Belgien und die Niederlande haben 2002 aktive Sterbehilfe legalisiert. 2009 folgte Luxemburg. Passive Sterbehilfe ist in Schweden, Finnland, Dänemark, Frankreich, Irland, Norwegen, Slowenien sowie der Schweiz – teils mit unterschiedlichen Auflagen – erlaubt. Österreich, schon bei Dingen wie Rauchverboten in Lokalen geübt als Bastion der Rückständigkeit, stellt beides derzeit unter Strafandrohung von bis zu fünf Jahren Haft. Die Debatte zum Thema „Erleichterung des Sterbens“ flackert seit über einem Jahrzehnt auch in Österreich immer wieder auf. Bewegt hat sich in all dieser Zeit nichts. Das macht mich ziemlich sauer.

Sterbehilfe, die ewige „heiße Kartoffel“

Jüngste Ergebnisse sind die Befunde einer Bioethikkommission, die mehrheitlich den „assistierten Suizid“, also passive Sterbehilfe, für Todkranke, zumindest nicht mehr gesetzlich sanktionieren. will. Die parlamentarische Enquete zu „würdevollem Sterben“ hat neun Monate diskutiert, empfiehlt eine Ausweitung der Hospizen und hat dabei das Thema Sterbehilfe de facto wieder von der Agenda gestrichen. „Weit hamma’s bracht“, muss ich mir als gelernter Bürger der Alpenrepublik denken. Einziger Fortschritt in der Angelegenheit: Das von der ÖVP (das ist die Partei, die ihre nach Eigendefinition christlichen Werte aus Prinzip nur dann aus der Mottenkiste holt, wenn es darum geht, anderen Leuten irgendwas zu untersagen) geforderte Sterbehilfeverbot in der Verfassung scheint auch vom Tisch zu sein. Für „Zuagroaste“: „Fortschritt“ (österreichisch) = „wenigstens kein Rückschritt“ (deutsch).

Dabei gab und gibt es beim Koalitionspartner SPÖ (das ist jene Partei, deren masochistische Tendenzen beim Regierung spielen selbst „50 Shades of Grey“ wie einen Band des „Lustigen Taschenbuchs“ aussehen lassen) schon länger Stimmen, die sich für die offizielle Legalisierung passiver Sterbehilfe aussprechen. Freilich schaffen es die Sozialdemokraten, die laut amtlichen Statistiken die letzte Nationalratswahl gewonnen haben, einmal mehr, sang- und klanglos unterzugehen. Dass die Mitglieder des obersten Parteiapparats in Ermangelung eines Rückgrats immer noch aufrecht stehen können, gilt mittlerweile als medizinisches Wunder.

Keine Lösung ist keine Lösung

Doch genug der Psychohygiene. Neben christlichen Lehren wird als Argument gegen Sterbehilfe sehr gerne mögliches Missbrauchspotenzial aufgefahren. Dem entgegne ich: Missbrauchen lässt sich alles, wenn sich die „richtigen“ Leute mit niederen Motiven, Chuzpe und genug Intelligenz und Ausdauer dafür finden. Weder das Gesundheitssystem, noch das Asylwesen oder sonstige staatlichen Angebote und Institutionen sind davor gefeit.  Trotz der Legalisierung aktiver Sterbehilfe hat sich die Anzahl unfreiwilliger Opfer in Belgien und den Niederlanden in den vergangenen 13 Jahren offenbar in Grenzen gehalten, von großen Skandalen wäre mir jedenfalls nichts bekannt.

Verbot oder Nichtlegalisierung stellen auch in keiner Form einen Schutz oder gar eine Verbesserung dar. Ganz im Gegenteil. Solange ein Verbot herrscht, wird eben auf „Angebote“ in Nachbarstaaten zugegriffen. Vor allem in die Schweiz, wo der Verein Dignitas seine Dienste auch für Ausländer anbietet. Dort wird die passive Sterbehilfe dann unter den Gesetzen der Schweiz und unter Aufsicht einer nicht ganz unumstrittenen Privatorganisation durchgeführt. Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung aus dem vergangenen August nimmt der „Suizid-Tourismus“ dorthin „rasant zu“. Für die hiesige Politik zwar eine Gelegenheit, sich des Tabuthemas zu entledigen, aber eigentlich keine Lösung, die sich ein modernes Land wünschen kann.

