Als ich mich Freitag Abend, kurz vor 18h auf den Weg zum ersten Treffpunkt der NoWKR Demo bei der Alser Straße aufmachte, war ich aufgeregt, und noch viel mehr als das – ich hatte richtig Angst. Die Stunden zuvor, hatte ich damit verbracht unzählige Meldungen und Berichte zur bevorstehenden Demo zu lesen, und mit jeder Meldung, mit jeder neuen Nachricht, stieg meine Empörung bis ins Unerträgliche. Verbieten und Gebieten, Anmelden und wieder Abblasen der Kundgebungen und Demonstrationen, eine Frotzelei, eine strategische Provokation seitens der Politik, die reinste Verhöhnung des Rechts auf Versammlungsfreiheit. Meine Schlussfolgerung: die Demo wird massiv. Massiv, brutal und wütend, in jeder Hinsicht. Sowas lässt sich niemand gefallen.
Wut resultiert aus Hilflosigkeit, und ist mit Sicherheit unreflektiert – kein guter Start für „Die Lange Nacht der Repression“. Wut gepaart mit kollektiver Intelligenz der Masse – womöglich die spannendste Demoerfahrung seit langem. Eventuell lehne ich mich etwas zu weit aus dem Fenster, aber ich denke doch, NoWKR 2011 war ein regelrechter Erfolg im Vergleich zu den Demonstrationen der letzten Jahre.
Während ein obszönes Überangebot an PolizistInnen bereits in den Nachmittagsstunden, wahllos aber motiviert, Studierende vor den Universitätsgebäuden am Campus und beim Hauptgebäude perlustrierte, wurde allen schnell bewusst, dass der Erfolg des Abends mit Sicherheit dezentral sein wird. Twitter, Facebook und die gute alte SMS-Kette, waren verlässliche PartnerInnen – alle paar Sekunden ein neues Update wohin es gehen soll, wo Kesselungen stattfinden, die Anzahl der Verletzten und Inhaftierten, die Menge der Protestierenden. Die Exekutive – schwerstens bewaffnet mit Helm und Schild – immer ein paar Minuten hinterher, träge japsend in ihrer Schutzuniform. Alles in bester social media Manier – bis zu dem Zeitpunkt an dem wir uns selbst zensierten.
Misstrauen den eigenen Medien gegenüber
„bitte keine treffpunkte mehr twittern – die polizei liest mit“ hieß es ab ca. 21:00 – Zwei, drei Treffpunkte wurden noch durchgesagt, mehrere User als falsche Fährten geoutet. Doch die Verunsicherung war geboren. Und sie stand von nun an nicht mehr nur im virtuellen Raum, sondern raubte der motivierten aber durchgefrorenen Truppe einiges an Energie. Man könnte sich darüber den Kopf zerbrechen, ob das Twittern von Treffpunkten klug ist oder nicht. Man könnte sich auch fragen wo und wie „die Polizei“ in unseren Quellen mitliest und ob sie auch den SMS Verkehr beobachten, und die Handys abhören, und wieviele „Zivile“ mitmarschieren. Man kann es auch einfach lassen. Will man in diesen Belangen konsequent sein – bleibt das Handy abgedreht zuhause am Tisch liegen und basta. Und gesprochen wird sowieso mit niemandem mehr, denn wem kann man in Zeiten wie diesen überhaupt noch trauen.
Ein Schuss ins Knie. Und bei Demonstrationen, bei denen es bekanntlich auf die Masse ankommt, fatal. Plötzlicher Informationsstopp führt zu Verwirrung, Verwirrung zu Verunsicherung, Verunsicherung zu Wartezeiten – und Wartezeiten dazu, dass sich Einzelne und schließlich ganze Gruppen abspalten und nach Hause gehen. Besonders wenn es Minusgrade hat.
