Ende Jänner demonstrierten ein paar hundert Menschen gegen den WKR-Ball in der Hofburg. Einige von ihnen wurden in der Westbahnstraße durch die Polizei gekesselt und aufgeschrieben. Zwei Monate später folgten die ersten Anzeigen, wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ durch „Blockieren der Fahrbahn“ und Laufen „entgegen der angezeigten Fahrtrichtung“ in einer Einbahn. Dann erfuhr die Polizei, dass die Westbahnstraße im betroffenen Abschnitt gar keine Einbahn ist.
Für einen Artikel in der über.morgen hatte ich mir schon im April die Westbahnstraße etwas genauer angesehen und verwundert festgestellt, dass sie im betroffenen Abschnitt, zwischen Kaiserstraße und Neubaugürtel, in beide Richtungen befahrbar ist. Die DemonstrationsteilnehmerInnen waren also im Sinne der StVo völlig vorschriftsmäßig unterwegs gewesen.
Neue Anzeige, neuer Vorwurf
Die Mühlen der Wiener Polizei mahlen langsam, können dafür aber auf solche Kleinigkeiten reagieren. Ich weiß nicht, ob die Verantwortlichen den Artikel gelesen oder ob Angezeigte Einspruch eingelegt haben, jedenfalls sind Anzeigen, die im Mai ausgeschickt wurden nun anders formuliert.
Der neue Vorwurf passt besser zu den örtlichen Begebenheiten. Die später Angezeigten müssen nicht für das Laufen gegen eine nicht existierende Einbahn bezahlen, sondern weil sie „an einem geschlossenen Zug von Fußgängern teilgenommen“ haben, der sich nicht an das Rechtsfahrgebot gehalten hatte und „auch auf der linken Fahrbahnhälfte gegangen“ ist.
Demonstrationen und die StVo
Geschlossene Züge von Fußgängern müssen sich laut Gesetz tatsächlich an einige Paragraphen der StVo halten. So gilt das Rechtsfahrgebot nach einem Urteil des OGH (1998) für sie als „Rechtsgehgebot“ und auch an Sperrlinien, Stopptafeln, Vorschriften für die Fahrzeugbeleuchtung und zur Signalisierung von Spurwechseln haben sie sich zu halten.
Ein „geschlossener Zug“ ist laut demselben Urteil durch „das Zusammengehörigkeitsgefühl der Teilnehmer, welches auch in der äußeren Ordnung ihren Ausdruck finden muss, gekennzeichnet“. Die OGH-Urteile dazu beschäftigen sich vor allem mit Personenzügen des Bundesheers. Inwieweit bei einer Demonstration von einer ähnlichen „Geschlossenenheit“ gesprochen werden kann, finde ich zumindest fragwürdig. Kann in Zukunft jedeR TeilnehmerIn an einer Demonstration herausgefischt und angezeigt werden, wenn irgendwer auf der falschen Straßenseite geht?
Ich habe in den letzten Jahren, vor allem seit den unibrennt-Besetzungen, jedenfalls an zahlreichen Demonstrationen teilgenommen. Ich bin dabei gegen Einbahnen gelaufen, war bei Nacht ohne Beleuchtung unterwegs, bin bei Stopptafeln grundsätzlich nicht stehen geblieben und habe kein einziges Mal beim Abbiegen geblinkt. Meistens war die Polizei in Sichtweite, darauf hingewiesen, dass ich eine Verwaltungsübertretung begehe oder gar angezeigt wurde ich nie.
Die Kosten öffentlicher Meinungsäußerungen
€50 sind laut der mir vorliegenden Anzeige für die Missachtung des „Rechtsgehgebots“ fällig. Noch einmal €50 für die „Störung der öffentlichen Ordnung“ durch Blockieren der Fahrbahn für „zwei Stunden“. Tatsächlich war die Westbahnstraße damals durch Fahrzeuge und Personal der Polizei blockiert, für den Verkehr und die Gekesselten. Letztere durften die Straße zwei Stunden nicht verlassen und müssen nun bezahlen, weil sie die Straße zwei Stunden „blockierten“.
Wenn öffentliche Meinungsäußerungen jedes Mal €100 kostet, dann werden es sich viele Menschen zweimal überlegen, bevor sie sich einer Demo anschließen. Vermutlich ist das auch der Grund für das Vorgehen der Wiener Polizei.