Die Sache mit Abercrombie & Fitch hat zuletzt wohl jeder mitbekommen. Das ist ein Modelabel von dem ich – als denkbar modeuninteressierter Mesch – bisher nie gehört habe, bis sich plötzlich alle in meinen Timelines ganz fürchterlich darüber beschwert haben. Der Herr A&F, Mike Jeffries, hat nämlich wieder einmal gesagt, dass seine Mode nur für schöne Menschen gedacht ist. Ich mag den Mann und seine Ansichten nicht. Allerdings so manche Reaktion auch kein Stück mehr.
Dass es in unserer Gesellschaft ein gestörtes Verhältnis zu Mode, Schönheit und Attraktivität gibt, ist jetzt kein großes Geheimnis. Wie wichtig Mode und Aussehen sind, erfährt man schon in Kinderjahren. Die „coolen“ und „uncoolen“ Jugendlichen am Schulhof kann man oft schonmal an ihrem Bauchumfang erkennen, jedenfalls aber an ihrer Kleidung – genauer am Markenfetzerl, das an der Kleidung hängt. Diese Unterscheidungsmerkmale sind häufig auch Anlass von Spott und Gemeinheiten. Es zeigt: Manche Menschen bewerten andere vor allem anhand von Mode und Aussehen. Aber was man als Kind vielleicht noch nicht versteht, ändert sich auch im Erwachsenenalter bei so manchem nicht. Oberflächlichkeit ist keine Seltenheit.
Der Herr A&F scheint – sagen wir es ohne ausfällig zu werden – ein ebenso gestörtes Sozialverhalten an den Tag zu legen und Mode für bedenklich wichtig zu nehmen. Doch seine geistige Grundhaltung ist der Normalzustand, den wir in der gesamten Gesellschaft antreffen und natürlich besonders drastisch dort, wo sich die Welt zur oberflächlichen Dreifaltigkeit vereint: Mode, Marketing und Werbung.
Kleidung hat nicht nur eine verhüllende Funktion, sondern auch eine Statusfunktion. Und Modemarken entwerfen ihre Produkte auch ganz genau dafür. Schonmal versucht mit einem leichten Bierbauch bei H&M einzukaufen und glücklich dabei geworden? Nein? Wären wir alle so sensibel und unanfällig gegenüber Schönheitsidealen, müsste jeder Einkaufsbummel über die Mariahilferstraße solche Shitstorms auslösen, wie nun der Herr Jeffries. Als ich zuletzt dort war, haben die Menschen ihren Widerwillen beim Einkaufen sehr gut versteckt.
Selbstreflexion
Das soll diesem Schmalspurdenker Jeffries nun keineswegs den unverdienten Anstrich des verkannten Heldens der Wahrheit verleihen. Er hat Spott und Hohn für seine unsympathische Oberflächlichkeit verdient. Es bedeutet nur, dass es nicht damit getan ist, sich über die elitären, beleidigenden Dummheiten anderer zu echauffieren, sondern man sich auch der eigenen Maßstäbe bewusst sein muss. Viele der Empörten sind das sicherlich, aber bei weitem nicht alle, die nun auf den Herrn A&F besonders empört reagieren.
Zuallererst gemeint sind damit natürlich die, die ihre Kritik daran aufhängen, dass der Jeffries ja selbst ein hässlicher Typ sei. Nicht dass mir Herr Jeffries leid tun würde, er provoziert das für sich natürlich bis zu einem gewissen Grad. Dass man dieser Provokation folgt, zeugt aber nicht gerade von überragender Selbstreflexion. Allein die Feststellung beleidigt auch alle, die ähnlich wie er aussehen. „Schönheitsoperierte Männer sind noch creepier als schönheitsoperierte Frauen“, habe ich in irgendeinem Facebook-Kommentar gelesen. Das zu lesen, wird Unfallopfern unheimlich viel Selbstvertrauen geben und womit haben überhaupt Menschen, die sich zu solchen Operationen entschließen, derartige Pauschalurteile verdient?
Sich über das Aussehen eines Menschen lustig zu machen, der sein Geschäft über das Aussehen seiner Kunden vermarkten will? Was manche möglicherweise für feinsinnige Ironie halten, ist nur Ausdruck derselben vertrottelten Denkweise. Als wäre nicht die Aussage des Herrn A&F verblödet und entlarvend genug.
Ebensowenig der eigenen Mechanismen bewusst ist sich eine zweite verstörende Reaktion, die bald als Video durchs Web schwappte. Ein Amerikaner kauft A&F-Kleidung und verteilte sie an Obdachlose. Er ruft dazu auf, dass das alle tun sollen und will A&F zur führenden Obdachlosenmarke werden lassen.
Auch hier versucht sich jemand (unter dem unterstützenden Jubel Millionen anderer) von etwas abzugrenzen, während er in Wahrheit genau dasselbe – vielleicht sogar noch schlimmeres tut. Eine Marke damit zu bestrafen, dass man ihre Produkte an verarmte Menschen gibt? Und diese dann zur Übermittlung der eigenen Nachricht auch noch öffentlich als Freaks zur Schau stellt? Das verleiht diesen Menschen und ihren Merkmalen genau dieselbe Bedeutung, wie ihre Ausgrenzung durch ein Modelabel: Nämlich dass sie so unattraktiv sind, dass es eine Strafe ist, mit ihnen verbunden zu werden. Ohne es zu wollen gibt man Jeffries damit nur genau eines, nämlich irgendwie recht dabei, sein Geschäft auf der Oberflächlichkeit von Menschen zu stützen.