Der erste Tag im Spital ist immer ein bisschen traurig. Man tauscht sein wohlig-gewohntes Zuhause gegen ein schmuckloses Spitalzimmer, das in bleichem Bananengelb gestrichen ist. Unter dem kalten Neonlicht wird man fortan in den Arbeitsablauf dieser öffentlichen Heilanstalt integriert. Und man lernt neue Leute kennen, welche die anderen vier Betten bevölkern, und ihre eigenen Problemchen pflegen.
Allein unter Greisen
Ein Krankenhaus ist nichts für eher jüngere Semester wie mich. Ehrlich, ich habe absolut nichts gegen alte Menschen. Auch nicht im Besonderen gegen alte Männer. Die stellen nämlich die Hauptpopulation des Ökosystems Spital dar. Und mit Hauptpopulation meine ich einen circa 99,98-prozentigen Anteil an der Patientenschaft. Was ein klein wenig beängstigend ist.
Ich bin also umringt. Von Greisen die am Tropf hängen und wenig sprechen. Und manchmal auch verwirrt sind. Ein besonderer Fall ist Herr G.. Herr G. liegt anderthalb Meter links von mir. Und derzeit schnarcht er seelenruhig, was öfters vorkommt. Herr G. ist 92, sieht jünger aus, benimmt sich aber genau so. Mit 92 darf man gebrechlich und verwirrt sein und hat die Lizenz zum Schnarchen. Das wäre mir eigentlich noch egal. Doch da meine Schilddrüse mir einen sehr leichten Schlaf beschert, gehört nun ein Pärchen Oropax zu meinem Survivalkit.
Herr G. telefoniert
Mein Nachbar hat auch – wie alle anderen von uns – ein Telefon über seinem Bett baumeln. Dieses war in den letzten Tagen so eine Art umfangreiches Hobby für ihn. Zum Einen lasst sich damit bei Bedarf ein/e KrankenpflegerIn rufen (Statistik – Ich: 0 mal, Herr G. ca. 759 mal). Meistens hat Herr G. das Problem aber schon vergessen, wenn ein Vertreter des sehr bemühten Krankenhauspersonals eintrifft. Dass jene Bediensteten das stets mit stoischer Freundlichkeit akzeptieren, ist in der Tat bewundernswert.
Zum Anderen kann man mit so einem Telefon eben telefonieren. Der Apparat von Herrn G. ist dafür auch freigeschaltet, was für ihn aber nur beschränkt Nutzen bringt. Besagtes Gerät verfügt nämlich über 21 Tasten, was gemessen an Herrn G.s stetiger Überforderung rund 18 zuviel sind. Nach ungefähr 20 Wählversuchen (gefolgt von einem erwartungsvollen „Hallo“ in den Hörer) gibt Herr G. es meistens auf, seine Frau anzurufen. Die kommt ohnehin täglich zu Besuch und ist übrigens eine herzerwärmend nette, alte Dame. Nach der Kapitulation von Herrn G. baumelt das Telefon einsam vor sich hintütend über seinem Bett. Bis es jemand ausschaltet, dem das durchgehende Tüten zuviel geworden ist.
Herr G. wird auch manchmal angerufen. Was Vor- und Nachteile hat. Einerseits freut er sich sichtlich, mit Verwandten und Bekannten zu reden (nachdem jemand für ihn abgehoben hat). Andererseits vergisst Herr G. gerne den Klingelton des Spitaltelefons. Und wie der Rest von ihm haben auch seine Ohren 92 Lenze am Buckel. Was folgende Konsequenz hat:
Wann immer in diesem Zimmer ein telefonartiges Geräusch ertönt – und sei es der Schlager-Klingelton der Besucherin eines anderen Zimmerkollegen – greift Herr G. nach dem Hörer. Dann dreht er ihn vier mal herum, bis er sich für eine seiner Meinung nach richtige Anordnung von Hörmuschel und Mikrofon entschieden hat. Anschließend meldet er sich mehrere Minuten mit „Hallo“ bei seinem nichtexistenten Gesprächspartner. Ich bin mir bis jetzt nicht sicher, ob es moralisch gesehen richtig ist, das lustig zu finden.
Herr G. macht mobil
Irgendwie habe ich aber ein Recht darauf, was ein klein wenig mit ausgleichender Gerechtigkeit zu tun hat. Herr G. soll nicht selber aufstehen und schon gar nicht irgendwohin gehen. Herr G. schert sich aber auch nicht übermässig um die Anweisungen des Pflegepersonals. Oder er vergisst sie einfach, wie man’s nimmt. Jedenfalls hat mich mein Nachbar nicht nur am Einschlafen gehindert, sondern auch jüngst mitten in der Nacht geweckt. Weil er sich stöhnend und ächzend wie ein altes Transportschiff aus seinem Bett erhob und die Wand entlang aufs Klo schwankte.
Ich muss ihm wiederum Respekt zollen, denn er schaffte es entgegen meiner Erwartung (weswegen ich alarmbereit den Finger am Notknopf hatte) unversehrt hin und zurück. Um sich dann genauso ächzend und stöhnend wieder hinzulegen.
Irgendwie ist er ja cool, der Herr G.