Die österreichische Justiz ist so unabhängig, dass sie sich sogar Kritik an ihren Richtern verbittet. Mehr noch, sie zeigt Kritiker auch gleich bei der Staatsanwaltschaft an und verlangt, dass sich diese den Bösewicht – im aktuellen Fall handelt es sich um eine Bösewichtin – die sich anmaßt die Unabhängigkeit der österreichischen Richterschaft anzuzweifeln, näher ansehen möge.
Mittlerweile hat der Präsident der Richtervereinigung zwar erkannt, dass die Anzeige überzogen gewesen sein mag, der Schaden ist aber angerichtet und wirft nicht nur Fragen über die Kritikfähigkeit und Raison der Richterschaft auf, sondern über die österreichische Judikative generell.
Blanke Nerven in der Judikative
Das oben beschriebene Beispiel habe ich mir wohlgemerkt nicht aus den Finger gesogen, es ist tatsächlich passiert. Die meisten werden wissen wovon ich spreche, es handelt sich um einen Vorfall im Rahmen des sogenannten Tierschützerprozesses, der von vielen im Lande mit größter Aufmerksamkeit beobachtet wird.
Bereits im Vorfeld zeigte sich, dass die, wie soll man sagen, Pistolen im Halfter der Beteiligten locker sitzen, ein Bloggerkollege bekam das bereits schmerzlich zu spüren, die oben erwähnte Juristin ist ein weiterer Beweis, dass die Nerven bei sämtlichen Involvierten mehr als blank liegen.
Im Zweifel für den Rechtsstaat
Was mir am meisten Sorgen bereitet ist jedoch nicht mehr die Tatsache, dass die Optik in dem Verfahren mehr als schief liegt, sondern die eindeutig undemokratischen Reaktionen, die rund um das Verfahren bzw. in dessen Vorfeld gesetzt wurden. Darin bildet die Anzeige der erwähnten Juristin eine jüngsten traurigen Tiefpunkt.
Letzlich argumentiert sich der Präsident der Richtervereinigung in seiner Rechtfertigung in einen derartigen Schlamassel, dass es nahezu peinlich ist, solche Aussagen von einem angesehenen, respektierten Juristen und Richter zu lesen.
Ein unabhängiger Rechtsstaat ist die Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Diese Unabhängigkeit – inklusive jener der Richter – zu kritisieren ist aber eine Notwendigkeit, ja die Pflicht aller qualifizierten Beobachter, insbesondere jener, die sich damit wissenschaftlich beschäftigen, und denen man die Kompetenz nicht einfach so absprechen kann. Das gilt gerade auch für laufende Verfahren, in denen Fehler passieren, die für die Beschuldigten zum Teil katastrophale Konsequenzen haben können.
Kein Maulkorb in der Demokratie
Ein Kritikverbot kann und darf in einer Demokratie von niemandem ausgesprochen werden, insbesondere nicht von Vertretern einer der Säulen dieser Demokratie, weil sich dadurch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sich innerhalb der Justiz, wenn man das aktuelle Beispiel heranzieht, eine Entwicklung einstellt, in der bedauerliche Einzelfälle zu gehäuft vorkommenden Problemfällen ausarten.
Bei all der Problematik die dem Tierschützerprozess anhaftet, liegt das wahre Problem jedoch nicht innerhalb der Judikative und diesbezüglich möchte ich diesen Teil unserer Demokratie ein wenig in Schutz nehmen – schließlich werden Tag für Tag viele Einzelverfahren und Revisionen im zivil- wie im strafrechtlichen Sektor vorbildlich abgehandelt – die Hauptschuld für Justizskandäle und undemokratische, mitunter menschenrechtsverletzende Verfahren, trägt, wie kann es anders sein, unsere Legislative.
Wer nicht weiß, wovon ich spreche, das sind die Damen und Herren, die im Nationalrat sitzen (ja auch jene die ihre Zeit unnütz im Bundesrat und überflüssig in den Landtagen versitzen) und von dort aus jene Gesetze verabschieden, welche die Ursache für Marathon-Prozesse und das Ausreizen diversester Instanzenzüge sind.
Die Verantwortung der Legislative
Die österreichische Legislative scheint mittlerweile zu einer Maschinerie verkommen zu sein, in der Gesetze im wahrsten Sinne des Wortes zusammengeschustert werden. Im Eiltempo treibt man in Paragraphen gegossenen Wortkaskaden in halsbrecherischer Geschwindigkeit durch diverseste Ausschüsse.
Am Ende stimmen größtenteils inkompetente Nationalratsabgeordnete, von denen die meisten den fertigen Gesetzestext, so vermute ich, nicht mal gelesen haben, geschweige denn ihn verstehen, über die Implementation und Verlautbarung von Gesetzesmaterialien ab, an denen sich bemitleidenswerte Richter oder Staatsanwälte, Rechtsverteter oder die Exekutive nicht nur die Zähne ausbeißen, sondern für allfällige Fehler auch noch die Prügel der Öffentlichkeit kassieren dürfen.
Gesetzesmurkserei, Anlassgesetzgebung und Sparen am falschen Ort
Anschauliches Beispiel ist z.B. die österreichische Asylgesetzgebung, die jüngst die x-te Novellierung innerhalb weniger Jahre erfahren hat, und bei der es nie zu einer echten Gesetzesreform kommt, die im wesentlichen darin bestünde, das Gesetz klar, präzise und verständlich zu formulieren, sondern bei der zu einem aktuell untauglichen Gesetz weitere Sonderbestimmungen und Extraparagraphen hinzugedoktert werden.
Ähnliches passiert auch in Bezug auf andere gesetzliche Bestimmungen. Besonderes Beispiel, in dem Fall fast zum Lachen, wenn es nicht so ernst wäre, die Anlassgesetzgebung in Bezug auf das Minarettverbot in Kärnten, die nun auch einen Kraftwerksbau verhindern könnte. Diesbezüglich kann man konstatieren, dass sich der Gesetzgeber wohl keinerlei Gedanken über die mögliche Auslegung des Gesetzes gemacht hat.
Hinzu kommt, dass das österreichische Justizwesen seit Jahren unterbesetzt ist, es fehlt an allen Ecken und Enden an qualifiziertem Personal – die Sparwut des Bundes wirkt sich direkt auf den Rechtsstaat aus, wenn sich Verfahren über Jahre hinziehen – lieber investiert man das noch verfügbare Geld in verschiedenste Inseratenserien, in denen man die Effizienz der diversen Ministerien anpreist.
Das Fazit?
Ja, der Präsident der Richtervereinigung hat mit seiner Reaktion auf die Kritik einer Expertin weit über das Ziel hinausgeschossen. Ja, die Kritik am Rechtsstaat und seinen Instanzen ist im Rahmen der Meinungsfreiheit ein jedem Bürger, jeder Bürgerin zustehendes Recht. Insbesondere, wenn es darum geht demokratiegefährdende Fehlentwicklungen aufzuzeigen.
Letztlich geht es aber auch darum, die wahren Schuldigen an den Fehlentwicklungen auszumachen und das sind meines Erachtens nach nicht die Richter oder Staatsanwälte, die Hauptverantwortung liegt im Parlament, bei jedem einzelnen Abgeordneten, der oder die über die Novellierung oder Neuimplementierung eines Gesetzes abstimmt, das er oder sie nicht gelesen oder verstanden hat.
Susanne, 23. Februar 2011