„Propaganda“ und „Manipulation“, nennt ÖVP-Webmensch Gerhard Loub ein Bild, das derzeit zum wiederholten Male die Runde durch das Internet macht. Es soll darstellen, dass Autos Platzverschwendender erster Güte sind, und Menschen in der Stadt sinnvollerweise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Rad fahren sollen.

Nun ist dieses Plakat der Stadt Münster aus dem Jahr 2001 (wo entgegen Gerhards Sorge nicht Rotgrün regiert, sondern seit Menschengedenken ein CDU-Bürgermeister anschafft) in einigen Punkten offensichtlich plakativ. Ein plakatives Plakat – get it? Und damit würde es als wissenschaftliches Beweisstück für die These mit dem Platzfresser-Auto nicht wirklich taugen. Gerhard hat in seinem Beitrag ein paar Mängel aufgezeigt. Warum auch immer sie entstanden sind, mich irritieren sie vor allem deshalb, weil es keineswegs nötig ist, an diesem Vergleich etwas zu manipulieren, wenn man damit eine Politik zugunsten von Öffis und Rädern rechtfertigen möchte. Mehr als die intellektuelle Debatte über den Wahrheitsgehalt von Werbung interessiert mich deshalb, wie eigentlich die absoluten Zahlen zu diesem Vergleich aussehen würden.

Also habe ich mich auf eine kleine Webrecherche begeben um die Wiener Verhältnisse heraus zu finden. Autobusse in der Innenstadt sind normalerweise 12,5 Meter lang und 2,5 Meter breit (30m²). Sie bieten (zum Beispiel der 13A) 73 Menschen Platz. Laut Wikipedia liegt die durchschnittliche Auslastung öffentlicher Verkehrsmittel in Wien bei 30% – also sitzen in einem Bus zu jeder Zeit 22 Personen. Damit verbraucht ein durchschnittlicher Fahrgast 1,4m² an Platz (gegenüber einem Potential von 0,4m²).

Ein gewöhnliches Auto ist vier bis fünf Meter lang und etwa zwei Meter breit (sagen wir 9m²). Es hat potentiell Platz für fünf Fahrgäste, in Wien beherbergt es im Schnitt aber tatsächlich nur 1,3 Personen (Quelle: wieder der Wikipedia-Link). Dementsprechend verbraucht jeder Verkehrsteilnehmer für die Zeit des Betriebs 6,9m² an Platz (gegenüber einem Potential von 1,8m²).

Wenn ich mein hauptsächlich verwendetes Fahrrad zur Basis mache, ist das am Lenker 60 Zentimeter breit und 1,6 Meter lang. Auf der Grundform eines solchen Rechtecks kann ich zwei Räder abstellen, aber im Betrieb verbraucht man somit nicht ganz einen Quadratmeter (was dem vollen Potential entspricht).

Eine korrekte Grafik würde den Platzverbrauch also folgendermaßen darüberstellen (nagelt mich bitte nicht an der genauen Pixelzahl fest, ich musste im Grafikprogramm bei den Kommastellen schätzen).

Ein weiterer Aspekt ist hier (und im Ausgangsfoto) aber noch nicht veranschaulicht: Die Dauer der Nutzung. Stellen wir uns die Frage also aus der Sicht eines individuellen Verkehrsteilnehmers.

Wie viel Platzverbrauch „verantworte“ ich mit welchem Verkehrsmittel?

Nach der zurückgelegten Strecke lösen sich Fahrzeuge nicht in Luft auf, sondern verbrauchen weiter Platz. Will man wissen, wie viel Platz der Transport von 60 Personen wirklich benötigt, muss man sie zuerst auf vergleichbare Nutzungseinheiten runterrechnen. Dabei kann man nicht ignorieren, dass ein Auto und Fahrrad im Privatbesitz steht, ein Bus aber nicht. Auf der Fläche, die ein Busbenutzer während seiner Fahrt einnimmt, stehen täglich noch viele andere Menschen.

