Es ist schon erstaunlich, was ein Kollektiv so alles leisten kann. Dass Basisdemokratie anstrengend sein kann, aber auch erstaunliche Ergebnisse hervorbringt ist, die größte Lehre der mittlerweile sechs Tage andauernden Befreiung des Audimax. Es wäre allein deshalb wichtig, dass Leute die all dem skeptisch gegenüber stehen wenigstens hinkommen und es sich einmal wertfrei ansehen. Zu allen Bereichen des Zusammenlebens und des Protests bilden sich Gruppen die Lösungen erarbeiten und sie dann im großen Plenum zur Abstimmung stellen. Dort sitzen die Studierenden schonmal 5 Stunden um auch wirklich alles zu besprechen. Am langen Wochenende nach Mitternacht sitzen weit über tausend Leute im für achthundert Menschen ausgelegten Audimax – fast dreitausend weitere sitzen vor dem Livestream und sehen zu.
[ad#ad-1]Eine solidarisch finanzierte Küche mit kochbegabten KollegInnen versorgt uns. Einzelne Versierte stellen eine technische Infrastruktur auf, an der sich die Uni seit Jahren nicht einmal versucht. Im Internet kann man live dabei sein, auf der Beamerwand werden Liveschaltungen in andere Unis gezeigt und Fragen per Twitter eingebracht. Leute reden mit den Wachleuten, in der Früh hilft man dem Reinigungspersonal, das nicht unter dem Protest leiden soll. Man sieht sich gemeinsam Dokumentationen an. Mittlerweile wird sogar in Gebärdensprache übersetzt. Es werden hochklassige Podiumsdiskussionen und Vorlesungen organisiert, gemeinsam an Dokumentationen und Zeitungen gearbeitet. Es wird gezittert, das niemand etwas Dummes macht.
Studierende mit entsprechender Erfahrung bieten Workshops zu vielerlei Themen an – etwa wie gewaltfreie Gespräche geführt werden können, oder wie eigentlich die medial mittlerweile völlig ignorierte Lage im Iran ist. Referate über die Geschichte der österreichischen Universitäten oder jene der Burschenschaften werden gehalten, ein Londoner Professor vom King’s College referiert über die Ökonomisierung der Bildung durch den Bologna-Prozess. Mit Klaus Werner-Lobo diskutiert ein angesehener Globalisierungskritk-Autor auf der Bühne neben Robert Menasse und Isolde Charim über soziale Bewegungen. Robert Misik trägt vor. Längst ist der Betrieb im Audimax besser als das Angebot an der Politikwissenschaft. Für diese Besetzung sollten allen Teilnehmern eigentlich eine Packung an ECTS-Punkten verliehen bekommen.
Studierende sind in der Praxis des Alltags nicht überlebensfähig, lautet die gängige Prämisse der Konservativen. Deshalb stricken sie die Bildung immer mehr zur Ausbildung um und engen den Raum für individuelle Entfaltung ein. Hier ist der Gegenbeweis – und das macht Hahn und seinen Verbündeten so viel Angst, dass er aus purer Sturheit nicht einmal hinkommen will – dieser neue von der SPÖ verbrochene EU-Kommissar. In wenigen Tagen ist hier alles so effizient und gesittet strukturiert und professionalisiert, dass es den meisten österreichischen Unternehmen in nichts nachsteht.
Ignoranten schreiben in Foren über linkslinke Blockierer und fühlen ihr längst gefälltes Urteil sich mit jeder kleinen Absurdität oder jedem Fehler bestätigt, dass da alles chaotische Spinner rumrennen und Party machen. Keine/r von ihnen hat bisher auf meine Einladung reagiert, dass ich ihm oder ihr in aller Ruhe zeige würde was wirklich los ist. Dass hier Großteils Linke unterschiedlichster Ausrichtung sind liegt in der Natur zweier Dinge: Zum Einen sind Studierende nach wie vor mehrheitlich links. Get over it!
Zum Anderen kriegen die Rechten ihren Arsch nicht hoch. Sie teilen die Ansicht, dass die Zustände an den Unis für den Hugo sind. Aber statt selbst ihren Beitrag zu leisten, selbst Lösungen zu erarbeiten, in einen Wettstreit der Ideen zu treten – wie es die tausenden im Audimax tun – gründen sie Facebookgruppen in denen die Vernünftigen unter ihnen von vorurteilsbeladenen KomplexlerInnen zugemüllt werden. Oder sie machen sich in Chats auf tiefste Weise über Feministinnen lustig. Eine größere geistige Kapitulation kann es nicht geben.
