In der Diskussion um Wikileaks gab es öfters das Argument, dass die geleakten Dokumente ja meist nichts erzählen würden, was nicht ohnehin schon jeder wusste. Aktuell belegt die Whistleblower-Plattform zum Beispiel in den Guantánamo-Akten, dass im US-Gefängnis gefoltert und auch bewusst Unschuldige inhaftiert wurden (aber auch, dass manche Inhaftierte tatsächlich in Terroroperationen involviert waren). Natürlich sind diese Vorwürfe nicht mehr neu. Ehemalige Inhaftierte wie Murat Kurmaz und Filme wie Road to Guantanamo erzählen davon seit Jahren. Doch was Wikileaks verändert, ist die Qualität der Belege.
Medien müssen sich dank solcher Dokumente nicht mehr auf Betroffene beziehen, deren Vertrauenswürdigkeit ich als Leser nicht beurteilen kann und deren Behauptungen offizielle SprecherInnen einigermaßen einfach zurückweisen können. Die Betroffenen sind dadurch nicht die Belege für Behauptungen, sondern die Veranschaulichung der heftigen Fakten.
Die Dokumente sind für das Faktische glaubwürdiger, weil sie nicht zur Veröffentlichtung gedacht waren, sondern zur umfassenden internen Information und Dokumentation. Ob sie die ganze Wahrheit berichten? Oder ob die Informationen über externe Sachverhalte immer richtig sind? Das sind legitime Fragen. Doch die unschönen Dinge, die sie über die „eigene Seite“ enthalten, darf man als wahr annehmen. Man kann vielleicht die Motivation eines Ex-Gefangenen anzweifeln, aber nicht die Dokumente der US-Regierung, die seine Geschichte belegen.
Dieser Unterschied schlägt sich auch merkbar in der Berichterstattung der Medien nieder. Bei einer Beobachtung der New York Times fand The Atlantic Wire heraus, dass sich die Zeitung in mehr als der Hälfte ihrer bisherigen 2011er-Ausgaben auf Wikileaks-Dokumente bezog (obwohl das Verhältnis zwischen Assange und der NYT als schwierig gilt). Sehr oft seien etwa die US-Diplomatiedepeschen („Cables“) nun an die Stelle der Berichterstattung getreten, wo früher Aussagen von ungenannten Quellen standen. Statt „eine vertrauliche Person aus Regierungskreisen“ oder „einen anonymen Diplomaten“ werden nun die Cables zitiert (und optimalerweise verlinkt).
Dieser Unterschied – die Verlagerung der Belege vom anonymen Hörensagen auf handfeste, allgemein zugängliche Dokumente – ist eine entscheidende Veränderung für die Glaubwürdigkeit des Journalismus.
Hier noch ein kleines Experiment mit Storify (mein Account). Erbitte auch Feedback dazu.