Wir haben genug zu essen auf der Welt, die Nahrung ist nur am falschen Ort. Der in unserem Raum wohl bekannteste, weil lauteste, Vertreter dieser These ist der Schweizer Jean Ziegler. Zwölf Milliarden Menschen könnten wir ernähren, sagt er, und obwohl wir viel weniger sind, hungern trotzdem noch hunderte von Millionen.
Schaut man in die überfüllten Supermärkte, und am besten gleich auch in ihre Abfalltonnen, klingt das auf den ersten Blick recht nachvollziehbar.
Ziegler, ehemaliger Politiker, dann UN-Sonderberichterstatter und jetzt und eigentlich eh schon immer Globalisierungskritiker, steht mit seiner Meinung nicht alleine da. Viele meinen, wir haben zu viel und die zu wenig. Die, das sind meistens die Afrikaner. Aber wie stellen sich Ziegler und seine Mitstreiter das mit der falschen Verteilung eigentlich genau vor?
Denken wir seine Idee einen Schritt weiter. Dazu zwei Modelle:
Modell 1: Wir schicken unser Essen gen Süden
Heißt: Wir stellen gleich viel her, konsumieren davon aber weniger. Das übrige Brot, Fleisch oder Gemüse geht mit Hermes ab in den Süden. Also mit dem Paketdienst, nicht mit dem komischen Typen im weißen Anzug.
Problem 1: Vieles ist nicht so lange haltbar. Die Milch etwa überlebt den Flug kaum, Fleisch kann man einsalzen, Gemüse und Obst gefroren versenden. Aber: Man stelle sich den logistischen Aufwand vor. Wie viele Schiffe und Flugzeuge würde man da brauchen? Die Verteilung wäre dann das nächste Problem. Wer erledigt das? Clans in Somalia helfen da sicher gerne. In Summe: Unrealistisch.
Problem 2: Blenden wir das alles aber einmal aus, gibt es da noch etwas. Wollen wir eine Milliarde an Bittstellern? Deren tägliches Überleben von den Gaben reicher Länder abhängt? Immerhin noch besser, als eine Milliarde Hungernde, könnte man meinen. Was man aber wirklich anrichten würde, wäre eine vollkommene Zerstörung der lokalen Wirtschaft. In akuten Notsituationen gibt es freilich auch heute schon Organisationen wie das WFP, das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen.
Die langfristige Ernährung der Menschen in Simbabwe etwa durch Lebensmittel aus England macht aber wenig Sinn. Nie könnte sich so etwas wie eine lokale Wirtschaft entwickeln. Und was kommt als nächstes? Bauen wir auch deren Häuser? Wer sich auch nur etwas mit internationaler Politik beschäftigt, der weiß, dass Politiker meist keine noblen Spender sondern interessensgeleitete Menschen sind. Kolonialismus zwei Punkt null wäre wohl das einzige logische Ergebnis.
Modell 2: Wir essen und produzieren weniger
Heißt: weniger Brot, weniger Fleisch, weniger Gemüse. Weil wir weniger Rohstoffe verbrauchen, bleibt den Armen mehr. Außerdem sind die Leute bei uns eh zu dick. Win-Win also.
Schluss mit dem Sarkasmus: Abhängigkeiten sind nämlich sehr wohl vorhanden. Das hat viel mit der Geschichte zu tun. Weil den Franzosen der Zucker im Laufe der Zeit immer besser geschmeckt hat, hat man die Sklaven auf Haiti eben einfach in Zuckerrohrplantagen gesteckt. So tun sich auch heute noch viele Länder schwer, den Umstieg vom Abbau einfacher Ressourcen wie Öl oder Cobalt auf die Produktion von komplexeren Produkten wie etwa Autos oder Laptops zu schaffen. Mit solchen verdienen die Beschäftigten dann nämlich wesentlich mehr.
Aber zurück zu unserem Modell. Zur Erinnerung: Wir wollen weniger konsumieren. Wenn wir jetzt zum Beispiel weniger Bananen kaufen, dann hat davon erst einmal niemand etwas. Dem Bauern in Costa Rica bricht das Einkommen weg und das Joghurt der Verkäuferin im ersten Wiener Bezirk schmeckt plötzlich auch fad. Im Ernst: Die Nachfrage aus reichen Ländern bewirkt meist eher gutes, auch wenn daran oft ein grausiger Beigeschmack haftet. Wer produziert, zahlt auch Löhne. So haben es in den letzten Jahrzehnten hunderte Millionen von Chinesen aus der Armut geschafft.
Im Unterschied zu Modell 1 produzieren wir jetzt auch weniger. Wir brauchen also auch weniger Ressourcen wie etwa Maschinen. Könnte man die nicht in arme Länder bringen und dann dort vor Ort die Produktion ankurbeln? Kaum. Denn mit der Maschine muss man auch umzugehen wissen. Unsere wichtigste Ressource ist nämlich die gut ausgebildete, menschliche Arbeitskraft. Wer will, kann auch jetzt schon in die Armenviertel Brasiliens gehen. Machen tun das freilich wenige, und zwingen kann man die Leute auch nur schwer.
Wenn also weder weniger Konsum noch weniger Produktion hilft, ja was hilft denn dann?
Doch ein wenig komplizierter
Hunger ist ein vielschichtiges Problem. Und auch wenn es oft als das Problem Afrikas konstruiert wird, ist es von Land zu Land verschieden. Afrika besteht aus über 50 Ländern, die sich oft stark unterscheiden. Und nebenbei gibt es auch noch Regionen in Asien, Südamerika und der Karibik, wo Hunger zum Alltag gehört.
So viele verschiedene Kontinente, mit so verschiedenen klimatischen Bedingungen, politischen und wirtschaftlichen Organisationsformen, kulturellen Einstellungen und einer jeweils individuellen Geschichte: Vom Problem Hunger an sich, als einschichtiges Problem mit einer dazu passenden einschichtigen Lösung zu sprechen ist einfältig und naiv.
Oft sind die Witterungsbedingungen das Problem, die Entwicklungspolitik der reichen Länder, die Politik vor Ort, fehlende wirtschaftliche Rahmenbedingungen (oft gibt es nicht einmal ein Grundbuch oder halbwegs mit LKWs befahrbare Straßen), die Geschichte und der Kolonialismus. Und meistens ist es eine Kombination aus allem. Dass die Chinesen den Afrikanern gerade den halben Kontinent wegkaufen, hilft auch nicht wirklich.
Hunger ist nicht einfach ein Verteilungsproblem. Ein Jean Ziegler, der sich sein halbes Leben mit dieser Frage beschäftigt hat, sollte das eigentlich wissen.
Titelbild: Wolfgang Dirscherl / pixelio.de