Josef Pröll teilte mir gestern in einem Inserat mit, dass ich 23.901 Euro Schulden hätte und dass wir jetzt sparen müssten. Interessanterweise ist mir kurz darauf eingefallen, dass selbiger J. Pröll und seine Partei die letzten x-Jahre dafür mitverantwortlich waren, dass ich einen derartigen Schuldenberg überhaupt anhäufen konnte und ich erinnerte mich auch an seine jüngste Bewerbungsrede um das Bundeskanzleramt, wo er folgendes zum Besten gab:

„Wir müssen ausgabenseitig sparen, daher ist die Verwaltungsreform ein zentrales Vorhaben“

Herr Pröll meinte zudem, er würde zu dieser Verwaltungsreform in einer Art Konklave so lange verhandeln lassen bis weißer Rauch aufstiege. Bestens. Ich erlaube mir also im heutigen Eintrag, die dringend nötige Reform einer demokratischen Institution anzuregen, nämlich die des Bundesrates.

Habemus pecuniam – Anregungen zum 1. Pröll’schen Konklave

Zunächst ein paar Fragen: Wissen Sie wieviele Abgeordnete im Bundesrat sitzen? Kennen Sie einen Abgeordenten, eine Abgeordnete namentlich? Vielleicht gar den Präsidenten, die Präsidentin? Wenn Sie auch nur eine dieser Fragen beantworten konnten, dann sind Sie mir schon voraus. Ich nämlich, und das bei der vollen Überzeugung, dass ich mich überdurchschnittlich intensiv mit den politischen Fragen des Landes beschäftige, wusste zu keiner der Fragen spontan eine Antwort.

Erst nach längerem, intensiven Nachdenken fiel mir zumindest wieder ein, dass es da vor Jahren einmal einen Skandal um die Bestellung eines BR-Präsidenten gab, der, wie in Österreich offenbar mittlerweile üblich, einen rechtsrechtslastigen Hintergrund besitzt und bei dem man sich die Frage stellte, ob man nicht doch mit der Tradition brechen und einen anderen einsetzen sollte. Mittlerweile sind derlei Trivialitäten kein Hinderungsgrund mehr ein hohes Amt auszuüben –  siehe Martin Graf – selbst im Nationalrat hindert eine problematische Gesinnung des Kandidaten die politischen Kollegen nicht daran die gute alte Tradition aufrecht zu halten.

Aber ich schweife ab. Denn heute möchte ich mich ja mit dem Bundesrat, einer der ineffizientesten demokratischen Institionen des Landes beschäftigen, vor allem damit, diese von mir behauptete Ineffizienz auch faktisch darzulegen. Kommen wir zunächst auf die drei oben gestellten Fragen zurück. Ich wusste spontan auf keine eine Antwort und selbst der Name des notorischen BR-Präsidentschaftskandidaten fiel mir nicht mehr ein. Das mag ein erster Hinweis darauf sein, dass dieses Gremium für das Funktionieren des demokratischen Prozesses nicht unbedingt nötig ist.

Was kann er denn, der Bundesrat?

Der Bundesrat ist als demokratische Einrichtung Teil des Zwei-Kammernsystems, das bei richtiger Funktionsweise, eine Art gegenseitige Kontrollfunktion ausübt. De facto hat der Bundesrat so gut wie keine Kompetenz dem Nationalrat kontrollierend entgegen zu wirken. Lediglich ein suspensives, also ein aufschiebendes, Veto kann er einlegen. Wenn das dem Nationalrat nicht gefällt, kann er den Bundesrat mittels Beharrungsbeschluss mit einfacher Mehrheit übergehen und beschließen was ihm gefällt. Die wenigen Fälle, in denen ihm ein absolutes Veto zusteht, sind meines Erachtens nach unwesentlich.

In Wirklichkeit scheint es sich beim Bundesrat um eine Art Gnadenhof für ausrangierte Politiker zu handeln. Die dürfen dann dort bei einem attraktiven Gehalt ihre Zeit absitzen, bis sie sich in die meist gut dotierte Pension verabschieden. Drastisch formuliert? Ich denke nicht. Der Bundesrat hat in der Tagespolitik einen so geringen Stellenwert, dass selbst ich nicht ad hoc darauf antworten konnte, wie viele Abgeordnete dort eigentlich den Tag verschlafen.

Bitte einmal durchzählen

Im österreichischen Bundesrat sitzen 62 Abgeordnete, der aktuelle Präsident heißt Peter Mitterer und ist laut Parlamentsseite (wo sich all diese Informationen zumindestens nachlesen lassen) ohne Fraktionszugehörigkeit. Ich habe noch nie etwas von ihm gehört, auf Wikipedia kann man sich jedoch darüber informieren, dass er „ein österreichischer Gastwirt und Politiker“ ist. Ich werde jetzt weder darüber spekulieren, ob die Reihung der Berufsbezeichnungen in irgendeiner Weise auch Prioritäten widerspiegelt, noch die Ehrbarkeit der Tätigkeit eines Gastwirtes anzweifeln. Wer sich übrigens noch immer den Kopf über den oben erwähnten Skandalgrund zerbricht, der tröste sich, auch mir fiel er erst nach der Recherche auf Wikipedia wieder ein.

Gesucht: Mann, Pflichtschulabschluss, ca 51 Jahre alt.

