Frank Stronach hat viel erreicht, sagt man. Sein Konto lässt daran wenig Zweifel. Glaubt man dem heutigen Milliardär, dann gab es Zeiten, in denen er hungern musste. Sein durchaus von politischer Verhaberung und Begünstigung geprägtes Geschäftsleben ist es aber nicht, das ihn zu einem Politiker macht, der ernsthafte Chancen auf einen Einzug ins Parlament hat.

Jüngst kritisierte Martin Blumenau einen weit verbreiteten Journalismusstil. Es werde nurnoch versucht, Politiker bei Formalitäten aufs Glatteis zu führen. „Es gibt keine inhaltliche Auseinandersetzung mehr“, sagt er. Stronach würde dies aufblatteln. Denn gerade bei einem sturen Quereinsteiger wie ihm, würde dieser Stil dem Publikum missfallen und schlecht auf den Journalismus zurückfallen. „Stronach erklärt den aktuellen österreichischen Journalismus zur unguten, mieselsüchtigen Plage“, sagt Blumenau. Und mit seinem Befund hat er vermutlich recht, auch wenn Stronach eher der Verstärker dieses Problems ist, als sein tapferer Berichtiger, wie Karin Koller richtig hinzufügt.

Hilflose Fragensteller

„Dass ein 80-Jähriger gestandene Journalisten und Journalistinnen zwischen 40 und 50 beharrlich mit „Du“ anredet“, findet Hans Rauscher in seiner Glosse eine Erwähnung wert. Man könnte man es als Zeichen der Geringschätzung lesen, die Blumenau anspricht. Und auch, dass er bei Im Zentrum vier Journalisten gegenüber sitzt und sich trotzdem zuerst in völliger Missachtung der Gesprächspartner ins Publikum dreht und „freut, den Bürgern erklären zu können“, was seine Motive sind. Die fehlende Harmonie mit und der komplett abgängige Respekt für die professionellen Politikberichterstatter sind aber nicht wirklich natürlich gewachsen, sondern wurden schon im ersten zur Kandidatur gehaltenen ZiB 2-Interview mit Lou Lorenz-Dittlbacher deutlich.

Stronach ist eben kein Heilsbringer, der den „Glatteis-Journalismus“ bekämpft, sondern ein Extremer dessen, woran die politische Kommunikation krankt. Er ist unbefragbar, weil er keine Fragen duldet. Er sagt aber auf inhaltlicher Ebene immer wieder Dinge, die ich für ebenso potentiell populär wie problematisch halte. Und das unwidersprochen. In vielen Fällen weil niemand weiß, wie man auf seine Gesprächsführung reagieren soll. Fragen? Die sind immer „so negativ“. Und das passt natürlich direkt in sein propagiertes Bild von Österreich als „Land der Verhinderer“. Und da ist sie schon, die erste Nachricht, die niemand so richtig widerlegen kann, weil sie irgendwo einen wahren Kern hat und viel zu oberflächlich für konkrete Kritik ist.

Bauchgefühle

Wenn er einem Journalisten mit allem Ausdruck der Verachtung vorwirft, ein „Sprachrohr für die Raiffeisen“ und „das System“ (das „so nicht weitergehen kann“) zu sein, dann passt das direkt in seine Linie. Die lässt sich auf das dubiose Gefühl zusammenfassen, dass einfach irgendwas nicht passt. Und genau dieses Gefühl haben – nicht zu unrecht – viele Leute in Österreich. Besonders der polit-mediale Komplex ist nach den Korruptions und Inseratenaffären in einer Vertrauenskrise (und in dem Boot sitzen viele, die nichts dafür können). Eine handfeste Wirtschaftskrise haben wir ja auch, falls es jemand vergessen hat. Es ist gerade alles ein bisserl Scheisse.

Dieses Gefühl wird es natürlich sein, das Stronach Stimmen bringt, weil er das Geld hat um sich als Alternative zu stilisieren. Auch wenn er gar keine ist, sondern Teil des Systems. Selbst wenn er – als jahrzehntelang in die Politik Verflochtener – ein Außenstehener wäre. Die kuriosen Hinterbänkler-Mandatare, die er aus anderen Parlamentsklubs zusammenkratzt, um sich das Unterschriftensammeln zu ersparen, sind es nicht. Wie er, der Kontrollsüchtige, als „Hüter der Werte“ (der anscheinend nicht selbst ins Parlament gehen will) diese Mandatare im neuen Parlament davon abhalten will, faule Kompromisse oder eine Koalition (die Stronach ja nicht brauchen will) einzugehen, weiß man nicht. Gut möglich, dass die ihm nach der Wahl und mit fünf sicheren Jahren auf der Nationalratsgehaltsliste am Konto im Streit aus dem Parlamentsklub rausbröseln. Aus dem Parlament jagen könnte er sie nicht.

