„Die Gefechte begannen am Abend des 6. Jänners. Wir setzten uns gerade an den Esstisch, als es los ging. Mein jüngster Sohn war zwei Jahre alt. Er rannte und krabbelte unter den Klavierflügel und sah mit großen, überraschten Augen darunter hervor. Das ist die einzige Erinnerung die er an Tshkinvali hat.“ (Marika, 49)

In Georgien leben nach Angaben von Flüchlingsorganisationen mindestens 220,000 Internally Displaced People – also Flüchtlinge die im eigenen Land geblieben sind. Durch die Konflikte in Abchasien und Südossetien waren es 1991 gar 300.000 dieser Flühtlinge. Marika ist eine von 10.000 GeorgierInnen, die in den Bürgerkriegsjahren zu Beginn der 1990er aus Südossetien geflüchtet sind – demgegenüber sind 50.000 Osseten geflüchtet, meistens nach Russland.

Südossetion hatte 1989 fast 170.000 Einwohner, 1991 nur noch 125.000 Einwohner. Heute leben 75.000 Menschen in der Region (zumindest bis vor einer Woche) – an der Mischung, dass ein Drittel Georgier und zwei Drittel Osseten dort leben, hat sich im Wesentlichen nichts geändert.

Gute Beziehungen

The Ossetians, a divided people with one section living within Russia on the north side of the Caucasus mountains, and the other in Georgia, generally felt more comfortable with Russian rule than as part of the new, post-Soviet Georgian state. A small nasty war with Tbilisi in 1990-92 led to a declaration of independence but cost 1,000 lives and left a huge legacy of bitterness.

But away from high politics, ethnic relations were never bad. (IWPR)

[ad#ad-1]Wenn man sich zum Beispiel Berichte wie jenen von Marika anhört, kommt man zu dem Schluss, dass das hier kein großer Hass zwischen Ethnien bestehen (oder bestanden haben) dürfte („You wouldn’t feel that I was Georgian and they were Ossetians“). Zwar wollte sich das auch danach stets kommunistisch-autoritär verwaltete Südossetien nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion von Georgien unabhängig machen (und mit der russischen Region Nordossetien zusammenschließen), es bestanden aber gute Handelsbeziehungen zwischen den Volksgruppen (nicht immer legal: auch Schmuggel bzw. organisiertes Verbrechen blühten).

Viele Interessen

Freilich spielen viele geopolitische Überlegungen in den Konflikt hinein, der so zu einem ziemlich unübersichtlichen Netz an widersprüchlichen Interessen wird. Manche Quellen sprechen von 95%, jedenfalls aber über 70% der Menschen in der Region haben die russische Staatsbürgerschaft. Nicht zuletzt dieser Bevölkerunsanteil wird von Russland als Grund für seine „Friedensmission“ in Georgien genannt – man wolle die eigene Bevölkerung schützen.

Allerdings soll Russland im Vorfeld des aktuellen Konflikts nicht nur liebgewonnene Beamte in wesentliche Positionen installiert, sondern auch russische Pässe unter der Bevölkerung verteilt haben. Auch Reiseerleichterungen haben viele Menschen die russische Staatsbürgerschaft annehmen lassen.

Viele Analytiker denken, dass „Moskau“ abseits von edlen Schutzmotiven vor allem seinen Einfluss über die ehemalige Sowjetrepublik Georgien wieder stärken möchte. Die mit den schlimmsten Befürchtungen sehen gar einen (gewaltsam) herbeigeführten Umsturz in Tbilisi (Tiflis) kommen. (Andere (z.B. Gerhard Mangott) interpretieren Russlands Verhalten und Interessen freundlicher und sehen vor allem die Absicht zu einer Wiederherstellung des Status Quo.)

Ein böser Retter?

Der in Tbilisi sitzende georgische Präsident Michael Saakaschwili ist eine zwiespältige Figur – eine Mixtur aus Demokraten und nationalistischem Autokraten. Bei seinem umjubelten Amtsantritt 2004 versprach er, das Land wieder zu einem „Traum-Georgien“ zu vereinen, es zu demokratisieren und zu entkorrumpieren.

„Wir haben gute Beziehungen mit unseren Nachbarn und wir möchten sehr gute Beziehungen mit Rußland haben. Georgien braucht Rußland nicht als Feind. Wir brauchen Rußland als Freund, als Verbündeten, als starken Partner und heute möchte ich im Namen des georgischen Volkes Rußland freundschaftlich die Hand reichen, und möchte, daß diese Freundschaft sich entwickelt.“ (Saakaschwili, 25.1.2004)

[ad#ad-1]Saakaschwili legte auch tatsächlich den Unabhängigkeitskonflikt mit der südwestlichen Region Adscharien bei und trieb die Friedensverhandlungen mit ossetischen Seperatisten voran (bis er sie Ende vergangener Woche überraschend selbst torpedierte und die militärische Option wählte). Sein Image als Demokratie-Verfechter bekam nach der „Rosenrevolution“ wegen Korruption und polizeiliche Repressionen vor allem gegen opositionelle Proteste 2007 auch bald Kratzer. Auch der Vorwurf wurde laut, er habe politische Morde angeordnet.

