Die Debatte rund um sexuelle Übergriffe hat weite Kreise gezogen. Hollywood-Produzent Harvey Weinstein haben seine mutmaßlichen Taten ebenso eingeholt, wie andere Größen der Filmbranche. Auch in Österreich schlägt das Thema Wellen. Nationalrats-Urgestein Peter Pilz verzichtet auf sein Mandat und Wiener Zeitungs-Chefredakteur Reinhard Göweil wurde abberufen. Der ÖSV (der heimische Skisportverband) muss schwerwiegende Vorwürfe von ehemaligen Profifahrerinnen aufarbeiten.
Eigentlich sollte zweifelsfrei erkennbar sein, dass es einiges zu tun gibt. Dass Sexismus und sexistische Übergriffe in unserer Gesellschaft immer noch häufiger vorkommen, als man vielleicht glauben mag. Und dass die öffentliche und teilweise sehr persönliche Thematisierung ein wichtiger Schritt ist. Nicht nur, weil bislang unbehelligte Täter zur Rechenschaft gezogen werden, sondern weil es jenen, die lange geschwiegen haben, erleichtert, auch über ihre Erlebnisse zu reden.
Das hält freilich einige Mitmenschen nicht davon ab, allerlei Unsinn in die Debatte einzubringen. Daher hier eine ungereihte Auflistung dummer Statements nebst Entgegnungen.
„Keiner redet über sexuelle Übergriffe auf Männer. Sexuelle Gewalt gegen Männer wird verharmlost.“
Tatsächlich haben auch manche Männer Erlebnisse sexueller Übergriffe beschrieben. Dass die große Mehrheit der Schilderungen allerdings von Frauen kommt, ist keiner Verschwörung gegen die Männer geschuldet. Sie reflektiert lediglich die Aufteilung der Geschlechter bei Täter und Opfern. 2016 wurden beispielsweise 986 Personen in Österreich wegen „Verstößen gegen die sexuelle Integrität“ verurteilt. Davon waren 23 Frauen, also stolze 2,33 Prozent. Sie stellen dafür bei den Opfern die große Mehrheit. Quantitativ ist sexuelle Gewalt gegen Männer also tatsächlich ein marginales Problem. Das bedeutet aber nicht, dass Übergriffe auf Männern deswegen weniger „zählen“ oder verharmlost würden.
„Wer dumme Anmachsprüche unter #metoo als Übergriff bezeichnet, verharmlost Vergewaltigungen.“
Das stimmt nicht. #metoo ist, wenn man so will, eine Awareness-Kampagne, die auf Sexismus und sexistische Übergriffe im Alltag aufmerksam macht. Dort sind eklige Anmachsprüche eben so gut aufgehoben, wie erzwungener Sex. Denn dadurch wird auch sichtbar, dass für viele Betroffene Belästigung und Übergriffe nicht erst bei Grapschen auf intime Körperstellen beginnen. Und dass eine Vergewaltigung natürlich schlimmer ist, als eine schlatzige Aussage über Äußerlichkeiten, weiß ohnehin jeder Mensch, der über einen Funken Empathie verfügt.
Übrigens geht es auch in der Causa Weinstein, die als Auslöser von #metoo gilt, nicht nur um Vergewaltigungen, sondern auch um eine Reihe anderer Vorwürfe abseits physischer Gewalt.
„Ich fühl mich durch dumme Anmachsprüche nicht belästigt. Die Leute sollen sich nicht so anstellen.“
Das ist ein bisschen die Nina-Proll-Argumentationsschiene. Du hast kein Problem, wenn dir beim Fortgehen jemand grindige „Komplimente“ ins Ohr säuselt? Einen Griff auf Po, Busen oder zwischen die Beine wehrst du unbekümmert ab? Good for you. Aber setze das nicht für alle anderen voraus. #metoo thematisiert Dinge, die von Betroffenen als Übergriff empfunden werden, nicht zwingend Dinge, die der Gesetzgeber als strafwürdig festlegt. Es ist vielleicht hilfreich, wenn wir drei Definitionsebenen trennen:
1) Das individuelle Empfinden. Manche fühlen sich bereits durch ein anzügliches Kompliment bedrängt, andere erst bei einem physischen Angriff. Und natürlich muss man nicht jeder persönlichen Definition eines Übergriffs zustimmen. Aber man sollte sie respektieren, auch wenn die eigene Grenze höher liegt. Weil: Empathie.
2) Gesellschaftliche Normen: Hier handelt es sich um mehrheitsfähige, aber nicht zwingend gesetzlich strafbare Formen von Fehlverhalten. Die allermeisten Männer haben heute vom Elternhaus mitbekommen, dass man einer Frau während eines Gesprächs nicht ungeniert in den Ausschnitt gaffen sollte. Wer das trotzdem ständig tut, dürfte früher oder später wohl sozial von vielen Mitmenschen gemieden werden. Auch das ist eine Form von Strafe, auch wenn dabei weder Polizisten noch Richter involviert sind.
3) Gesetze: Bei bestimmten Taten gibt es einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass sie nicht nur als „ungebührlich“ eingestuft werden, sondern vom Gesetzgeber bestraft werden sollten.