Alles Kommunisten seien da im Hörsaal, geifern die Schlimmsten unter ihnen – die dann schnell „linker Meinungsfaschismus“ schreien, wenn man ihnen nahelegt, dass sie keine Ahnung haben und doch bitte herkommen oder die Klappe halten sollen. Und eingesperrt gehörten diese Kriminellen im Audimax! Und während dort völlig pragmatische politische Forderungen er- und ausgearbeitet werden, von Menschen von unterschiedlichsten politischen oder gar selbst als unpolitisch bezeichneten Strömungen, kapitulieren die Stänkerer vor dem Status Quo und pischeln neidisch noch die an, die für ihre Überzeugung arbeiten.
Es ist jetzt wirklich unsere Uni. Der Slogan mit dem vorgestellten „UNSERE“ trägt eine emanzipative und positive Kraft in sich, die dem „We Can“ und „Change“ von Barack Obama um nichts nachsteht. Wenn diese Besetzung einmal vorbei sein wird, dann wird es seltsam sein nicht jeden Tag an diesen wunderbaren Ort gehen zu können und in dieser Form über das Zusammenleben, den Protest und die Gesellschaft nachzudenken.
Aber das muss und wird nicht so sein. Denn diese Form der studentischen Selbstorganisation – die die ÖVP mit der Entmachtung der Studierenden an den Unis im vergangenen Jahrzehnt so stark unterdrückt hat – hat Zukunft. Mit der kollektiven Intelligenz von allen Studierenden, Lehrenden und Menschen im Verwaltungsapparat ließe sich die Universität dauerhaft verbessern. Techniker könnten aus Vorlesungen Podcasts machen, sie ins Internet streamen oder einzelnen Lehrenden Nachhilfe im Umgang mit neuen Medien geben. Gut Vernetzte können Gastvorträge in Vorlesungen organisieren. Wenn Mangel herrscht, kann er gemeinsam in Angriff genommen werden. All das würde die Qualität der Lehre verbessern, es müsste nur auch gefördert und belohnt werden. Warum immer nur Lehrveranstaltungs-Scheine für Seminararbeiten und Prüfungen verteilen, statt für das Einrichten von hochwertigen Webseiten oder die Organisation einer Vortragsreihe?
Es ist das Angebot von uns Studierenden, uns auch weiterhin derartig engagiert zu beteiligen. Die reine Existenz dieser Sache (neben einem detaillierten Katalog) macht bereits den Vorwurf absurd, wir hätten keinen Plan für Lösungen und nur diffuse Ansichten. Um all diese positiven Boosts für das studentische Leben und Lernen geht es, wenn wir mehr Mitsprache und mehr demokratische Teilhabe an der Erstellung von Veranstaltung und des Budgets fordern. Wir wollen gehört werden, weil wir Ideen haben – übrigens auch außerhalb der Uni. Das ist es, was wir im Audimax gerade vorleben – und was jetzt im Gegenzug zu so manchem ideologisch präparierten Qualitätsjournalisten sogar der Boulevard begriffen hat. Doch in den momentanen Uni-Strukturen haben wir kein Mitspracherecht
Aber man muss halt den Schneid haben, dass man sich das auch ansieht, um es zu begreifen und selbst zu lernen. (Und die Audimaxler müssen sich die Offenheit dafür bewahren.) Und diesen Mut hat in Wien weder das Rektorat, noch der Minister noch die meisten Gegner. Sie verstecken ihre Panik vor einem Wandel hinter zynischem Wahnwitz. Sie weigern sich mit Menschen zu reden, die darum betteln etwas zum Besseren für alle verändern zu dürfen. Diese Leute sind es, die die Universität blockieren, das Studium erschweren, die Stimmung versauen.
Die österreichischen Universitäten, geleitet von einer SHUT UP AND LERN AUSWENDIG-Philosophie ideenloser Politiker, verzichten auf das kreative Potential und Know-How ihrer 230.000 Studierenden. Deshalb wurde dieser Raum (und einer in Graz, an der Bildenden, in Linz und demnächst auch in anderen Unis) befreit und zu unserem gemacht. Wer all das „Blockieren“ nennt, der beleidigt sich im Wesentlichen selbst.
An alle die aus dieser hasserfüllten Konfrontation ausbrechen wollen: Mein Angebot (und das der meisten Audimaxler), mit gegenseitigem Respekt vor Ort darüber zu sprechen, gilt weiterhin.