„Alle Tiere sind gleich. Aber manche sind gleicher.“ (George Orwell, Farm der Tiere)
Es gibt im österreichischen Strafrecht einen terminus technicus, der so genannte Vorfelddelikte mit einem sehr passenden Wort beschreibt. Man nennt diese Delikte – Geldwäscherei, kriminelle Organisation, Terrorismusbekämpfung fallen darunter – gerne auch Schuhlöffel-Delikte. Das deshalb, weil sie im Strafrecht genau diese Funktion erfüllen: sie öffnen Möglichkeiten, gegen die Verdächtigen schnell und relativ unbürokratisch vorzugehen, ohne dass überhaupt bereits eine strafbare Handlung gesetzt wurde. Sie sind sozusagen der Schuhlöffel für intensivere Ermittlungen (Handypeilung etc.) bis hin zu Eingriffen wie Wohnungsdurchsuchungen oder gar U-Haft. Vorgeschlagen und als Gesetz beschlossen werden sie von unseren Vertretern im Nationalrat. (Fast) Allesamt natürlich redliche, unbescholtene, dem Volk wohlwollend gegenüber eingestellte Idealisten, die nichts anderes beabsichtigen, als die kleinen Leute vor bösen Terroristen oder hinterlistigen Mafiosi zu schützen.
Haltet den Täter, er könnte ein Verbrechen begehen
Die Tendenz derartige gesetzliche Normen einzuführen hat sich in den vergangenen 10 Jahren drastisch verstärkt, aktuell dreht sich die Debatte wieder einmal darum – Stichwort „Tierschützerprozess“ – und hin und wieder hat man tatsächlich den Eindruck, dass sich das österreichische Strafrecht langsam in ein Normensystem verwandelt, bei dem es immer weniger darum geht, wer was verbrochen HAT, sondern wer was verbrechen KÖNNTE.
Bei aller Vorsicht und der Notwendigkeit diversen kriminellen Organisationen frühzeitig das Handwerk zu legen, scheint sich unsere Schuhlöffeljustiz jedoch häufig stärker darauf zu konzentrieren, unliebsame Personen zu überwachen oder gegebenenfalls auch einzusperren. Im Mindestfall alle möglichen persönlichen Daten zu sammeln und so lange wie möglich zu speichern. Mitunter habe ich das Gefühl als Bürgerin unter Generalverdacht zu stehen.
Gleicher als Gleiche
Nachdem wir uns hier der Demokratie widmen und auch das Orwell’sche Eingangszitat bewusst gewählt wurde, weil sich im betreffenden Werk die Grenzen zwischen der Gleichheit Aller hin zur Bevorzugung einiger Weniger eher schleichend verschieben, möchte ich den heutigen Eintrag dazu nutzen, die Forderung zu stellen, dass man sich zuallererst auf Seiten der Volksvertreter an gewisse Prinzipien halten möge, bevor man dem kleinen Mann oder der kleinen Frau an den Kragen geht.
Ich spreche lediglich davon, dass es hoch an der Zeit ist, dass Abgeordnete wieder ein Mindestmaß an Vorbildfunktion ausüben. Unsere gewählten Mandatare sind im Sinne der österreichischen Verfassung nämlich expressis verbis Vertreter des Souveräns (= das Volk, welches gemeinhin als jenes zitiert wird, in wessen Interesse diese rechtspolitischen Maßnahmen unternommen werden: „Es geht um den Schutz der Bürger!“). Ich fordere also nichts anderes als den Schutz der Bürger vor unredlichen Politikern. Schließlich bin ich Teil des Souveräns, also im eigentlichen demokratischen Sinne Souverän selbst.
„Ich gelobe…ja was denn eigentlich?“
Dazu eine kleine Erläuterung: Jede/r Nationalratsabgeordnete ist zu allererst den Bürgern verpflichtet. Er oder sie wird auch erst offiziell zum/r Abgeordneten, nachdem die so genannte Angelobungsformel verlesen und der jeweilige gewählte Mandatar, die gewählte Mandatarin, hierauf die Worte „Ich gelobe“ spricht. Der Wortlaut dieser Formel ist wie folgt:
„Sie werden geloben: unverbrüchliche Treue der Republik Österreich, stete und volle Beobachtung der Verfassungsgesetze und aller anderen Gesetze und gewissenhafte Erfüllung Ihrer Pflichten.“
Sie werden jetzt einwenden, dass da nichts vom Souverän drinnen steht, aber das tut es. Durch die Bindung des Abgeordneten an die Verfassungsgesetze (und übrigens die anderen Gesetze auch…), ist diese Forderung inklusive weiterer Pflichten automatisch inkludiert und damit Sie beim nächsten Streitgespräch mit einem Politiker und Amtsträger auch gerüstet sind, hier gleich noch Artikel 1 des österreichischen Bundesverfassungsgesetzes:
Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.
Anspruch versus Wirklichkeit
Im österreichischen Nationalrat sitzen aktuell zwei vorbestrafte Abgeordnete. Der dritte Nationalratspräsident ist Mitglied einer vom DÖW gelisteten rechtsradikalen Burschenschaft, 109 der 183 Nationalratsabgeordneten haben ihm ihre Stimme bei der Wahl in dieses Amt gegeben, eine Abgeordnete, die ein sonderbares Verständnis von Schulbildung und freier Meinungsäußerung besitzt, kandidiert aktuell für das Amt zur Bundespräsidentschaft und hat ihr „ich gelobe“ ebenfalls bereits gesprochen. Ich bin sicher, die Liste ließe sich noch länger fortsetzen.
Worum geht es also? Es geht darum, dass ich nicht akzeptiere, dass ich als Bürgerin mit gesetzlichen Normen konfrontiert werde, die mich unter Generalverdacht stellen, während gerade jene, die öffentliche Ämter ausüben, davon ausgenommen scheinen, mehr noch, die als Teil der Legislative diese Normen entwerfen und in Kraft setzen. An strafrechtliche Gesetze sind diesbezüglich besondere Anforderungen zu stellen, weil die Konsequenzen, die aus einer Verurteilung resultieren, zu den gravierendsten zählen, die es in der Demokratie gibt – eine Vorstrafe, möglicherweise sogar Freiheitsentzug.
Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen
In diesem Sinne will ich endlich Taten sehen und zwar von den Abgeordneten zuerst. Ich fordere hiermit einen Nationalrat, der aus Abgeordneten besteht, die es mit ihrem „ich gelobe“ Versprechen endlich wieder ernst meinen. Ich fordere Nationalratsabgeordnete, die an sich selbst höhere Maßstäbe in Bezug auf Integrität und Rechtschaffenheit, Wahrung von Gesetzen und ethischen Prinzipien stellen, als sie dies beim normalen Bürger tun. Denn gerade weil sie als Volksvertreter mit umfassenderen Rechten ausgestattet sind, ist es nur logisch, dass sich daraus auch umfassendere Pflichten ableiten lassen. Pflichten, die es endlich wieder einzuhalten gilt.
Susanne, 17. März 2010