Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist in unseren Breiten der populärste Indikator für Wohlstand. Es ist nicht unumstritten, trotzdem aber medial und politisch omnipräsent. Im BIP spiegelt sich zu gewissen Teilen das Handlungsvermögen einer Volkswirtschaft. Viele wichtige und wichtigere Aspekte berücksichtigt es aber nicht. Eine Bestandsaufnahme.

Das Bruttoinlandsprodukt misst die Wertschöpfung eines Landes in einer Periode (meist einem Jahr). Unter Wertschöpfung versteht man den Mehrwert, den ein Unternehmer aus der Verarbeitung oder dem Handel mit einem Gut oder einer Dienstleistung lukriert. Kauft der Bäcker Mehl um 10 Geldeinheiten (GE) und Wasser um 5 GE und verkauft das aus diesen beiden Zutaten gefertigte Brot dann um 20 GE, hat er einen Wert von 5 GE geschöpft.

Verzerrungen

Das BIP versteht sich als Indikator für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Seine große Schwäche baut auf der Tatsache auf, dass es nur den formellen, auf Marktpreisen basierenden Sektor, misst. So finden Schwarzarbeit, unbezahlte Tätigkeiten (Ehrenamt, Hausarbeit, Nachbarschaftshilfe), Subsistenzwirtschaft (Selbstversorgung mit Lebensmitteln und anderen Gütern) oder mit dem Wertschöpfungsprozess einhergehender Umweltschäden keine Berücksichtigung.

Das kann vor allem im internationalen Vergleich zu Verzerrungen führen. Ein hochsolidarisches Land, in dem sich viele freiwillig engagieren und Nachbarschaftshilfe zum guten Ton gehört, erreicht ein viel geringeres BIP als ein Land, bei dem das alles auf dem Markt zugekauft werden muss. Genauso gibt das BIP die wirtschaftliche Stärke von Entwicklungsländern tendenziell zu niedrig an, weil hier ein noch viel größerer Grad an Subsistenzwirtschaft herrscht.

Mehr Netto statt Brutto

Weiters wird oft kritisiert, dass das BIP die Kosten, die mit der Produktion einhergehen, nicht angemessen berücksichtigt. Wenn ein Unternehmer jetzt Erz abbaut, dann verbraucht er die Bodenschätze eines Landes. So kann das BIP als der Umsatz eines Landes gesehen werden. Um die viel wichtigere Kennzahl, den Gewinn, berechnen zu können, muss man vorher die mit dem Produktionsprozess einhergehenden Kosten abziehen.

In der Betriebswirtschaft ist das allgegenwärtig und wird unter dem Begriff Abschreibung zusammengefasst. Eine volkswirtschaftliche Adaption wäre äußerst sinnvoll. Das gewährleistet eine nachhaltigere Berücksichtigung von wirtschaftlichem Wohlstand. Und so kommt man von einem Bruttoinlands- zu einem Nettoinlandsprodukt.

Das BIP versagt als Wohlstandsindikator

Damit möchte ich nur einige Kritikpunkte, denen teilweise schon mit Zusatzrechnungen begegnet wird, aufgreifen. Meine weitere Konzentration soll wirklichen Wohlstandsindikatoren gelten. Das BIP misst die Stärke einer Volkswirtschaft. Diese ist von enormer Bedeutung um Wohlstand für die breite Masse gewährleisten zu können, aber trotzdem nur als Teil eines Ganzen von Relevanz.

So gilt meine Kritik nicht dem BIP als Indikator für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit allein, sondern vielmehr der weitläufigen, missbräuchlichen Verwendung als Wohlstandsindikator. Faktoren wie Umwelt, Gesundheit, Sicherheit oder Freiheit lässt es außen vor. Einer der Mitbegründer des BIPs, Wirtschaftsnobelpreisträger Simon Kuznets, hat bereits in den 30iger Jahren darauf hingewiesen, dass das BIP sich nicht als Wohlstandsindikator eignet.

Politiker ebnen den Weg

In HR Info, einem Radiosender des Hessischen Rundfunks, wurde erst vor kurzem eine Sendung über diese Thematik ausgestrahlt. Nachhören ist online möglich.

Sie handelt unter anderem auch von der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“, deren Einsetzung vom deutschen Bundestag beschlossen wurde und die sich erst am 17. Jänner dieses Jahres konstituiert hat. Aufgabe dieser Kommission ist es unter anderem, einen neuen Indikator für Wohlstand als Alternative oder Ergänzung zum BIP zu erstellen. Danke an Michael Cerveny für den Hinweis.

Auch der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat vor zwei Jahren eine mit großen Namen besetzte Kommission (u.a. mit Stiglitz, Sen) ins Leben gerufen, die ein ähnliches Ziel verfolgt. Man merkt daran, dass für diese Problematik durchaus schon Bewusstsein in den Köpfen der Politiker vorhanden ist.

Im Laufe der Zeit wurden bereits einige Indizes erstellt, um den Entwicklungsstand oder Fortschritt einer Gesellschaft messen zu können. Welche das sind, auf welchen Kriterien diese aufbauen und ob hier schon das letzte Wort gesprochen ist, wird im zweiten Teil dieses Artikels behandelt, der am Donnerstag (3.2.) folgt.

Dieser Artikel wird parallel auf zuwi.at veröffentlicht.

Bild “Wolken”: © Himi / PIXELIO
Bild “Gleis”: © Erich Westendarp / PIXELIO

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