeckt. Demzufolge sollen auch die Online-Gelder fließen – wie erwähnt bis zu 5% gemessen an den Einnahmen durch die Rundfunkgebühren (derzeit sind es knapp 2%). Dass dies den Mitgliedern des VÖZ, der traditionsgemäß neben den politischen Parteien beim ORF ordentlich mitmischt, nicht sehr gefällt liegt auf der Hand.
Innovationsfeindliche Medienunternehmen
Immerhin will der ORF einen wachsenden und am Akquisesektor durchaus hart umkämpften Werbekuchen anknabbern. Noch dazu in einem Bereich, der von den Mitgliedern des VÖZ nach journalistischen Gesichtspunkten betrachtet noch immer nur sehr stiefmütterlich behandelt wird. Die einzige Ausnahme bildet hierbei vielleicht derstandard.at – die restlichen Anbieter von journalistischer Online-Berichterstattung sind schlichtweg als wenig konkurrenzfähig und fern jeglicher Innovation zu bewerten.
Im 21. Jahrhundert reicht es eben nicht, den Online-Sektor hauptsächlich als Zweitverwertungskanal zu betrachten. RezipientInnen erwarten auch im Netz originäre Berichterstattung und der Online-Bereich hat auch andere Spielregeln als traditionelle „Holz-Medien“. Doch dies sei nur am Rande erwähnt.
Marktverzerrer ORF?
Aber bis zu einem gewissen Grad kann man die Reaktionen des VÖZ auf die Ausweitung der Online-Werbung nachvollziehen, denn er ist natürlich auch ein Verband, dessen Aufgabe unter anderem im Lobbying für seine Mitglieder besteht. Diese Mitglieder haben Interesse daran, vom ORF nicht um zusätzliche Werbegelder gebracht zu werden. Immerhin verfügen diese Medien nicht über den sicheren Kopfpolster ständig sprudelnder Gebühreneinnahmen.
Sie sind dem Werbemarkt noch ungleich stärker ausgeliefert, von ihm abhängig. Und sie haben wenig Interesse daran, dasss ein öffentlich-rechtliches Rundfunk – gestärkt durch große finanzielle Mittel dank Gebühreneinnahmen – den Online-Werbemarkt zusätzlich beackert und ein dafür passendes Umfeld durch innovativen und (halbwegs) unabhängigen und kritischen Journalismus schafft und aufrecht erhält. Doch was ist die Lösung? Nehmen sich die VÖZ-Mitglieder nun selbst an der Nase und strengen sie sich an, ihre Online-Auftritte qualitativ zu verbessern?
Mauscheln statt Debatte
Wir wären nicht in Österreich, wäre dies die Lösung gewesen. Denn anstatt einer breiten und wichtigen Debatte über Qualität des Journalismus im Online-Bereich und über den Programmauftrag des ORF zu führen – die Ressourcen hierfür hätten sowohl der ORF als auch die VÖZ-Mitglieder – wird eine „typisch österreichische“ Lösung zu Lasten der RezipientInnen und des unabhängigen Journalismus ermauschelt.
Anstatt eine Diskussion zu führen, in welchen Bereichen der ORF im Online-Bereich seinen Programmauftrag erfüllen muss und welche Bereiche nicht dazu zählen wird hinter verschlossenen Türen verhandelt. Anstatt eine Debatte darüber zu führen, welche Werberegulierungen im Sinne der gesellschaftlichen Erwünschtheit von qualitativ hochwertigen medialen Angeboten und einer sinnvollen wirtschaftlichen Basis möglich sind wird ein Kuhhandel durchgeführt. Kurzfristig nutzt dieser Kuhhandel den Verhandlungspartnern ORF, VÖZ und den politischen Parteien. Die RezipientInnen und der unabhängige Journalismus bleiben aber außen vor.
Protektionismus Marke VÖZ
Denn der ORF wird durch diese Vereinbarung auf Online-Berichterstattung verzichten müssen – vor allem trifft es die für die Berichterstattung zu den Bereichen Digitalisierung und Netzpolitik wichtige Futurezone. Die Konkurrenz im Online-Bereich für die VÖZ-Mitglieder wird schlichtweg in protektionstischster Manier eingeschränkt.
Wie wenig Vertrauen – berechtigterweise – müssen die Mitglieder des VÖZ in die Qualität ihrer Online-Inhalte haben? Würden die Mitglieder des VÖZ Online-Berichterstattung ernst nehmen und nicht bloß als „Beiwagerl“ behandeln, wäre ihnen die Peinlichkeit der aktiv-unrühmlichen Mitarbeit an der Einschränkung von unabhängigen Onlione-Journalismus in Österreich erspart geblieben.
Journalistisches Armutszeugnis
Der ORF erhält, was er aufgrund seiner wirtschaftlichen Notlage kurzfristig erhalten will. Er darf im Online-Bereich weitere Werbegelder lukrieren. Sie sollten dabei helfen, die chronischen Finanzlöcher zu stopfen. Das ist vielleicht sehr schön für die wirtschaftliche Zielerreichung des ORF-Managements.
