Ich bemühe mich seit Wochen, die heimische Politik ob der angebrochenen Wahlkampfzeit bis auf die notwendigsten Informationen zu ignorieren. Geht nicht, zumindest nicht wenn man als Journalist tagtäglich unweigerlich von Nachrichten umgeben und außerdem ein sehr politischer Mensch ist. Bleibt also nur Ventilation. Dieser Wahlkampf geht mir – sorry für das unflätige Wort – auf den Arsch.
Dabei darf ich meinen Ärger inhaltlicher und kommunikativer Natur sogar halbwegs gerecht verteilen. Hier eine ungereihte Liste jener Dinge, die meinen genetisch bedingten Haarschwund dramatisch ankurbeln:
Das Vorspiel aus der Hölle
Wir wählen im Oktober. Zu diesem Beschluss sind SPÖ und ÖVP im vergangenen Mai gekommen. Warum das letztlich so lange gedauert hat und die Öffentlichkeit monatelange Streitberichterstattung ertragen musste – ich weiß es nicht. Zumindest für die SPÖ war die Entscheidung eher ein Schuss ins Knie, denn der Kern-Effekt ist mehr als ein Jahr nach seinem Antritt als Bundeskanzler und SPÖ-Chef ziemlich verpufft. Die ÖVP hat derweil, wie längst erwartet, Sebastian Kurz an der Spitze installiert und scheint damit laut Umfragen deutlich erfolgreicher zu sein.
Kurz ist der neue Grasser
„Basti“ Kurz wäre dann auch schon das nächste Thema. Wäre er über Wasser gegangen, hätte einen Blinden sehend gemacht oder meinetwegen Wasser in Wein verwandelt, könnte ich den Hype der selbsternannten christlichsozialen Partei ja aus der religiösen Perspektive nachvollziehen. Hat er aber nicht. Eigentlich hat er seit seinem Antritt in der Regierung gar nicht viel gemacht, außer zuerst an der Grenzöffnung für die Flüchtlinge mitzuwirken, dann später zu behaupten, er hätte die Balkanroute geschlossen (es gibt einige Indizien dafür, dass das schlicht nicht stimmt) und seine Einstellung von „Wir brauchen mehr Willkommenskultur“ auf FPÖ-Linie zu adaptieren.
Das Wahlprogramm der „Neuen ÖVP“ bietet nichts, was die „alte ÖVP“ nicht auch geboten hätte und viel Inhalt wird in Interviews auch nicht geliefert. Der Kurz-Hype erinnert mich frappant an den Ex-Finanzminister Grasser. Nicht wegen dessen juristischen Nachwehen, sondern weil Österreich offenbar wieder einen „Schwiegersohn der Nation“ gefunden hat. Gut gekleidet sein und Sätze in adretten Deutsch formulieren zu können ist mir persönlich ja zu wenig Qualifikation für ein mächtiges Amt, wie jenes des Bundeskanzlers. Und hab ich schon erwähnt? Ich mag keine Opportunisten.
Pilz-Probleme und wirklich unnötige Wahlkampfsujets
Man könnte behaupten, Frühling und Frühsommer waren für die Grünen ein wenig turbulent. Man kann weiters behaupten, die Austragung des Konflikts mit den Jungen Grünen war von beiden Seiten nicht sonderlich optimal. Noch anstrengender war allerdings die mediale Berichterstattung. Die (Disclaimer: mir politisch am nächsten stehenden) Grünen, die in ihrer rund 30-jährigen Parlamentsgeschichte jetzt erstmals Abspaltungen erlebt haben, werden als totale Chaostruppe dargestellt, obwohl SPÖ und ÖVP in den vergangenen Jahren deutlich mehr Parteivorsitzende verschlissen haben. Bei den Konservativen gilt „Hau den Chef“ mutmaßlich als eine Art innerparteilicher Volkssport. Die FPÖ kann auf das BZÖ zurückblicken und darf sich momentan mit der Liste Schnell ärgern.
Während die JG sich also der KPÖ an den Hals geworfen hat und mitsamt dieser auch heuer wieder im Nirvana unterhalb der Vierprozent-Hürde versinken wird (ernsthaft, diese Partei hat bis heute nicht die wahltaktische Räson aufgebracht, sich umzubenennen), mobilisiert auf der anderen Seite Peter Pilz für seine Liste. Auch er hat eine kleine Hype-Blase rund um sein Projekt erzeugen können, allerdings aus den falschen Gründen. Weniger geht es um seine Rolle als verdienter Aufdecker und Korruptionsbekämpfer, sondern plötzlich darum, dass er ja so „frischen Wind“ in die Politik bringen würde. Peter Pilz ist 31 Jahre als Abgeordneter im Parlament gesessen. Frischer Wind? Wollt ihr mich auf den Arm nehmen?
Während ich die Schuld an der Zersplitterung nicht hauptsächlich bei den Grünen selbst sehe, erbarmen sich aber auch diese nicht, mir den Wahlkampf erträglicher zu machen. Man könnte über Flüchtlinge und deren Zukunft in Österreich und Europa reden, über Sozialpolitik, Jobchancen durch die Energiewende etc. pp. Stattdessen gibt’s Wadlbeisserei in Richtung Pilz und die oberösterreichische Landespartei pusht auf Facebook Kampagnen gegen Plastikumschläge für Schulhefte. In Wien wird nach der Herumeierei über das Heumarktprojekt zuerst über Kaffeebecher diskutiert, ehe man Wahlkampfbudget damit verschleudert, ein fettes Dauerplakat mit dem Slogan „Im Kern ist Kurz ein Strache“ anzubringen. Ach, du heiliges Wortspiel, Batman!
Erde an siebter Bezirk: Liebe Grüne, eure Kernwählerschaft weiß, dass ihr den Rechtsruck von SPÖ und ÖVP und die FPÖ sowieso (meiner Meinung nach mit Recht) verurteilt. Die Kernwählerschaft braucht aber keine Überzeugung mehr, sondern diejenigen abseits der sechs Umfrageprozent, die vielleicht mit Kern, den Neos oder Peter Pilz liebäugeln. In einem Wahlkampf, der medial zu einem „Kern vs. Kurz“ zu werden droht, könnte man es ja mit aktueller Themensetzung oder Personenwahlkampf für die Spitzenkandidatin versuchen, statt bekannte Parolen aufzuwärmen.
Wenigstens abschaltbar
Und der Rest? Nun ja, den Neos und der FPÖ muss ich fast (!) schon Fortschritte bescheinigen. Das liegt unter anderem daran, dass ich von beiden Parteien erstaunlich wenig mitbekomme. Da Matthias Strolz‘ Redestil neben chinesischem Live-Fußballkommentar für mich zu den akustisch unerträglichsten Dingen zählt, kann ich damit gut leben.
Das blaue Pendant zur XXXLutz-Familie, genannt „die Hubers“ ist zumindest nicht brachial fremdenfeindlich, sondern „nur“ erwartbar xenophob. Und das Beste: Man kann das Video auf Youtube nach ein paar Sekunden wegklicken. Halleluja.
Foto: César Astudillo / Flickr / CC BY NC 2.0