Volker Plass im Gespräch über die Zukunft des Wachstums, den Zusammenhang von Geld und Glück und welche Aufgaben unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert erwarten.

Andreas: Wenn man Politikern die Frage stellt, wie man Defizite abbauen könne, erhält man zuerst als Standardantwort, „die Wirtschaft müsse wachsen“. Auf der einen Seite durchaus verständlich. Aber kann exponentielles Wachstum langfristig gut gehen?

Volker Plass: Selbstverständlich nicht (lacht). Alles was exponentiell wächst ist in einer begrenzten Welt zum Scheitern verurteilt. Und in der Natur gibt es zahlreiche Beispiele, dass exponentielles Wachstum nicht ad infinitum fortsetzbar ist.

Das exponentielle Wachstum von Schulden und Finanzguthaben bei einem gleichzeitig nur linearen Wachstum der Realwirtschaft ist ein systemimmanenter Fehler unseres Geld- und Zinssystems, der meines Erachtens gar nicht wirklich behebbar ist. Dieser ist in der Geschichte nicht so aufgefallen, wie er jetzt zur Geltung kommt, weil wir wesentlich lokalere Wirtschaftskreislaufe hatten und immer wieder Kriege und andere Katastrophen die Menschen gezwungen haben, ohnehin bei Null zu beginnen. Und jetzt haben wir das erste Mal eine sehr lange Phase des Friedens und damit eine ungestörte Form dieser gefährlichen Wachstumsentwicklung.

Natürlich wäre es angenehm, wenn wir kurz- bis mittelfristig Wirtschaftswachstum hätten, weil sich fehlendes Wachstum in erster Linie negativ auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Der Reflex der klassischen Politik und der Wirtschaftspolitiker fast aller Couleurs ist absolut verständlich weil kurzfristig die ganz praktischen Probleme geringer werden.

Andreas: Einerseits verständlich, andererseits gefährlich?

VP: Durchaus. Mittelfristig deutet sehr vieles darauf hin, dass wir absolut an die Grenzen des Wachstums stoßen. Wir leben über unsere Verhältnisse, zerstören die Natur bereits und verbrauchen damit das Kapital, anstatt uns mit dem zu begnügen, was die Natur an regenerativem Ertrag, quasi den Zinsen, bereitstellt. Das kann langfristig nicht gut gehen. Erste Anzeichen dafür sind Versorgungsengpässe im Bereich fossiler Energieträger und anderer für die Industrie sehr wichtiger Rohstoffe.

Die wesentliche Herausforderung für die Zukunft ist es, ein Wirtschaftsmodell zu entwickeln, dass Wohlstand sichert, ohne auf materielles Wachstum angewiesen zu sein oder zumindest wesentlich weniger davon erfordert. Das kann nur durch eine bessere Verteilung des Reichtums funktionieren. Außerdem müssen wir den Übergang von unserer Produktions- und Wegwerfgesellschaft zu einer Wiederverwertungs- und Reparaturgesellschaft schaffen. Das sind die zentralen Herausforderungen für die nächsten Jahrzehnte.

Andreas: Fehlt da nicht sowohl politisches als auch gesellschaftliches Bewusstsein für diese Materie? Die einen denken nur in Legislaturperioden, für viele andere ist Nachhaltigkeit sowieso ein Fremdwort.

VP: Viele PolitikerInnen sind nicht bereit, langfristig zu denken. Ich spüre aber schon, dass es langsam eine Bewusstseinsbildung und ein Umdenken gibt. Das beschränkt sich momentan noch sehr auf prinzipielle Überlegungen. Man hat einmal erkannt, es kann nicht ewig so weiter gehen.

Wir haben das als grüne Fraktion auch in der Wirtschaftskammer zum Thema gemacht. Da gibt es auf Seiten des ÖVP-Wirtschaftsbundes durchaus bereits das Zugeständnis, dass materielles Wachstum auf Teufel komm raus nicht ewig fortsetzbar ist.

Andreas: Sind diesbezüglich prinzipielle Überlegungen nicht zu wenig? Immerhin sind wir bereits im Jahr 2010.

VP: Was natürlich vollkommen fehlt, sind ganz praktische, mutige und konsequente Schritte in die richtige Richtung. Man müsste zum Beispiel im Bereich fossiler Energieträger das Ruder umreißen und dafür sorgen, dass Österreich von diesen unabhängig und zumindest in einem europäischen Zusammenhang energieautark wird.

Dafür wären in sehr vielen Politikbereichen prinzipielle Änderungen notwendig. Man müsste Gesetze und das Steuersystem ändern, Regeln verschärfen oder Förderungen für erneuerbare Energien ausweiten. Diese konsequente Politik sehe ich jedoch nicht.

Andreas: Wie kann diese Politik durchgesetzt werden?

VP: Es ist zu befürchten, dass es noch viele Schmerzen braucht, damit das Notwendige wirklich erledigt wird. Leider lernt die Menschheit hauptsächlich durch Unheil und Katastrophen. Und vieles deutet darauf hin, dass die nächsten Jahrzehnte sehr schmerzhaft werden.

