london brennt und wir bekommen das mit. live. brennende straßenzüge, wild tretgitter gegen geschäftsfassaden schmeissende junge menschen. kapuzenpullover, turnschuhe. treten, schlagen, stehlen, laufen. raubzüge. ungehorsam. alles verbrecher?
schwierig verständnis zu zeigen wenn der inhalt des eigenen lebensunterhalts in scherben vor einem liegt. nicht einfach die gewalt zu legitimieren, zu entschuldigen während man vor dem eigenen autowrack steht. wenn nächte lang sirenen heulen. polizeihunde zähne fletschend polizeibeamte durch die straßen zerren. schüsse fallen. bilder einer rauchenden stadt. finanzkrise, revolte, krieg. „da muss man für ordnung sorgen!“ „wir brauchen schutz“ „wer alt genug ist zu plündern..ist auch alt genug für harte strafen.“ ja da nickt man. schließlich ist man gegen gewalt, lebt lieber den friedlichen weg, sucht den konsens. „leben und leben lassen..“ alles ist relativ und vieles sehr schwierig. ratlosigkeit. vorsicht. schließlich wählt man grün. und spendet für humana.
nun gut. hartes durchgreifen also. 16 000 polizisten in voller montur. waffen, gesichtsschutz, bereit dem mob an räubern an ordnung zu erinnern.
als michel foucault vor dem hintergrund der pariser studentInnenunruhen 1968 seine ersten überlegungen zum begriff MACHT notierte, saßen bilder wie sie momentan über soziale medien auf unsere bildschirme finden, tief in seinem mark. ergriffen von der unglaublichen wucht und energie mit der die gefühle und forderungen im mai 68 hochschnellten. die protestierenden von london sind keine studierenden wie damals in frankreich. keine gebildeten, bewussten und informierten mit zukunftsaussichten und gutem elternhaus. und dennoch ändert es nichts an der form des kampfes: was auf den ersten blick womöglich wie eine fehlanalogie erscheint, erweist sich schlicht als passend. aber alles der reihe nach.
schockiert von brennenden autos formulierte foucault sechs thesen, die das verhältnis von macht und subjekt im sozialen kampf einkreisen, und die proteste von london, die proteste in nordafrika, chile und sogar oslo in ein fassungsloses verständnis rücken, das unmissverständlich klar macht, dass gewalt gegengewalt erzeugt. und aus machtdemonstration, unterdrückung und ignoranz eine stimme erwächst – die oft anfangs stammelnd durch straßen ziehend verwüstungen verursacht. machtlosigkeit wandelt sich in ein unendlich produktives und mächtiges monster, opfer werden zu tätern. sich gegen weitere entmündigung wehrend, beginnt die masse zu kämpfen.
- soziale kämpfe sind transversal. sie beschränken sich nicht auf ein bestimmtes land oder eine spezifische regierungsform. diktatur und demokratie verschwimmen im 21. Jahrhundert. was nicht passt wird passend gemacht. manipualtion durch medien, konsensfindung in polemischer berichterstattung, reduzierung von komplexität hier und dort. staatliche machtdemonstration.
- soziale kämpfe zielen auf die auswirkungen der macht als solche. nicht allein die tatsache das auf dem rücken der menschen geschäfte abgeschlossen, staatsbudget verspekuliert wird, gehälter gekürzt, öffentliche absicherungen privatisiert und gekürzt werden, sorgt für wut. fremdbestimmung über fremdes leben, der akt der grenzüberschreitung, bewusste aussetzung in die perspektivlosigkeit an sich wird zum entzündungsmoment. autoritäres durchgreifen des staates, lässt bürgerInnen mit einem gefühl des gezüchtigt-werdens zurück. und den schalen beigeschmack des erhobenen staatlichen zeigefingers. „Das ist die Sprache dessen, was die Griechen Tyrannei nennen. Die Führer sprechen zu ihren Untertanen, als wären sie kleine Kinder.“
- soziale kämpfe sind unmittelbar. die menschen bekämpfen diejenigen machtinstanzen zuerst, die ihnen am nächsten liegen. nach dem hauptfeind – der regierung – wird im ersten moment nicht gefragt. blind richtet sich die wut gegen den ort an dem mittellosigkeit am massivsten gespürt wird: konsum. und so strömt der „überschaubar große(r) Mob von Kriminellen aus armen Vierteln“ durch die einkaufsstraßen wie die zombies in „dawn of the dead“. infiziert vom thrill der masse geniessen sie einige minuten die illusion materieller wunschlosigkeit, zivilen ungehorsams und macht.
- es sind kämpfe, die den status des individuums infrage stellen. ein bild des widerständigen wird konstruiert, der anders ist als der rest. der sich wehrt und sich nicht alles gefallen lässt, und der doch! und das macht die situtation so prekär: alles bekämpft, das zwanghaft versucht ihn von den anderen individuen zu separieren. in dem moment in dem die eigene apartheid spürbar wird. und mit ihr die ganze vorraussetzungskette des andersseins. „diese kämpfe sind nicht im engeren sinne für oder gegen das individuum gerichtet, sondern eher kämpfe gegen das, was man ‚Regieren durch Individualisieren‘ nennen könnte.“ (Foucault, 1995: Analytik der Macht. S244ff.) teile und herrsche.
- wissen, qualifikation und kompetenz. diese kämpfe richten sich im weiteren gegen die privilegien des wissens. wissen und alle begleitformen des wissens: verheimlichung, mystifizierung und verzerrung der wahrheit. bildung, unbildung, wissensbasierte autoritäten wie universitäten und deren ökonomisierung, informationspolitik, manipulierung von und mittels medien. wissen ist macht. nicht wissen.. ohnmacht. rupert murdoch, wiki leaks werden zu stellvertretern einer macht-wissen schere die immer weiter aufgeht.
- soziale kämpfe erkämpfen sich identität. institutionen produzieren identitäten deren annahme funktioniert. eine armee an erzwungener gleichheit. eine inquisition an identitätsfaschismus: ökonomische, ideologische, administrative und wissenschaftliche diktatur des seins. konstrukte aus regeln, funktionierende elemente eines feinmaschigen, funktionablen allumfassenden plans..
die hier aufgezählten punkte machen sinn. sie verwandeln unmündige, unterdrückte individuen in einen mob aus wut und anarchie, wandeln apathie in potenz. ohnmacht in kraft. macht wird heute nicht nur direkt ausgeübt. sie zielt auf das handeln der individuen, lässt sie handlungsunfähig zurück oder diktiert ihnen eine andere. zwingt sie in ecken. aber ihre mechanismen sind stets ähnlich. sei es die jugend von london, seien es rechtspopulisten, sei es breivik. der akt des kampfes, die rigorose selbstermächtigung bleibt diegleiche.
mark duggans tod war ein direkter machtmissbrauch. mittlerweile haben ballistikauswertungen, mark duggans unschuld ergeben. der einzige schuss der an diesem abend fiel, traf ihn selbst. 16 000 bewaffnete sondereinheiten wirken unter diesen umständen wie öl ins feuer. und nähren in jedem einzelnen der sechs punkte, die wunde. nicht: wie kams zu diesen revolten, wie können wir sie aufhalten, sollten wir wissen wollen. wohin wird das alles führen.. das ist die entscheidende frage. informationen ohnen ende, live-ticker, live-schaltungen und bilder.. es braucht philosophInnen um das alles zu verarbeiten und zu verstehen.
london, foucault und das wissen um die eigene macht..losigkeit.