Machtwille ohne konkrete Ideen

Und die Stimmen wird er bekommen, obwohl er gegen all die erfühlten Probleme keine praktikablen Lösungen anbieten kann. Nicht gegen die Eurokrise, nicht gegen die Verhinderer, nicht gegen die Korruption und Verhaberung. Stronach sagt, er weiß wie ein Land geführt werden sollte. Aber er kann und will kein ansatzweise spruchreifes Konzept nennen. Es ist alles eine große Baustelle. Die Programmpunkte auf seiner Webseite wirken wie die schnell als Platzhalter hingekritzelten, losen Ideen einer zum Scheitern verurteilten Seminararbeit. Er sagt: „Ich brauch keine Politberater“. Aber – ohne die Ironie zu erkennen – vertröstet er alle Fragen nach Inhalten damit, dass er bis zum Wahlkampf noch „Experten“ („unpolitische Leute“) mit der Programmgestaltung beauftragen wird. Er sagt es, als würde es eine objektive, einzige wahre Lösung geben, die irgendwelche Experten kennen, die allen in Österreich gut tut. „Die Wahrheit“ eben. So als gäbe nur Politik, weil verkrustete, böse Parteien das so wollen. Dass Politik der Streit darüber ist, welche Lösungen richtig sind, kommt ihm nicht in den Sinn.

Welche Experten das sein werden, die diese Wunder vollbringen? Das könne er nicht sagen, weil wer von SPÖ und ÖVP abkehrt, würde in Österreich ja geradezu schikaniert. (Anti-Proporz-Rhetorik, auch nicht neu)

Journalist = Politik = Banken = System

Stronach sammelt im Prinzip Stimmen auf Basis einer Stimmungslage, gegen deren Ursachen er kein Rezept hat und für die einfach irgendjemandem die Schuld gibt. Den JournalistInnen, die mag eh keiner. An einer Stelle bei „Im Zentrum“ spricht er über das „Schuldenmachen“ mit den Journalisten, als würden sie die Regierung vertreten: „Ihr macht immer das Gleiche“, seit 50 Jahren. Sie sind zwar alle keine 50 Jahre alt und schon gar keine PolitikerInnen, aber er lässt sie so dastehen, als würden sie dazu gehören. Deshalb kann er auch so unhöflich und schroff mit ihnen umgehen, denn die PolitikerInnen und ihre kaputtes System mag ja auch keiner (darum will er in kompletter Leugnung aller Logik auch keiner sein). Dazu kommen noch die Verhinderer in der Bürokratie (die all seinen Projekten – vom Hotelbau am Wörthersee bis zum Fußballweltmeisterschaftstitel für Österreich – die Genehmigung verwehrt hätten) und in Zwischentönen auch immer wieder die Banken, die schon gar keiner mag. Gemeinsam sind sie: das System.

Stronach poltert gegen ein ihm angeblich fast feindlich gesinntes System, will „dem Volk“ die Wahrheit verkünden, die eine Lösung finden und er spielt dazu auf einer emotionalen Klaviatur mit bekannten Klischees über Verwaltung, Politik und Journalismus. Das ist eine Form der Demagogie, wenn man der Wikipedia folgt.

Demagogie betreibt, wer bei günstiger Gelegenheit öffentlich für ein politisches Ziel wirbt, indem er der Masse schmeichelt, an ihre Gefühle, Instinkte und Vorurteile appelliert, ferner sich der Hetze und Lüge schuldig macht, Wahres übertrieben oder grob vereinfacht darstellt, die Sache, die er durchsetzen will, für die Sache aller Gutgesinnten ausgibt, und die Art und Weise, wie er sie durchsetzt oder durchzusetzen vorschlägt, als die einzig mögliche hinstellt.“ (Durchgestrichenes von mir)

Durchgestrichen ist der Teil mit der Hetze, denn man möchte ihm zugute halten, dass er nicht offensiv auf Schwächeren herumhackt. Man ist in Österreich ja schon schlimmeres gewöhnt.

Es kann nur wenige Stronachs geben

Das heißt freilich nicht, dass er ein Mann der Schwachen ist. Im Puls 4-Herbstgespräch gluckst er beim sozialen Netz plötzlich so herum, als würde er an eine erkleckliche Anzahl an Tachinierer im Land glauben. Natürlich dürfe niemand zurückgelassen werden, der nicht arbeiten kann. Kranke zum Beispiel. Die Möglichkeit, dass es unfreiwillige Arbeitslose geben könnte, umschifft er konsequent. Das kommt ihm nicht über die Lippen.