Ein Vorschlag

Und sie muss auch nicht sein: Glücklicherweise könnte der Gesetzgeber bei der Legalisierung des assistierten Suizids Maßnahmen treffen, die Missbrauch so gut es geht verhindern. Denkbar ist etwa, die Sterbehilfe nur für Menschen einzuführen, die von mindestens zwei Ärzten als letal erkrankt diagnostiziert wurden. Dazu könnte zwischen erstem Begehr und Bestätigung der Entscheidung des Patienten eine vorgeschriebene Bedenkzeit liegen. Während  diesermuss der Sterbewillige eine psychologische Fachkraft konsultieren, die letztlich attestiert, dass es sich um einen unter Vollbesitz der geistigen Kräfte ausgedrückten und gut überlegten Wunsch handelt.

Dazu nehme man noch ein vom Patienten formuliertes Dokument im Stile einer Patientenverfügung sowie eine Freiwilligkeits-Erklärung der assistierenden Person und schon entspricht das Prozedere der guten, alten, österreichisch-bürokratischen Tradition, die selbst hargesottene Erbschleicher an ihre Grenzen führen sollte.

Ein Massenansturm ist nicht zu erwarten

Das wirklich Gute an einer solchen Lösung, das die ÖVP, die bei anderen Themen so gerne das Freiwilligkeits-Mantra herunterbetet, beständig ignoriert: Sterbehilfe bleibt eine völlig freie Angelegenheit des Einzelnen. Es ist davon auszugehen, dass die meisten Menschen mit unheilbaren Krankheiten eine Pflegelösung wie Hospize (deren Erweiterung ich übrigens begrüße) für sich selbst vorziehen. In Belgien hat sich die Anzahl der Fälle assistierten Suizids stetig nach oben entwickelt und lag 2012 bei 1.432 (Welt.de). Alleine 2010 erkrankten laut WHO-Datenbank allerdings 166,44 pro 100.000 Belgiern (neuere Daten habe ich nicht gefunden) an bösartigen Tumoren. Bei damals 10,63 Millionen Einwohnern (Fischer Weltalmanach) sind das etwa 17.700 neue Fälle. Bereits Erkrankte sind hier noch gar nicht eingerechnet. Eurostat (PDF) weist für 2011 für Belgien 27.639 krebsbedingte Todesfälle aus.

Selbst wenn man nun die Sterbehilfe-Zahlen von 2012 eins zu eins nur auf die 2011 tödlich verlaufenen Krebserkrankungen umlegen könnte, läge der Anteil der Patienten, die diesen Weg wählen bei lediglich 5,2 Prozent. Freilich ist diese Rechnung nicht korrekt, alleine schon, weil sie andere Krankheiten sowie sonstige gültige Begründungen wie anhaltende psychische Qualen nicht berücksichtigt. Daher liegt der Anteil der Krebsleidenden unter den Sterbehilfeempfängern realistischerweise wohl deutlich niedriger. Der langen – und zugegebenermaßen etwas makaberen – Rechnung kurzer Sinn: Panik vor massenhafter Inanspruchnahme von Sterbehilfe ist nicht angebracht.

Warum die Debatte trotzdem seit einer Dekade im Kreis eiert, während schwer kranke Menschen wider Willen Qualen erdulden oder den Weg in die Schweiz antreten müssen? Ich weiß es wirklich nicht. Scheinbar passiert so etwas einfach, wenn Politik von Feiglingen gemacht wird.

Zusätzliche Informationen

Aktive Sterbehilfe: Die Tötung wird nicht vom Patienten vorgenommen, sondern von einem Helfer. In der Regel ist das eine medizinisch geschulte Person, die eine tödliche Substanz oral oder per Spritze verabreicht.

Passive Sterbehilfe: Hier wird das Tötungsmittel (Beispiel: Dignitas) üblicherweise bereit gestellt. Die Einnahme obliegt dem Patienten selber.

Indirekte Sterbehilfe: Laut Wikipedia eine „in Kauf genommene Beschleunigung des Todeseintritts als Nebenwirkung einer Medikamentengabe“, etwa bei einer Schmerzlinderung durch Morphin bei Krebspatienten im Endstadium. Diese Form der Sterbehilfe ist bei entsprechender Willensäußerung oder Patientenverfügung in Österreich erlaubt.

Foto: timsamoff auf Flickr / CC-BY-ND 2.0

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