Die Enthüllung, dass die syrische Bloggerin Amina von „A Gay Girl in Damascus“ in Wahrheit Tom aus den USA war, löste interessante Reaktionen aus. Das Blog hätte einfach so schön die Hoffnungen vieler für den Nahen Osten erfüllt, lautet eine Erklärung. Und das ist natürlich bis zu einem gewissen Grad richtig. Eine liberale, lesbische Syrerin erlebt die Öffnung der arabischen Gesellschaften? Wir wollten das glauben. Natürlich! Nun aber regiert eine Reaktion das Geschehen, die kein bisschen klüger ist.
Solche Geschichten könnte es gar nicht wirklich geben. Nur die Gutmenschen könnten auf sie hereinfallen. Für die ZynikerInnen dient die Entlarvung von MacMaster als Beweis, dass es keine Amina geben kann. Eine Fiktion, die vorher den Gutgläubigen in die Hoffnungen spielte, dient den Schlechtgläubigen nun auch als nichts anderes als die Bestätigung ihrer Erwartungen.
Die wenigsten, die Amina für echt gehalten haben, haben wohl jeden Satz des Blogs gelesen und auf Plausibilität gecheckt. Das hat sich als Fehler herausgestellt. Aber es ist ein Fehler, den jeder Mensch täglich dutzende Male machen könnte und macht. Die „Oh mein Gott, wie konntet ihr das nur glauben?! LOL!“-Schreier machen sich mit dieser Betrachtung im Rückspiegel schwer lächerlich (eine Berechtigung hätten Menschen, die schon vorher darauf hingewiesen hätten – mir ist niemand bekannt).
Hinterher ist es einfach, clever zu sein. Doch im Alltag kann man weder alles überprüfen, was man täglich aufschnappt, noch hinterfragt man alles ausreichend. Manches glaubt man, manches nicht. Wir alle fallen damit ab und zu auf die Schnauze – alle von der negativsten Schwarzseherin bis zum überschwänglichsten Optimisten (manche öfter als andere). Selbst der gemäßigteste Realist wird überrascht. Eine individuelle Erwartungshaltung kann der Welt besser oder schlechter entsprechen, aber niemals der Vielfalt allen menschlichen Handelns gerecht werden.
Der unangebrachte Spott
Auch wenn es der Spott der ZynikerInnen im Moment suggeriert, ist es schon allein deshalb keine Schande, auch eine geschickte, positive Geschichte einfach mal zu glauben (man glaubt ja auch die negativen Fakes). Was wäre schon die Alternative gewesen? Es brauchte neben dem Zweifel über die Plausibilität auch die Motivation das Gegenteil beweisen zu wollen. Und schlussendlich waren es aufwändige Recherchen von bezahlten JournalistInnen, die es taten. Das will und kann nicht jeder leisten.
Das Auffliegen der Amina bedeutet nichts anderes, als dass der Blog ein Fake war. Es bedeutet nicht, dass es eine wie sie nicht wirklich unter den 20 Millionen BewohnerInnen des Landes gibt. Vielleicht bloggt sie nicht auf Englisch. Vielleicht bloggt sie einfach gar nicht. Immerhin ist das gefährlich. Wahrscheinlich würde eine solche manche Dinge auch nie so schreiben, wie es Tom MacMaster in seiner Fiktion getan hat. Vielleicht gibt es eine wie sie auch gar nicht. Weil der Fake eines einzelnen Blogs nichts über die Wahrheit in Syrien aussagt, bleibt die Einschätzung darüber eine des Welt- und Menschenbilds.