Zunächst zu den wichtigsten Kennzahlen: Der Frauenanteil im Bundesrat liegt aktuell bei 30,65%, der Anteil an Akademikern spiegelt fast genau die österreichische Akademikerquote (20%) wider, er liegt bei 19,25%. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass der größte prozentuelle Anteil der BR-Abgeordneten, nämlich ganze 35,48%, das sind 22 Abgeordnete (16 davon Männer) lediglich über einen Pflichtschulabschluss verfügen. Das aktuelle Durchschnittsalter schließlich beträgt 51,7 Jahre, was man zwar als frühes Ausgedinge ansehen kann, meine Argumentationslinie in Richtung „Gnadenhof“ jedoch unterstützt. Der Großteil der Bundesräte, und zwar 31 Personen, ist übrigens zwischen 51 und 60 Jahre alt. (nachzulesen hier).

Gähn

Was arbeitet man nun so im Bundesrat? Im Jahr 2009 gab es insgesamt 18 Sitzungen. In diesen Sitzungen hat man 150 Gesetzesbeschlüssen aus dem Nationalrat 150 mal (drei davon unter Sonderbestimmungen des Bundeverfassungsgesetzes) zugestimmt. Es wurden weiters 81 schriftliche Anfragen eingebracht, drei Enqueten fanden statt, darüber hinaus noch diverse Sitzungen von Ausschüssen. All die Arbeit passt locker auf zwei Blätter im Format DIN A-4 und wird aktuell mit dem netten Monatsgehalt von Euro 4.080,00 für ein einfaches Mitglied entlohnt. Fraktionsvorsitzende und der Vizepräsident bekommen Euro 5.712,00, der Herr Präsident erhält Euro 8.160,00 Euro. Monatlich (nachzulesen hier).

Und natürlich kann man sich als Wirt oder in sonstiger Nebentätigkeit auch noch das eine oder andere Taschengeld dazuverdienen. Wie hoch die diversen Bezüge sind, darüber erfährt man leider nichts, aber immerhin sind einige der Bundesräte beruflich dann doch noch sehr fleißig.

Dauercluburlaub im Bundesrat?

Ich gebe zu, meine Ausführungen sind überspitzt formuliert, trotz allem lässt sich aber nicht von der Hand weisen, dass ein Gremium, welches im demokratischen System Österreichs bloß noch eine formelle, aber keine in der Realität wirksame Funktion mehr innehat, wohl einzig dadurch legitimiert sein kann, dass es im politischen Postenverteilungssystem eine nicht mehr wegzudenkende Rolle spielt.

Das zeigt sich auch an der Undurchführbarkeit der dringend nötigen Staats- und Verwaltungsreform, über die man nun bereits seit Jahrzehnten diskutiert und die trotz Ausschüssen, Arbeitsgruppen und Konventen, trotz markiger Sprüche (siehe oben) und trotz der immer und immer wieder von unzähligen Experten belegten Doppelgleisigkeiten und überbordenden Strukturen (siehe z.B. im Bildungsbereich: Landes- und Bezirksschulräte, etc.) in etwa genauso wahrscheinlich ist, wie ein Volksaufstand (letzterer wird wohl eher eintreten, wenn die politische Entwicklung so weiter geht). Es wird diskutiert, aber nicht reformiert, weil die Abschaffung diverser Strukturen zwar sehr viel Geld frei machen, aber ein wichtiges politisches Instrumentarium wegfallen würde: der gute alte Postenschacher, ohne den Österreich offenbar nicht mehr regierbar ist.

Dieser Postenschacher, der sich auf Bundes- und Landesebene in die politische Unkultur Österreichs eingebrannt hat, spiegelt sich beispielhaft im Bundesrat wieder. Es lässt sich keine Funktion nachweisen, aber es wird trotz allem dort gearbeitet. Wozu, das fragt man sich schon lange nicht mehr.

„Können Sie mir bitte sagen, wo ich hin will?“ (Karl Valentin)

Es gibt nur zwei mögliche Lösungen für das Dilemma Bundesrat. Die erste und mir persönlich sympathischste: die Abschaffung. Am besten morgen. Leider wird das, aus den oben angeführten Gründen nicht passieren, also sollte man sich wenigstens dazu aufraffen, endlich ein Zweikammernsystem zu installieren, das seinen Namen verdient. Man sollte den Bundesrat aufwerten und die darin tätigen Bundesräte und -rätinnen nicht nur mit viel mehr Verantwortung, sondern auch Verpflichtungen ausstatten. Mit einer zweiseitigen Jahresberichterstattung und kleinen Statistik ist es mit Sicherheit nicht getan. Ebensowenig mit dem Abnicken von Gesetzesvorschlägen.

Konkrete Überlegungen dazu gibt es zu Hauf, zum Beispiel im Dokument von Jürgen Weiss, selbst ehemaliger Vizepräsident des Bundesrates. Es stammt übrigens aus dem Jahr 2004 und ihm folgten unzählige weitere von den veschiedensten damit betrauten Expertinnen und Experten. Wenn der Finanzminister also der Meinung ist, wir sollten jetzt sparen, um die Schulden, die er und seine Kollegen angehäuft haben abzubauen, dann bin ich der Meinung, dass die Damen und Herren Politiker zuerst etwas, und zwar mehr als bloß leere Phrasen, dazu beitragen müssen.

Susanne, 28. April 2010

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