Eigentlich gar nicht so schwer, oder?
„Die #metoo-Debatte bringt Frauen erst recht in die Opferrolle.“
Auch das zweite Proll‘sche Lieblingsargument ist keines. Ein Übergriff setzt per se voraus, dass es Täter und Opfer gibt. Bei Übergriffen sexueller Natur (siehe etwa die Beispielzahl weiter oben) sind die Opfer stark mehrheitlich weiblich und die Täter stark mehrheitlich männlich.
Übergriffe zu thematisieren macht niemandem zu einem Opfer. Im Gegenteil, über selbst Erlebtes zu sprechen bringt ehemalige Opfer in eine aktive, handelnde Position. Mehr (gesetzlicher) Schutz vor Übergriffen macht auch niemandem zu einem Opfer, sondern verhindert im besten Falle, dass noch mehr Menschen zu Opfern werden.
„#metoo stellt alle Männer als Täter hin.“
Eben so wenig, wie Frauen durch #metoo zu Opfern werden, werden alle Männer zu Täter. Vorweg einmal die ganz rationale, logische Auflösung: Die Feststellung, dass die Mehrheit der Täter Männer sind erlaubt nicht den Umkehrschluss, dass die Mehrheit der Männer Täter sind. Das geht sich nicht aus, weil – zum Glück – nur ein kleiner Teil der männlichen Bevölkerung sexuelle Übergriffe begeht und nur ein noch kleinerer Teil deswegen je in einer Kriminalstatistik aufscheint.
Statements, in dem ein Generalverdacht gegen alle Männer behauptet wird, sind allerdings auch ein Teil des Problems. Denn es ist einigermaßen erstaunlich zu sehen, dass manche Leute sich lieber wehleidig als Täter verdächtigt sehen, statt über das eigentliche Thema der Debatte zu reden.
„Echte Übergriffsopfer warten doch nicht jahrelang, bis sie Anschuldigungen erheben.“
In einer perfekten Welt würden alle Opfer von Übergriffen sich wehren oder zumindest unmittelbar zur Anzeige schreiten, der Täter schnell verhaftet und verurteilt werden. Wobei es in einer perfekten Welt ja eigentlich erst gar nicht zu Übergriffen kommen würde. Unsere Welt ist allerdings nicht perfekt und es gibt viele Gründe, warum Betroffene lange Schweigen und – wenn überhaupt – erst mit großem Abstand und im Zuge von Kampagnen wie #metoo über ihre Erlebnisse reden.
Angst vor dem Täter, Scham, Selbstvorwürfe wären hier etwa zu nennen. Ein besonders gewichtiger Umstand, der praktisch bei allen öffentlich breit bekannt gewordenen Fälle eine Rolle gespielt hat, sind Machtverhältnisse. Harvey Weinstein konnte entscheidenden Einfluss auf die Karriere junger Schauspielerinnen nehmen, Reinhard Göweil soll einer externen Redakteurin eine Stelle gegen Gefälligkeiten angeboten haben, Peter Pilz wird unter anderem von einer ehemaligen Mitarbeiterin beschuldigt und beim Skiverband geht es um Betreuer, die ihre Funktion gegenüber ihren Schützlingen missbraucht haben sollen.
Überall, wo Hierarchien im Spiel sind, ist der Schritt zu den Behörden oder an die Öffentlichkeit für die Opfer riskanter. Man bringt die eigene berufliche Existenz in Gefahr und muss jemanden beschuldigen, der möglicherweise seinerseits mächtige Freunde oder ein gutes öffentliches Standing hat. Vorwürfe eines Racheaktes oder des Versuchs, sich selbst profilieren oder beruflich aufsteigen zu wollen, lassen selten lange auf sich warten.
Dabei, so lässt sich in einem Artikel der Welt aus 2011 nachlesen, unterscheiden sich etwa Vergewaltigungen hier gar nicht von anderen Straftaten. Die Quote an falschen Beschuldigungen liegt in den USA mit zwei bis vier Prozent auf dem Level anderer Vergehen.
„Zu einem Übergriff gehören immer zwei“
Ich dachte ja wirklich, bei der „Im Zentrum“-Diskussion zu #metoo bereits den größtmöglichen Blödsinn zum Thema gehört zu haben. Bis sich die einstige Weltcup-Skifahrerin Annemarie Moser-Pröll in den Nachrichten von Servus TV dazu äußerte. Es würden sich auch Liebespaare im Skitraining finden, erklärte sie. Etwa „eine Marlies Schild oder ein Benni Raich. Die sind ja auch nicht vergewaltigt worden. Da gehören immer zwei dazu.“
Tatsächlich gehören zu einer Vergewaltigung mindestens zwei dazu. Nämlich Täter und Opfer. Wer Freiwilligkeit andeutet, macht das Opfer zum Mittäter gegen sich selbst. Und das ist schlicht strunzdumm und empathielos.
Nachtrag: Annemarie Moser-Pröll bezichtigt mittlerweile Servus TV, ihre Aussage aus dem Zusammenhang gerissen zu haben. Der Sender weist dies zurück und hat die ungekürzte Fassung des Interviews ins Netz gestellt. Einen Bericht hierzu gibt es bei Vice.