Seit den Wahlen in Wien, bei denen der Rechtsaußen-Kandidat an die 27% der Stimmen abkassiert hat (vorläufig, denn das endgültige Ergebnis steht noch aus), drehen sich die Diskussionen in allen möglichen Foren um die Frage: Wer verdammt noch mal ist daran schuld?

Statt auf diese Frage eine wohl ewig unbefriedigende Antwort zu suchen, stellt sich mir in letzter Zeit viel häufiger eine ganz andere – nämlich jene, ob diejenigen Leute in unserem Land, die als Stellvertreter des Souveräns agieren und damit auch quasi die Hüter der Demokratie sind, nicht über die Jahre sozusagen zum Feind im eigenen Bett geworden sind.

Etwas drastischer formuliert könnte man sich fragen: sorgen am Ende genau jene für die die Abschaffung der Demokratie, die sich als ihre Repräsentanten und Repräsentantinnen ausgeben?

Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken

Ich meine, dass diese Vermutung nicht unberechtigt ist und auch wenn ich unseren heimischen Politikern nicht mehr Intellekt unterstellen möchte, als notwenig, selbst wenn ich mich davor hüten möchte, auch gleich irgendwelchen Verschwörungsszenarien Vorschub zu leisten, es gibt aktuell mehr als genug Befunde, die darauf hindeuten, dass dieser Prozess in den vergangenen 10 – 15 Jahren eine gewisse Eigendynamik entwickelt hat.

Politiker als Berufsbild

In kaum einem anderen Betätigungsfeld hat sich so etwas wie ein einzementiertes Berufsbild samt einschlägigem Ausbildungsweg herauskristallisiert, wie in der Politik der letzten Jahrzehnte. Alle Parteien besitzen heute ihre eigenen Bildungszentren und Ausbildungsakademien, die großen mehr, die kleinen weniger, in denen sie ihren Nachwuchs heranziehen.

Das Erstaunliche daran ist die Tatsache, dass es in diesen Politikerschulen keine Mindestausbildungsregel gibt, was zählt ist das Parteibuch sowie die Lorbeeren, die sich der Zögling in den diversen Parteihierarchien erarbeitet hat. Wenn man so will – eine Art politisches Wandernadelsystem, das im Elternhaus von politikaffinen Leuten beginnt, sich in den diversen Jugendgruppen fortspinnt und sich im passenden Alter in Abhängigkeit vom Ausprägungsgrad der Ambitionen des betreffenden Hoffnungsträgers in Ämtern und Funktionen niederschlägt.

Listenplätze werden in den allermeisten Parteien nach wie vor nach einem autoritär-undurchsichtigen Präferenzsystem vergeben, aber selbst offenere Verfahren lassen noch genügend Raum für alteingesessene Seilschaften übrig um „ihren“ Favoriten zu pushen.

Quereinsteiger – nein danke!

Quereinsteiger kommen bestenfalls dann zum Zug, wenn der medientechnische Mehrwert zählt. Stichwort Promifaktor – dass sich diesbezüglich immer wieder mehr als skurrile Kandidaten auf die Listen verirren mag Vielfalt widerspiegeln, ist aber bloßes (für das Output an Stimmen offenbar nicht wirklich nützliches) Kalkül. Die jeweiligen Kandidaten verschwinden dann auch oft sehr schnell wieder von der Bildfläche.

Wir basteln uns einen Politiker

Dass ein derartiges System einen ganz bestimmten Typen von Politiker fördert ist selbstredend. Er und sie zeichnen sich im Bezug auf die Partei, die sie repräsentieren, durch folgende nicht abschließend aufgelistete Eigenschaften aus: Gehorsam und Linientreue – der Durschnitt des Parteidurchschnittes. Wichtigstes Asset im Zeitalter der Medien: ein kamerataugliches Äußeres (NLP Seminar bereits inkludiert). Völlig irrelevant werden wiederum Eigenschaften wie Lebenserfahrung, Bildung, Kompetenz oder Integrität.

Pest, Cholera, Ruhr oder doch lieber Ebola?