Doch die Aufgabe von etablierten und von den RezipientInnen gut aufgenommenen journalistischen Inhalten aufgrund der nun offen zur Schau gestellten Abhängigkeit von Werbegeldern ist nicht nur ein hausgemachtes und vermeidbares niederknieen vor Zwängen der Medienfinanzierung, sondern schlichtweg ein journalistisches Armutszeugnis.
Marktplatz der Parteipolitik
Der Einfluss der politischen Parteien ist jedoch das eigentliche Grundübel, wodurch der ORF in diese starke Abhängigkeit vom Werbemarkt geriet. Etwa durch ständige „Umfärbeaktionen“ nach Wahlen – oft auch einhergehend mit Gesetzesänderungen – und die macht- und parteipolitischen Besetzungen des Stiftungsrates mit Personen, deren Kompetenz sich mir persönlich nicht wirklich erschließt.
Ein Beispiel hierfür ist etwa der frühere Schmied-Pressesprecher Niko Pelinka, beinahe noch jugendlicher Sohn von News-Chefredakteur Peter Pelinka und nunmehr SP-Freundeskreisleiter (!) im Stiftungsrat, der den rundfunkpolitisch versierten SP-Mann (!) Karl Krammer im ORF-Aufsichtsgremium ersetzte – gerüchteweise aufgrund des Drucks des Koalitionspartners ÖVP.
Prekäre Rahmenbedingungen
Aufgrund der ständigen politischen Einmischung, oftmaligen Gesetzesänderungen und parteipolitischen Besetzungen ist Kontinuität im ORF kaum möglich. Der ORF wird zum Marktplatz der Eitelkeiten und (gar nicht so) billigen Machtspielchen. Anstatt klarer Rahmenbedingungen zur Erfüllung des Programmauftrages erhält der ORF immer wieder Chaos.
Das Resultat: Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der seinen Programmauftrag nicht wirklich erfüllt, dafür aber Casting-Shows ausstrahlt und produziert, keine Skrupel davor hat auf etablierte und anerkannte journalistische Berichterstattung zu verzichten und auch wirtschaftlich nicht selbstständig gedeihen kann. Dadurch hängt er (wohl nicht ganz unbeabsichtigt) ständig am Tropf der Abhängigkeiten. Das neue ORF-Gesetz wird an diesem Zustand nichts ändern. Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk funktioniert so nicht, weil öffentlich-rechtlicher Rundfunk so nicht funktioniert.
RezipientInnen verlieren
Die RezipientInnen wurden bei aller Mauschelei kaum berücksichtigt und verlieren, weil RezipientInnen immer verlieren, wenn qualitativ hochwertige journalistische Inhalte wie in diesem Beispiel die Futurezone eingestellt werden. Und bevor wieder das Totschlagsargument der Finanzierung aufkommt: Natürlich liegt es im Interesse der RezipientInnen, nicht durch stärkere Rundfunkgebühren oder staatliche Zuschüsse an den ORF belastet zu werden. Doch dies müsste gar nicht sein, wenn der ORF seine Rolle als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt ernst nehmen würde (oder dürfte).
Hochwertiger Journalismus ist möglich
Die Finanzierung eines sinnvollen öffentlich-rechtlichen Programmauftrages – und damit auch von qualitativ hochwertigem und unabhängigen Journalismus – ist wichtig, da wir die Wirklichkeit vor allem durch Massenmedien erfahren. Die Erfüllung des Programmauftrages müsste auch durch die derzeitigen Regelungen mehr als möglich sein.
Natürlich könnte dies bedeuten, dass der eine oder andere Blockbuster fehlt und die eine oder andere Großmannsucht nicht mehr befriedigt werden kann. Doch dies ist nicht vorrangige Aufgabe eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Man möge sich doch bitte ein Beispiel an der BBC nehmen, denn diese öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt erfüllt nicht nur ihren Programmauftrag, sondern schafft mit ihren Eigenproduktionen auch wertvolle Kulturgüter. Und man höre und staune … diese Eigenproduktionen werfen auch noch schöne Erlöse ab.
Operation gelungen, Patient tot
Als Fazit kann angemerkt werden, dass die Operation „Mehr Online-Werbegelder für den ORF“ aus ökonomischer Sicht wohl durchaus gelungen ist, auch wenn dieser Operation ein schaler Mief anhängt. Denn die Opferung von journalistischer Berichterstattung, die in Form der Futurezone des ORF zu Grabe getragen wird, ist ein Faustschlag ins Gesicht des sowieso unterentwickelten Online-Journalismus in Österreich. Man möge sich für diese Peinlichkeit bei den agierenden politischen Parteien, der Führung des ORF und dem Verband Österreichischer Zeitungen bedanken.
* Themen wie z. B. Netzpolitik und Digitalisierung – Bereiche die in der Futurezone stark behandelt werden – als „Special-Interest“ zu bezeichnen, zeugt von großer Ignoranz. Mit Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung und Verbreitung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien sind diese Themen von allgemeinen Interesse. Now we are all nerds.
Foto: Steve Wampler, CC2.0-BY-NC