Der große Erfolg von Freitagabend lag nichtsdestotrotz in seiner Dezentralität. Kleine Gruppen, großflächige Versammlungsorte, und Tempo. Versammeln, Krachmachen, Straßen blockieren und schnell wieder weiter. Zum ersten Mal kein Kräftemessen von linkem Block und Exekutive à la Prügelstocksymphonien vs. gruppendynamischen Randalieraktionen. Die Bilanz an Verhaftungen, Ausschreitungen und Zerstörung vom Vorjahr wurde in jeder Hinsicht weit unterschritten. Die eingeschlagene Auslagenscheibe der Fa. Kleiderbauer (!!) in der Mariahilferstraße, eine Frage der Zeit und Szene – nachdem sich der Prozess rund um den Tierschützer-Verein VgT immer mehr zu einem Paradebeispiel österreichischer Justizskandale entwickelt.Vergleiche mit Kairo und Tunis – indiskutabel.
Wozu das Ganze?
Was bleibt, ist die Frage nach dem Grund für diese massive Überrepräsentation an Polizeikräften. Hat es was mit den mysteriösen BeobachterInnen des Projekts GODIAC (PDF) zu tun? Ist es reine Willkür und Repression? Wohl kaum. Versteht mich nicht falsch, aber bei der Menge an Polizei-Wannen, Wasserwerfern und WEGA-Einsatzkräften hätte man viel stärker zuschlagen können. Unzählige Leute mehr verhaften, perlustrieren und knüppeln. Repression ausleben, wie wir es aus dem Jahr zuvor schon kennen. Also wozu der ganze Zirkus?
Nach Stunden des Kopfzermarterns über mögliche Motive und Strategien, blitzt plötzlich Michel Foucault durch meinen Kopf. Die Souveränität der Macht. Wie immer. Wie konnte ich das vergessen? Der ganze Tanz, 1300 offizielle Einsatzkräfte – nichts weiter als ein Catwalk der Regierung. Die Polizei und die Linken. Das Feindbild der radikalen, rebellierenden Linken, der gewalttätigen, blinden Masse an dissidenten Systemschmarotzern. Und das muss aufrecht bleiben, also muss Polizei her. Je größer die Bedrohung, desto mehr Polizei. Oder? Je mehr Polizei, desto größer die Bedrohung? Wie war das nochmal? Da ist sogar der ORF für eine Berichterstattung zu stark verwirrt.
Als der Demozug gegen 19 Uhr friedlich den Urban-Loritz Platz erreicht, schiessen plötzlich aus allen Gassen und Winkeln Polizeiautos auf den Platz. Die Türen der Busse öffnen sich, schwerst bewaffnet stürmen Polizisten auf den sich mit DemonstrantInnen füllenden Platz. Helme, Schilder, Schlagstöcke, Waffen. Blaulicht und Sirenen, ein alarmierendes Szenario. Mitten im Trubel, völlig versteinert – eine junge Mutter mit einem Säugling im Kinderwagen und einem Kleinkind an der Hand. Hin- und hergerissen zwischen Panik, Flucht und der Suche nach Orientierung, wendet sie sich an einen der umherstehenden Polizisten. „Hauns besser schnell ab, da is gefährlich. Da kummt a Haufen Radikaler!“ sagt er, und man könnte fast meinen, er habe recht, als Minuten später Mistkübel und Zeitungsboxen brennen.
Am Ende verrennt man sich auf der Suche nach der Erkenntnis, der Conclusio und dem „Was lernen wir aus NoWKR 2011?“. Eins ist aber gewiss: wir können es immer besser machen. Nächstes Jahr noch besser vernetzt, noch dezentraler, noch friedlicher. Unser Bild in der Öffentlichkeit ist nichts, was wir ohne eine Revolution der Bildung stärker beeinflussen könnten als wir es bereits tun. Vermeiden wir das Nähren der konstruierten Vorurteile durch weitere rauchende Mülltonnen, und die Exekutive wird sich bei ihrem Kabarett der Uniformen selbst enttarnen.
Foto: Christopher Glanzl