Ein Autofahrer braucht 6,9m². Sein Wagen gehört ihm, er gibt ihn also nach seiner Nutzung niemandem weiter. Seine Einheit ist also die eine Stunde, die er den Wagen benutzt. Von einem ähnlichen Wert gehen wir (mangels Nutzungsdauerstatistik) einfach auch beim Fahrrad aus. Bei Autobussen stimmt dies nicht, denn die fahren 19 oder mehr Stunden am Tag und werden von mehr Menschen benutzt, als gleichzeitig drinnen sitzen. Gehen wir davon aus, dass für dieselbe Strecke die ein Autofahrer täglich fährt der Bus etwa um die Hälfte länger braucht. Eine Fahreinheit ist also 1,5 Stunden lang. Damit teilt ein Buspassagier sich auf 19 Stunden gerechnet seine 1,36m² mit 11,7 weiteren Personen. Plötzlich braucht jeder von ihnen nur noch 0,1m². Im gleichzeitigen Gebrauch wären das eher japanische Zustände, über den Tag verteilt, geht sich das aber aus.

Wenn wir nun also versuchen, 60 Leute mit diesen drei Verkehrsmitteln von A nach B zu kutschieren, kämen wir damit auf folgenden Platzverbrauch:

Die Autos verbrauchen 414m² (86,5%).
Die Räder verbrauchen 58m² (12,1%).
Die Busfahrer verbrauchen 6,6m² (1,4%).

Oder als Bild:

Was nicht berücksichtigt wird

All dies berücksichtigt nicht, dass ein Fahrzeug sich bewegt. Nicht berechnet ist damit also, dass eine Busspur etwas breiter als eine auf das Auto angepasste Autostraße sein müsste, dass ein Radweg nur halb so breit wie eine Straße sein müsste. Auch das nimmt der Stadt Platz weg. Auch dass diese Fahrzeuge an unterschiedlichen Positionen parken müssen. Wer das Treiben in der Stadt beobachtet, wird bemerken, dass der Platz sich nicht einfach ausgleicht, wenn das Fahrzeug sich bewegt. In Wohngebieten sind tagsüber massenhaft leere Parkplätze zu sehen (die allerdings faktisch weiter für Autos reserviert sind). Abends sind hingegen die Gewerbezonen praktisch leer, weil die Leute wieder nach Hause fahren. Auch vor Einkaufszentren und in Parkgaragen wird Platz für den Individualverkehr freigehalten. Es ist (für mich) unmöglich zu sagen, wie viele Parkplätze im Schnitt tatsächlich für ein Auto oder ein Rad zur Verfügung stehen oder wie viele Pausenzonen für Busse man reinrechnen müsste. Wir müssen uns hier also darauf beschränken, den Platzverbrauch pro Person während der Betriebsdauer zu vergleichen.

Ich musste diese Fakten also aus der Gleichung nehmen, weil das zu kompliziert würde. Es ist aber ohnehin klar, dass sie die Bilanz des Autos weiter dramatisch verschlechtern würden (Es gibt keine vierspurigen Fahrradstraßen oder Busspuren. Busse parken außer Betrieb normalerweise in weniger dicht besiedelten Gebieten. Für Räder braucht man nicht zwingend vordefinierte Parkzonen, sondern oft einfach nur einen Vorraum. Und nochmal: Ein Fahrrad ist eigentlich nicht so rechteckig, wie ich es hier angenommen habe.).


Fotocredits: Denis Todorut, CC2.0-BY

Folgerung

Wie diese Teilberechnungen (und ich hoffe, ich habe hier zu später Stunde nicht zuviel Mist gebaut ;)) meiner Ansicht nach deutlich zeigen, ist es vor allem der Privatbesitz von Verkehrsmitteln, der sie zu Platzfressern macht. Dadurch stehen sie einen Großteil ihrer Zeit nutzlos in der Stadt herum. Weil man wohl davon ausgehen sollte, dass Individualverkehr in einem gewissen Ausmaß notwendig ist, muss man vor allem die gemeinsame Nutzung von Fahrzeugen erhöhen. Einerseits geht es da um die gleichzeitige Nutzung (also etwa um Fahrgemeinschaften). Aber diese stößt an Grenzen. Es geht in wesentlich größeren Ausmaß um die zeitversetzte gemeinsame Nutzung von Fahrzeugen. Was diese bewirkt, sieht man in den hiesigen Berechnungen am Bus. Während dessen reale Flächennutzung von 0,1m² bei Vollauslastung noch gedrittelt werden könnte (dieser Gedankengang hat mich im Zuge dieses Beitrags selbst überrascht), kann selbst die optimale Ausnutzung eines herkömmlichen Privatfahrzeugs nie unter 1,8m² Flächenverbrauch fallen. Im Optimalfall braucht ein Autofahrer also immer noch über 50 Mal mehr Platz, als ein Busfahrer.