Während sich die Wählerin aus diesem Potpourri von uninspirierenden Langweilern am Wahltag schließlich das jeweils geringste Übel aussuchen darf oder wie in den vergangenen Jahren immer stärker evident wird, gleich zu Hause bleibt, reagiert man auf der Seite der Kandidaten auf die immer häufiger abzusehenden Wahlniederlagen mit einem Sammelsurium an immer gleichen Ausreden, warum man gerade diese Wahl nicht gewonnen hat. Ein Auszug:

  1. Die anderen haben noch mehr verloren
  2. Wir haben eine beispiellose Aufholjagd geschafft
  3. Wir haben die Herzen der Wähler nicht erreicht (sind aber trotzdem super)

Bedeutungsloses Geschwätz, das immer wieder aufs neue variiert wird, der eine oder andere opportunistische Rattenfänger hat es dann nicht mehr schwer, die letzten frustrierten, aber wahlfreudigen Verlierer der Gesellschaft mit den ebenfalls immer gleichen Parolen einzusammeln.

27% ≠ 27%

Der steigende Unmut der Bevölkerung manifestiert sich jedoch bereits seit Jahren in steigenden Nichtwählerzahlen. Von den Medien gern „vergessen“, von den Parteien erfolgreich verdrängt, zeigt sich bei der Betrachtung dieser Zahlen, die alle Wahlberechtigten reflektieren, ein interessantes Bild.

Diesbezüglich darf ich auf eine Grafik meines geschätzten Blogger-Kollegen Martin Schimak hinweisen, in der er alle Zahlen der Wien-Wahl abgebildet hat.  Seinen dazu verfassten Blogbeitrag empfehle ich dringend zur, wenn geht, mehrmaligen Lektüre.

Ich selbst habe mir vor knapp einem Jahr die Arbeit angetan, eine Aufstellung zu rechnen, wie sich bei Nationalratswahlen der Anteil der Nichtwähler in den vergangenen Jahren stetig vergrößert hat.

Söba schuid

Vergangenen Sonntag also wurde in Wien gewählt und wieder sah man wahlweise schockierte oder strahlende Gesichter auf Seiten der Politik – was kaum jemand festgestellt hat ist, dass es auf der anderen Seite ausschließlich Verlierer gab: die Wähler und Wählerinnen.

Wir müssen uns nach jeder Wahl aufs Neue anhören, warum wir wieder nicht verstanden haben, was der Berufspolitiker uns eigentlich sagen wollte und auf gut Deutsch – warum wir auch diesmal wieder zu dumm waren die Richtigen zu wählen. Als Draufgabe schließlich eine Aussage, die ich noch am Wahlabend hörte: „Es ist ja egal, wie viele wählen gehen, Hauptsache wir gewinnen am Ende. Selbst wenn wir nur mehr von 10 % der Leute gewählt werden. Sind halt selber schuld, wenn sie nicht wählen gehen.“

Die Demokratie schafft sich ab

Sind wir wirklich selber schuld? Gut möglich, schließlich gibt es die Aussage, dass jedes Volk genau die Politiker hat, die es verdient, schon länger. Ich persönlich jedoch glaube nicht daran, dass wir als Wählerinnen schuld sind. Die gestaltende Kraft liegt noch immer in der Politik, auch wenn viele das nicht mehr glauben wollen.

Und selbst wenn ich den politisch Aktiven, die wirklich etwas dazu beitragen wollen, dass sich in unserem Land etwas ändert, jetzt unrecht tue, aber es sei hier trotzdem gesagt: Entweder ihr Wenigen stellt euch jetzt hin und tut etwas dagegen, oder aber der politische Mainstream, der träge untätige Moloch, der aus Funktionärinnen und Kadersoldaten, aus Postensammlern und Demokratieabschafferinnen besteht, wird weiter nichts tun. Wird weiter nur sich selbst versorgen, wird die Bildung im Land so lange verkommen und aushungern lassen, bis wir wieder dort landen, wo wir schon vor vielen Jahren einmal waren. Ob es sich dabei ums Mittelalter handelt oder um die Zeit von 1938 – 1945 ist letztlich irrelevant.

Susanne, 13. Oktober 2010

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