Kaum jemand dürfte es verpasst haben: Jean Ziegler sollte diesen Sommer bei den Salzburger Festspielen die Eröffnungsrede halten. Kurzerhand entschied man sich aber um und ließ den Schweizer doch nicht zu Wort kommen (weshalb, darüber wird spekuliert). Ziegler entschloss sich, seine Rede trotzdem zu veröffentlichen und hat das via YouTube getan. Ich habe sie mir angesehen (zugegeben, etwas spät) und ein paar Gedanken dazu zu Papier bzw. auf den Bildschirm gebracht.
Wer Ziegler kennt, der kennt auch seine polarisierende Aussage: „Ein Kind das heute verhungert, wird ermordet“. Doch ist dem wirklich so? Klar wirkt der Kontrast zwischen Reich und Arm auf dieser Welt pervers. Die einen ersticken langsam im Überfluß, die anderen verhungern in der trockenen Wüste. Doch könnte man mit dem Geld der einen das Leid der anderen verringern? Teilweise bestimmt. Doch das geschieht auch bereits jetzt. Die Behauptung, man müsste nur genug Dollar in die Hand nehmen und der Hunger würde verschwinden (was Ziegler nicht sagt, mit seinen Vereinfachungen aber impliziert) halte ich für Blödsinn. Zu vielschichtig und komplex ist die Problematik. Das spielen Interessen lokaler Eliten, mangelhafte Eigentumssysteme und jede Menge volkswirtschaftlicher Schwierigkeiten (fehlende Skalenerträge, Koordinationsfehler, etc.) mit.
Dass unser Reichtum die Kinder in der Dritten Welt verhungern lässt, lasse ich schlicht und einfach nicht gelten. Unsere Art Güter zu produzieren und vor allem die Lust diese zu konsumieren killt zwar die Umwelt, was soziale Angelegenheiten betrifft halte ich unser Wirtschaftssystem aber durch und durch für eine Reichtumsmaschinerie (sowohl für die Elite als auch die breite Masse). Natürlich lässt sich der Westen auch immer wieder etwas zu Schulden kommen (Subventionspolitik, land grabbing, die Kolonialzeit lässt grüßen, usw.), überwiegend Schuld an so manchem „failed state“ hat er meines Wissens aber nicht.
Die Gewalt des Kapitals
Wäre Ziegler nur ein sich der Übertreibung zu Nutze machender Lobbyist für die gute Sache, könnte man über seine pikanten Formulierungen ja noch hinwegsehen. Der Schweizer gilt aber nicht gerade als Verfechter einer freien, sozialen und von mir aus ökologischen Marktwirtschaft, wie ich sie für den Wohlstand der Nationen favorisiere, sondern als Kommunist. Und was ein ihm genehmes Wirtschaftssystem für die Welt bedeuten würde, brauche ich an dieser Stelle nicht ausführen.
„Es geht um die strukturelle Gewalt des Kapitals“, sagt Ziegler gegen Ende seiner Rede und will damit die Gewinnorientierung von Unternehmen abmontieren. Natürlich ist die Gier für so manches Leid verantwortlich. Meines Erachtens ist sie aber im Menschen immanent (gewagte These, ich weiß). Die Marktwirtschaft und der Kapitalismus haben Nebenwirkungen, das streite ich nicht ab. Manchmal ziemlich, ziemlich unschöne. Und ja, es wirkt nicht in großem Ausmaß edel, wenn der Mensch seinen Antrieb etwas für die Gemeinschaft zu schaffen nur mit der Aussicht auf Geld findet. Aber so ist es nun einmal und mit diesem Prinzip hat es ein kleiner Teil der Welt bereits geschafft, die Lebenserwartung und die Lebensqualität in einer Form zu steigern, die für viele Menschen auf diesem Planeten heute leider nicht einmal Wunschdenken sein kann.
Die Antwort auf die essentielle Frage unserer Zeit findet man nicht unter linken Utopisten, sondern im Markt. Der funktioniert in vielen Ländern aus den verschiedensten Gründen nicht. Diesen Gründen gebührt Aufmerksamkeit. Ihnen sollten wir unsere Energie widmen. Ziegler ist ein äußerst kluger Mensch, mit großem Engagement und einem Erfahrungsschatz im Entwicklungsbereich, der mich meinen Hut ziehen lässt. In der wichtigsten aller Fragen maße ich mir aber an, ihm vehement zu widersprechen: Der des Wirtschaftssystems.
Bilder © Rosel Eckstein & Daniel Lucas Egger / PIXELIO