An diesem kleinen Punkt des Nicht-Gesagten, kommen wir dem Stronach’schen Weltbild auf die Spur. Dem des Selfmade-Milliardärs, der Widerstände überwindet. In einer Welt, in der Arbeit findet, wer arbeiten will. Das ist wohlgemerkt nicht böse gemeint. Er will wohl das aus dem Weg räumen, was seiner Meinung nach Leute wie ihn verhindert. Das Blockierersystem. Es scheint schlichtes Unverständnis darüber zu herrschen, dass nicht aus jeder kleinen Garage ein angeblicher Hungerleider zum Milliardär werden kann. Dass es dazu nicht nur Fleiß braucht, sondern vor allem viel Glück – in den meisten Fällen eher Kontakte und reiche Verwandte. Dass ein Frank Stronach als Lebensgeschichte nie die Regel war, nie die Regel sein kann, nie die Regel sein wird, sondern die unendlich glückliche Ausnahme. Und dass viele Fleißige und Ehrliche da draußen hart zu kämpfen haben, um nicht in dem Drittel zu versinken, das trotz allem Fleiß nichts hat.

Seine Rhetorik wirkt zwar zufällig, sprunghaft und wirr, aber sie lässt streng systematisch an der Politik, am Staat, am „System“ kein gutes Haar. Dort sind für ihn die Verhinderer, die Macher wie ihn aufhalten und „torpedieren“. Leute, die „noch nie einen Lohn ausbezahlt haben“ (wer kein Unternehmer war, scheint für ihn sowieso prinzipiell unfähig zu allem auf der Welt). Und nicht nur seine Geschichten, wenn er erklärt, dass der Staat wie ein Unternehmen zu führen sei, sind darauf ausgerichtet diesen zusammen zu schrumpfen (ungeachtet der Tatsache, dass er sein Vermögen natürlich ohne den Staat vermutlich nicht gemacht hätte). Auch die wenigen Konzepte, die er dann tatsächlich schon benennt, sind es.

  • Eine „Fair Tax“ (also Flat Tax) will er haben. Ein umstrittenes Konzept, dass dem Gedanken „Wer mehr hat, soll mehr beitragen“ entgegensteht. Kann man die Ausgaben nicht drastisch senken, würde es für Leute mit wenig Einkommen zudem vermutlich eine höhere Besteuerung bedeuten. (Die entscheidende Frage dafür, ob so ein system dezent progressiv oder regressiv wirkt – nämlich ob es Freibeträge geben soll – hält er zudem für ein nebensächliches Detail.)
  • Eine Schuldenbremse (ich nehme an, eine weiterführende als die, die schon beschlossen wurde) soll außerdem her, was die Lenkmöglichkeiten der Politik weiter einschränkt und im Normalfall fatal für Sozialleistungen und sehr hinderlich für jene krisenmindernde, antizyklische Budgetpolitik ist, die die Weltwirschaft derzeit am Laufen hält. In Kombination mit potentiell sinkenden Steuereinnahmen durch eine Flat Tax wird der Sozialstaat wie wir ihn kennen praktisch unfinanzierbar.
  • Eine Mitarbeiterbeteiligung an Unternehmensgewinnen möchte er über Steuervorteile durchsetzen. Steuerausnahmen für Unternehmen scheinen also kein Problem.
  • Weniger Gesetze und weniger Verwaltung soll es geben. In Österreich ist das natürlich eine obligatorische Forderung. Was es auslöst, hängt davon ab, was damit gemeint ist.
  • Studiengebühren will Stronach auch. Eine klassische Aufgabenverlagerung ins Private. Zumindest für Sozialwissenschaftler. Davon gäbe es zu viele. Mit denen wisse ja keiner was anzufangen. Die hält er nicht ökonomisch verwertbar. Und ökonomische Verwertbarkeit scheint eine sehr wichtige Kategorie in der Wertschätzung Stronachs für einen Menschen zu sein.
  • Und natürlich hätte er gern Teile der ÖBB gekauft (das Ausschreibungsverfahren, wenn seine Partei in der Regierung sitzt, stelle ich mir lustig vor).

Deregulierung, Privatisierung, Steuersenkungen. Er ist in einem ganz unakademisch gebrauchten Wort: neoliberal.

Kompatible Mehrheiten

In Stronach paart sich ein steinreicher, versteckter Neoliberaler, der wirtschaftlichen Erfolg für Weisheit hält mit einem intellektuellenfeindlichen Anti-System-Populisten. Er wirft die programmatischen Brocken eher beiläufig in die Debatten, rechtfertigt sie immer mit Angriffen auf „das System“ und findet dafür einen kompatiblen Zeitgeist vor. Er überfordert den Journalismus und damit die Kritik mit seiner unbefragbaren Art. Deshalb ist er ernst zu nehmen, so skurril sein Auftreten auch ist.

Die ÖVP ist am Boden, die FPÖ versinkt im Korruptionssumpf. Stronach ist es, der drauf und dran ist, eine rechte Mehrheit in diesem Land herzustellen.

Fotocredits: Michael Thurm, CC 2.0-BY-NC-SA

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