Ein zukunftsweisendes Modell für den begrenzten Platz in der Stadt müssen also neben dem herkömmlichen öffentlichen Verkehr auch Sharing-Modelle sein. Diese reduzieren die nutzlosen Phasen (also die des Parkens) dramatisch. In Wien gibt es dafür bereits ein annehmbar ausgebautes City Bike-Netz und seit nicht allzu langer Zeit auch eines für Autos. Neben der Fragen des ausreichenden Angebots und der Zugänglichkeit ist es aber auch eine der kulturellen Anpassungsfähigkeit, ob diese Modelle genutzt werden. Kurz: Das liegt an uns Verkehrsteilnehmern.

Würden Autos und Räder vermehrt geteilt, würden deutlich weniger von ihnen gebraucht werden (was angesichts der ressourcenintensiven Herstellung auch für das Klima gut wäre). Und selbst wer dennoch eines besitzen möchte, könnte es zumindest außerhalb der Stadt parken (wo Platz kein Problem darstellt) und innerhalb auf Sharing-Modelle ausweichen.

Was Platz in der Stadt bedeutet

Platz wird gemeinhin nicht als Ressource verstanden, ist in der Stadt aber tatsächlich ein sehr begrenztes Gut. Das bemerkt man zum Beispiel daran, wie hart Autofahrer, Fußgänger und Radfahrer um jeden Fahrstreifen raufen müssen (und wie oft sie sich in die Quere kommen, weil für die saubere Trennung einfach zu wenig Platz zur Verfügung steht). Aber auch steigenden Mietpreise sind eine Folge von Platznot, weil eine wachsende Stadt kaum noch Möglichkeiten findet, um Leute und Geschäfte in der Innenstadt anzusiedeln. Als Reaktion könnten immer mehr Parks, Spielplätze und Ruhezonen geopfert werden, was die Lebensqualität direkt angreift. Ein Effekt davon ist, dass Menschen an die Stadtränder abwandern. Das ist aus gemeinschaftlicher Sicht teuer (Neue Straßen müssen gebaut und Kanäle verlegt werden. Man braucht mehr öffentliche Verkehrsmittel, die weitere Strecken zurücklegen müssen und weniger Fahrgäste haben. Am Stadtrand braucht man Autos wirklich, weil die Nahversorgung nichts taugt. Und so weiter).

Wenn ich einen Blick aus meinem Fenster in den einsehbaren Teil meiner Straße werfe, sehe ich auf eine Distanz von 170 Metern beidseitig 54 Autos parken. Diese Autos nutzen im Moment niemandem etwas, verbrauchen aber mehr als 500m² an Stadt (neben ihrer eigenen Fläche halten sie ja noch Abstand voneinander). Angenommen, man könnte nur 20% dieser Autos reduzieren, würde das allein in meiner Straße etwa 100m² an Fläche freischaufeln. Etwa zwei solcher Straßen würden genügen, um die Grundfläche meines Wohnhauses freizumachen. Nimmt man an, das würde bei zukünftigen Neubauten berücksichtigt, und auf dieser Fläche fünf- bis sechsstöckige Häuser gebaut, könnte man langfristig den Wohnungsmarkt deutlich entlasten und müsste nicht stattdessen in einer an Bevölkerung wachsenden Stadt Grün- und Ruhezonen abbauen. (Alternativ könnte man auf diesen Flächen natürlich auch solche Zonen schaffen.)

Um zurück zum Anstoß der Diskussion zu kommen. Gerhard mag sich zurecht Gedanken über die Manipulationskraft von Bildern machen (er hat ja mit seiner Kritik in dieser Hinsicht recht). Um aber eine Forcierung von öffentlichen Verkehrsmitteln, Fahrrädern und eben auch Sharing-Modellen aus Platzgründen zu begründen, braucht man wahrlich nichts zu manipulieren. Nicht, dass es überhaupt keine Probleme mit anderen Fahrzeugen gäbe, aber das privatisierte Auto ist auch in dieser Hinsicht die größte Gefahr einer lebenswerten Stadt. Das klingt nach radikaler Rhetorik? Es ist aber schlicht folgerichtig.

Von unzähligen anderen Aspekten (z.B. Lärm, Klima, Umwelt, Gesundheit, Verkehrsaufkommen und -sicherheit) reden wir vielleicht ein andermal.

Fotocredit, Coverbild: Felix Triller, CC2.0-BY

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