Andreas: Muss dieser Prozess nicht genauso aus der Gesellschaft kommen? Etwa Genügsamkeit als Gebot der Stunde und Abkehr vom immer mehr haben wollen. Es ist empirisch bewiesen, dass Menschen ab einem gewissen Einkommen nicht mehr wirklich glücklicher werden. Produktivitätsfortschritte werden aber durch eine Zunahme des Konsums kompensiert. Ist das der Sinn von Fortschritt?

VP: Als Alternative zum Wohlstandsindikator BIP gibt es Versuche, einen Glücksindikator zu etablieren. Es weiß jeder aus privaten Beobachtungen, dass bis zu einem gewissen Einkommen jeder Euro das Leben direkt erleichtert. Zum Beispiel in eine Buchhandlung zu gehen und nicht auf den Preis achten zu müssen, das ist natürlich Lebensqualität und kann Glück zu einem gewissen Teil ausmachen.

Da ist man in der Glücksforschung auch schon sehr weit. Ab einem Monatseinkommen von 2000€ entwickelt sich das nicht mehr linear. Das heißt, mit 4000€ ist man nicht doppelt so glücklich, wie mit 2000. Zwischen 1000 und 2000€ gibt es sicherlich noch mehr Korrelation zwischen Geld und Glück, weil es da um die existenzielle Absicherung geht. Für mich persönlich bedeutet Wohlstand, weder arm noch reich zu sein, also den Luxus, über Geld nicht mehr und nicht schon wieder nachdenken zu müssen.

Andreas: Spielen wir das Szenario einer revolutionierten Wirtschaft durch, in dem sich Menschen mit weniger materiellem Wohlstand begnügen. Kann man in dieser Arbeit für alle gewährleisten?

VP: An den klassischen Begriff Vollbeschäftigung glaube ich überhaupt nicht mehr. Das heißt, dass alle die können und wollen einen marktkonformen Regelarbeitsplatz haben, der sie 40h bezahlt beschäftigt. Das wird es in Zukunft nicht mehr spielen, weil es ohne materielles Wachstum diese klassischen Arbeitsplätze immer geringeren Ausmaß geben wird. Prinzipiell ist aber genug Arbeit da.

Es existieren große Bereiche des menschlichen Lebens, wo extrem viel Arbeit vorhanden ist bzw. wäre, die allerdings überhaupt nicht bezahlt wird. Das ist in der Kindererziehung, der Altenpflege, im Umweltbereich, im ehrenamtlichen Bereich, usw. der Fall. Man muss sich nur anschauen, wie viele Milliarden Arbeitsstunden in Österreich unbezahlt geleistet werden obwohl sie mindestens genauso wertvoll wie marktkonforme und deshalb entlohnte Arbeiten sind.

Das heißt, die Arbeit wird uns nie ausgehen. Die Frage ist nur, wie kann ich den materiellen, als BIP gemessenen Reichtum, den unsere Volkswirtschaft mit immer weniger Arbeitskräften erwirtschaftet, allen zugute kommen lassen. Auch jenen, die am klassischen Arbeitsmarkt nicht mehr unterkommen.

Andreas: Haben Sie auf diese Frage auch eine Antwort?

VP: Da sind Instrumente wie das bedingungslose Grundeinkommen Lösungsmöglichkeiten. In der Grünen Wirtschaft diskutieren das sehr intensiv , es sind noch viele Fragen offen aber natürlich muss diese Diskussion geführt werden. Langfristig kann es jedoch nur in diese Richtung gehen. Und genau das habe ich gemeint, wie ich vorher gesagt habe, Wohlstand ohne materielles Wachstum ist nur möglich, wenn wir Reichtum besser verteilen.

Andreas: Wäre das zu finanzieren? Ohne materielles Wachstum schrumpft der zu verteilende Kuchen.

VP: Es ist die Frage, was den Kuchen groß macht. Der Kuchen ist im Wesentlichen das Bruttoinlandsprodukt, in erstem Sinne ein Geldwert, der auf verschiedenste Art zustande kommen kann. Wir werden zwei Dinge erleben. Wir werden uns zunehmend von materiellem, ressourcenverbrauchendem und umweltzerstörendem Wachstum abkoppeln. Und dann wird man aber hoffentlich feststellen müssen: Es ist genug für alle da, wenn man besser teilt. Und das ist die entscheidende Frage: Ist unsere Gesellschaft dazu fähig, oder kommt es wieder wie in Urzeiten zu Konflikten, Verteilungskämpfen und Kriegen. Das ist alles im Bereich des Möglichen.

Andreas: Glauben Sie persönlich, dass es funktionieren kann?

VP: Ich hoffe. Das 21. Jahrhundert wird in dieser Hinsicht jedenfalls interessant und spannend werden. Und wenn man diesbezüglich einem chinesischen Sprichwort glaubt, bedeutet das nicht nur Gutes.

Volker Plass ist Unternehmer und Bundessprecher der Grünen Wirtschaft

Dieses Interview wurde für www.zuwi.at geführt.

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