Kürzlich habe ich auf Facebook ein Experiment der New York Times verlinkt, bei dem sich gezeigt hat, dass nur die wenigsten Menschen eine logische (und ziemlich einfache) Entwicklung überhaupt ein bis zwei Schritte voraus denken können – geschweige denn sie konsequent zuende zu denken. Dieser Befund ist harmlos, wenn es um ein Zahlenratespiel geht und ich hab ein bisserl darüber gewitzelt, aber er hat mich ehrlich gesagt tiefer drinnen schockiert und nachdenklich gemacht. Denn die Unfähigkeit, etwas zuende zu denken ist nicht harmlos, wenn sie sich an wichtigen und oft komplexeren politischen Themen zeigt. Auf den Tod von dutzenden Flüchtlingen in einem Schlepper-LKW mit „Grenzkontrollen“ oder „schärferen Strafen für Schlepper“ reagieren zu wollen, ist genau so eine kurzsichtige Antilogik.
Das ist ein purer, undurchdachter, denkfauler Reflex. Grenzkontrollen und härtere Strafen werden – besonders in Kombination – das Problem auf allen Ebenen verschlimmern und nichts besser machen. Denn diese Instrumente sind genau dieselben, die bereits jetzt verwendet werden. Schlepperei ist illegal, Grenzübertritte sind streng reguliert. Ja, Österreich selbst hat keine Grenzkontrollen, aber um nach Österreich zu kommen, müssen Flüchtlinge (mehrere) verschlossene, gefährliche und streng bewachte Grenzen überqueren. Schlepper gibt es trotzdem und Menschen überqueren diese Grenzen trotzdem – ziemlich überall auf der Welt. Sie überqueren die streng bewachte Grenze von Mexiko in die USA, sie überqueren jene von der Türkei nach Griechenland und von dort nach Mazedonien und die von Serbien nach Ungarn. Sie überqueren sogar das fucking Mittelmeer, auch wenn Zehntausende vor ihnen dabei qualvoll ersoffen sind.
Und genau weil wir diese Grenzen so dicht machen, wird es Schlepper – wovon viele kriminelle Unmenschen sind – weiter geben. Weil sie gebraucht werden. Weil jemand, der alles verloren hat und sich nach Sicherheit und Frieden sehnt, nicht plötzlich umdreht und nach Syrien zurücktgeht oder wieder mit Millionen anderen im libanesischen Flüchtlingslager vegetieren will, nur weil der letzte oder vorletzte Schritt in die erhoffte Sicherheit schwieriger oder riskanter wird. Aber diese Schlepper werden riskantere Wege finden müssen, um Menschen nach Europa zu bringen – und dann können sie dafür auch mehr Geld verlangen und mehr Profit damit machen.
Das kommt heraus, wenn man diese Sache zuende denkt.
Das ist absehbar, das ist eine logische Folge und man kann es auch an vielen Orten der Welt empirisch beobachten.
Wenn man weiterdenkt, weiß man natürlich auch: Es wäre kein Problem, wenn Schlepperei unter Strafe steht. Es steht ja auch Diebstahl unter Strafe, obwohl er trotzdem weiterhin passiert. Aber das beste Mittel gegen Diebstahl ist meist nicht eine Strafe, sondern wenn Menschen sich die Produkte leisten können. Es ist nicht das Verbot, das uns alle vom Stehlen abhält, sondern dass wir es nicht tun müssen. Wenn ich vorm Verhungern stehen oder mir ein wichtiges Medikament nicht leisten können würde, scheiss ich auf jedes Verbot.
Vor genau so einer dramatischen Situation stehen Menschen auf der Flucht – sie kämpfen ums Überleben und eine Chance auf ein würdiges Leben. Das beste Mittel gegen illegale Schlepperei und gegen Tote im Mittelmeer und auf österreichischen Pannenstreifen ist es, wenn Menschen auf der Flucht einen legalen Weg nehmen können. Illegale Schlepper bekämpft man damit, wenn sie möglichst wenige Menschen brauchen. Das ist logisch.
Aber diesen logischen Weg geben wir ihnen nicht. Im Gegenteil. Wir verriegeln Europas Außengrenzen. Wir schieben Menschen nach dem Dublin-Abkommen zurück ins völlig überforderte Griechenland, und ins überforderte Italien. Wir schaffen mit voller Absicht Gesetze, die verhindern, dass sie auf sicheren Wegen einreisen und von ihrem Menschenrecht Gebrauch machen, um Asyl anzusuchen.
Deshalb geben diese Menschen skrupellosen Verbrechern viel Geld, oft all ihr letztes Geld, die sie dann in einen verschissenen Kleinstransporter pferchen, über die Grenzen bringen, im besten Fall irgendwo auf einer Bundesstraße raushauen und im schlimmsten Fall auf einer österreichischen Autobahn zurücklassen, wo sie rund um sich Menschen ersticken sehen, bis sie am qualvollen Ende selbst den letzten Atemzug hauchen.
Und jetzt zum letzten Problem: Dass das logischerweise genau so passieren muss, das ist gar kein so komplizierter Gedankengang, dass er noch nie jemandem gekommen wäre. Wie es ist, ist Absicht.