Die freie Meinungsäußerung zählt zu jenen Freiheiten, die in allen westlich geprägten Demokratien zu den am meisten geschätzten und verteidigten Grundwerten zählt. Zu Recht. Wenn es jedoch in letzter Zeit öfter haarig wird im Streit darum, was zu sagen erlaubt sein soll oder nicht, scheint es, dass sich eine ganz gewisse Gruppe lautstark protestierender Proponenten immer wieder gerne auf ein Zitat eines gewissen François Marie Arouet beruft. Besser bekannt ist dieser Herr Arouet unter seinem Synonym Voltaire, das Zitat lautet folgendermaßen:
„Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.“
Zunächst ist dazu anzumerken, dass dieser Spruch, wie es aussieht, fälschlicherweise Voltaire zugeschrieben wurde, alle die es gern verwenden, sollten sich also nach etwas anderem umsehen, wenn sie den großen Aufklärer zitieren wollen.
Nicht zuletzt jedoch frage ich mich, ob sich diejenigen, die am lautesten zitieren, überhaupt jemals eingehender mit der Person Voltaire bzw. mit dem was hinter der Aufklärung und den damit verbundenen Werten steht, auseinander gesetzt haben.
Höchste Zeit also sich einmal hierorts darüber Gedanken zu machen. Insbesondere weil ein aktueller Fall – wer hat schließlich nicht von Herrn Sarrazin gehört – diesbezüglich einiges an Staub aufgewirbelt hat und oben erwähntes Pseudo-Voltaire-Zitat wieder einmal seinen Streifzug durch die diversen Online-Foren angetreten hat.
Freie Meinungsäußerung als tragende Säule der Demokratie
Die Meinungsfreiheit ist ohne Zweifel einer der wichtigsten Werte in der modernen Demokratie und ihre Beschneidung ist der erste Schritt hin zur Beschneidung weiterer Rechte. Trotz allem jedoch scheinen meiner Meinung nach nicht alle, die sich zu bestimmten Zeiten ganz besonders intensiv um die Hege und Pflege dieses Grundrechtes bemühen, auch wirklich verstanden zu haben, worum es dabei geht.
Um das Recht auf die ungestrafte Äußerung seiner Meinung wurde zu einer Zeit gerungen, als Dinge wie der Rechtsstaat oder die moderne Demokratie per se noch in den Kinderschuhen steckten. In England war man zum Teil Vorreiter, die US-amerikanische und die französische Revolution schließlich brachen den Bann und das was man als Bürgerrechte eingeführt hatte, wandelte sich mit dem Erwachsenwerden langsam aber sicher zu Menschenrechten, die sich nicht mehr auf eine Zugehörigkeit zu einem Staat beschränkten, sondern alle Menschen inkludierten.
Rückschläge und Fortschritte
Das es immer wieder brutale Rückschläge gab, dass Diktaturen und Terrorregimes zu allererst die Meinungsfreiheit beschnitten, darf man nicht vergessen, gerade aber die düsteren Zeiten waren und sind der Grund, warum wir heutzutage jene ausgefeilten Dokumente wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 besitzen (Die Bestimmung über die Meinungsfreiheit findet sich übrigens in Artikel 19).
Die Existenz dieses Gesetzestextes muss also immer auch Teil eines größeren Geschichtsbewusstseins sein, nur so ist eine ausgewogene Bewertung der Reichweite dieser speziellen Freiheit überhaupt möglich.
Große Freiheit mit kleinen Einschränkungen
In keiner der westlichen Demokratien nämlich darf man alles öffentlich sagen, was man will. Natürlich, ich kann, wenn ich will, irgendeine x-beliebige Person als Arschloch beschimpfen, wenn jedoch ein Dritter dabei zuhört, dann mache ich mich möglicherweise der Beleidigung schuldig. Ob ich es schaffe in Bezug auf meine Äußerung den Wahrheitsbeweis zu erbringen, ist eine andere Diskussion und die Entscheidung darüber fällen die Gerichte.