Russland und die Angst vor der NATO

Zurück zur geopolitischen Komponente: Auch militärisch ist Südossetien von Bedeutung. Es gibt nur drei Pässe von Georgien (die treffenderweise auch „militärische Straßen“ genannt werden) über die hohen Berge des Kaukasusgebirges nach Russland. Zwei dieser Übergänge liegen in der umkämpften Region.

„Seine wichtigste Militärbasis am Kaukasus hat Russland übrigens in Nordossetien, das an Russland angegliedert ist.“ (derStandard.at)

Russland will dort selbstverständlich keine NATO-Staaten angrenzen haben. Und Georgien ist ein Staat, der tatsächlich eine NATO-Perspektive hat – zumindest solange in den USA Bush an der Regierung sitzt (Obama werden hier keine besonderen Ambitionen nachgesagt). Ohne die Zurückhaltung von Deutschlands und Frankreichs Regierungen, wäre es wahrscheinlich bereits Mitglied. Unter anderem der mögliche Machtwechsel in Washington setzt Saakaschwili also unter Zeitdruck.

Europa und das Öl

Georgien ist ein nicht gerade unwesentlicher Spielplatz für die Beziehungen zwischen Russland und der EU – und das obwohl die EU-Staaten im Kaukasus kaum direkt involviert sind. Wie ich in meinem Text über eben jene Beziehungen herausgearbeitet habe, ist für ein Mächtegleichgewicht zwischen den „zwei“ Akteuren auch eine stärkere Energie-Unabhängigkeit Europas notwendig. Just verläuft zufällig durch Georgien die (meines Wissens) einzige Pipeline, die außerhalb russischen Einflusses Erdöl in die EU liefert. Mit dem Einmarsch Russlands in Georgien stieg der Ölpreis übrigens (mal wieder) an.

Die Rechnung zahlen nicht die Richtigen

The destruction there has been appalling and it looks as though many hundreds of civilians have died, in the first place as a result of the initial Georgian assault of August 7-8. Gosha Tselekhayev, an Ossetian interpreter in Tskhinvali with whom I spoke by telephone on August 10 said, “I am standing in the city centre, but there’s no city left.” (IWPR)

Der Konflikt in Georgien ist einmal mehr kein einfach in Schwarz und Weiß zu unterteilendes Unterfangen. So gut wie jeder Akteur hat seine eigenen egoistischen Interessen, die seine Motive zwangsläufig in Frage stellen. Dadurch wird eine Konfliktlösng auch als besonders schwierig angesehen. Ein ehrlicher Makler scheint im Moment nicht in Sicht. Dass in diesem Hickhack wieder einmal unschuldige Menschen den Preis mit ihrem Leben zahlen müssen, ist ebenso erschreckend wie es nicht neu ist.

Alle tragen also ihre Teilschuld. Als ich gestern im Fernsehen internationale Hilfslieferung ankommen sah, hat mich das geärgert. Russland und Georgien sind anscheinend reich genug, um ihre Militärs durch die Gegend zu jagen. Die internationale Gemeinschaft muss zwar jetzt rasch helfen, aber dann das Geld für diese Hilfsdienste von den beteiligten Regierungen zurückholen – jeden Cent. Während anderswo Menschen wie die Fliegen verrecken, weil es schon an geringen Geldern mangelt, provozieren zwei relativ reiche Staaten sinnlos eine humanitäre Katastrophe.

„Wir werden sicher nach Tskhinvali zurückkehren, wenn wir können. Neben den Gräbern unserer Vorfahren liebe ich dort jede Straße. Jeder Zentimeter ist vertraut und nah. Wie könnte ich nicht zurückkehren, wenn es die Chance gäbe … ?

Ich hege keinen Groll gegen meine früheren Freunde, fühle keine Ressentiment. Wenn wir Schaden erlitten haben, haben sie auch welchen erlitten. Es gab bestimmt Menschen, die nicht wollten, dass das alles passiert. Sie waren in derselben Sackgasse wie wir. So viele Leute haben Tskhanvali verlassen – Denkst du, sie wollten das?“ (Marika)

Mindestens 30.000 Menschen sind seit Anfang August nach Russland geflüchtet. Wenn man davon ausgeht, dass auch viele Georgier aus der Region geflüchtet sind, leben dort nun höchstens noch 35.000 Menschen.

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