Ich darf auch nicht dazu aufrufen, eine bestimmte Person oder Personengruppe zu erschießen, nur weil sie mich in meiner Befindlichkeit verletzt, damit wären wir bei der Verhetzung oder eventuell auch bereits bei der Anstiftung zum Mord. Wiederum eine Frage, die Gerichte zu klären haben.
Es gibt noch weitere Einschränkungen, auf die ich nicht einzeln eingehen möchte, aber selbst in den USA, einem Land, in dem schon einmal der Ku-Klux-Klan oder Nazivereine öffentlich aufmarschieren, ist nicht alles erlaubt, die Entscheidung darüber was noch akzeptabel ist, dreht sich meistens rund um den Begriff „fighting words„, also Parolen, die dazu veranlassen könnten, andere Menschen physisch zu verletzen.
Der Rest spielt sich im Graubereich ab und lässt sich manchmal mehr, manchmal weniger direkt ausdrücken.
Heute und Gestern – selbes Recht, veränderte Umstände
Worauf ich jedoch hinaus will ist Folgendes: während im 17. und 18. Jahrhundert um Bürgerrechte gekämpft wurde, die noch in keinem gesetzlich anerkannten Dokument verankert waren, scheint es heute beim Streit um die Grenzen Meinungsfreiheit zumeist darum zu gehen, irgendwelche zweifelhaften Inhalte auch laut aussprechen zu dürfen.
In den allermeisten Fällen bin auch ich für das erlaubte Aussprechen, weil ich der Meinung bin, dass eine robuste Demokratie ein paar Dummköpfe, die gerne viel und laut reden, aushalten muss. Gerade im Falle von Tilo Sarrazin wäre wohl eine größere Gleichmut besser gewesen, als die hysterischen Meldungen von rechter Hetze und diverse öffentliche Stellungnahmen, die den sofortigen Rauswurf, wenn geht, Landesverweis des Bankers forderten.
Die Grenze zwischen Dummheit und und Gefährlichkeit ist fließend
Warum? Nicht weil ich den Inhalt der Aussagen nicht zweifelhaft finde, sondern weil es für jeden intelligenten Menschen ein Leichtes sein sollte, die Aussagen als das zu entlarven was sie letztlich sind: eine billige Polemik, die sich nirgendwo auf seriöse wissenschaftliche Zahlen begründet, sondern die davon lebt, ein paar Statistiken mit ein paar anderen opportunen Zahlen von hier und dort zu vermischen, gut gewürzt mit einem kräftigen Schuss „Ich bin zornig“.
Sarrazin ist seinem Rauswurf zuvor gekommen und hat selbst demissioniert. Dass die Diskussion darüber aber überhaupt soweit gedeihen konnte, war bestenfalls kontraproduktiv. Mittlerweile tingelt der Neo-Literat durch Deutschland und liest aus seinen Schriften, um sein finanzielles Auskommen muss man sich mit Sicherheit keine Sorgen machen.
Wer übrigens immer noch daran glaubt, dass einige der Thesen, die er aufstellt stimmen, z.B. jene im Bezug auf ethnische Zugehörigkeit und Intelligenz, der sollte sich folgenden hochinformativen Artikel durchlesen, daraus kann wirklich jeder was lernen.
Reden lassen oder nicht reden lassen, das ist hier die Frage
Soll man also ungestraft alles sagen dürfen, was man will? Nein. Wie bereits ausgeführt, gibt es für bestimmte Sachverhalte klare gesetzliche Rahmenbedingungen, die definieren was unter freie Meinungsäußerung fällt und was nicht. Auch ein Tilo Sarrazin oder hiesige selbsternannte Retter des reinen österreichischen Blutes müssen sich an die Gesetze, die im Rechtsstaat gelten, halten, bei nicht wenigen davon hat es hierzulande auch bereits zu einer rechtskräftigen Verurteilung gereicht (eine Auflistung findet sich hier).
Was mich nunmehr von Deutschland nach Österreich führt, wo man diese Debatte rund um die Frage, was darf ich sagen und was nicht, ohnehin seit längerem führt und wo man bei vielen obsoleten Diskussionen dann, in meist einschlägigen Zirkeln, erörtert, wie es denn um unsere großartige Meinungsfreiheit bestellt ist, wenn so was wie das Verbotsgesetz noch gilt.
Reden wir übers Verbotsgesetz
Gut. Reden wir also drüber, warum es das Verbotsgesetz gibt, und wenn es nach mir geht, gut und gerne alle Ewigkeit geben kann. Wie bereits erwähnt, sind es immer die üblichen Verdächtigen, die mit diversen Pauschalisierungen auch sonst nicht zimperlich sind, die sich gerade dann auf die Zehen getreten fühlen, wenn ihnen einmal wieder irgendwas uneindeutiges in Bezug auf den Holocaust oder das Dritte Reich über die Lippen kommt.
Das sind dann oft auch jene, die gern das oben erwähnte Voltaire-Zitat rezitieren, soweit es ihnen gelingt, bei denen man aber in den allermeisten Fällen auch ziemlich sicher ist, dass sie bis auf jenen, nicht vom großen Aufklärer getätigten Satz, keine einzige Zeile seines umfangreichen und, ganz nebenbei bemerkt, großartigen Werkes, gelesen haben.
Da fragt man sich dann öffentlich, wie frei man denn nun in Österreich eigentlich ist, wenn man nicht alles sagen kann, was man sagen will und dergleichen. Und man wolle doch alles nur wissenschaftlich betrachten und Fakten analysieren usw. usf.
Nie wieder
Was ich darauf entgegne? Nun, zum Einen ist die Errungenschaft der Meinungsfreiheit, zusammen mit anderen Grundrechten, wie schon erwähnt, einem historischen Prozess geschuldet, der nicht erst vorgestern begonnen hat. Die Tatsache, dass wir als Land an einem der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte beteiligt waren – nein wir waren nicht das erste Opfer Hitlerdeutschlands – diese Tatsache bedingt auch einen gewissen Sonderstatus, eine gewisse moralische Verantwortung dafür, dass insbesondere wir in Österreich dafür zu sorgen haben, dass derlei nicht ein zweites Mal passieren kann. Deshalb gibt es hierzulande ein Verbotsgesetz.
Und wer jetzt noch immer einwendet, dass es sich entweder um volle Meinungsfreiheit handeln muss oder nicht, dass man als fortschrittliche Demokratie den einen oder anderen Idioten, samt dessen Meinung aushalten muss, dem sei Folgendes entgegnet.
Natürlich hält eine Demokratie, den einen oder die andere, die sich bemüßigt irgendeinen Schwachsinn von sich zu geben, aus und das ist auch in vollkommen in Ordnung so. Aber, und das erlaube ich mir hier ganz frei von der Leber öffentlich zu bekennen, ich habe in der gesamten Zeit, seit der ich in der Lage bin mich einigermaßen zu artikulieren, noch nie, N-I-E, auch nur den Hauch eines Wunsches verspürt, den Holocaust zu leugnen, ebenso wenig, wie ich jemals das große Bedürfnis gehabt habe, Adolf Hitler zu preisen. Ich habe mich also noch keine einzige Sekunde meines Lebens durch das Verbotsgesetz in der Ausübung meiner Meinungsfreiheit eingeschränkt gefühlt, ebenso wenig wie ich mich durch die Existenz eines Mordparagraphen im Strafgesetzbuch gestört fühle.
Können heißt nicht Müssen
Die Meinungsfreiheit ist ein unschätzbares Gut und ein Wert der zu den wichtigsten Anliegen einer aufgeklärten Gesellschaft gehört. Kalkuliert geäußerte Dummheiten sollten deshalb nicht überbewertet werden, genauso wenig wie auch gewisse Einschränkungen nicht das Ende der freien Welt sind. Als Grundregel sollte man vielleicht folgenden Satz, den ich irgendwo einmal gehört habe, heranziehen: Meinungsfreiheit bedeutet zwar, dass man alles sagen kann, was man will, aber nicht, dass man unbedingt alles auch sagen muss.
Susanne, 15. September 2010