Der von mir sonst hochgeschätzte Armin Thurnher schrieb im aktuellen Falter einen schrecklich schrecklichen Leitartikel (online leider nicht verfügbar). Das Internet sei „ein Medium“ für Leute die einer Gratis-Mentalität folgen würden und „die Zeitungsverläge kaputtmacht“, nachdem sie schon die Musikindustrie runiert hätten und außerdem geistiges Eigentum unterwandern würden. Es sei „ein Medium“ für „feige“ Hinter-Synonymen-Verstecker, weshalb sich jeder identifizieren müssen solle, der publizieren will. Und angeblich gehe das Gefühl für Qualität im Internet auch verloren, weil eine veraltete Google-News-Meldung hysterische Börsianer in Panik versetzen konnte.
Nichts davon ist so clever, wie man das von ihm gewohnt ist.
Mein Contra im Einzelnen:
Das Internet als „ein Medium“:
Ich tue es Martin Blumenau gleich und stelle nur fest, dass das Internet kein Medium ist, sondern eine Distributionstechnologie. Thurnher weiß das laut dem letzten Satz auch. Fragt sich, warum er dieses Wissen trotzdem nicht berücksichtigt?
Die Internetuser und ihre „Gratis-Mentalität“:
[ad#ad-1]Bezahlservices für Information setzten sich bisher im Internet tatsächlich noch nicht durch (und werden das vermutlich auf absehbare Zeit flächendeckend nicht tun – ich erwarte eher eine ausgeprägtere Spendenmentalität).
Die attestierte Gratis-Mentalität ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Internet-NutzerInnen sind in bisher nicht dagewesenem Ausmaß bereit, MedienmacherInnen ihre wertvollen Daten zu überlassen. Sie stellen Inhalte zur Verfügung und erweitern das Angebot (wenn man sie lässt). Sie helfen bei allerlei Dingen (wenn man sie fragt). Sie liefern direktes Feedback auf Artikel und verbessern so die Qualität derselben (wenn sie ernst genommen werden). Und wenn sie nicht in wahnwitzigem Ausmaß zugemüllt werden, akzeptieren sie Werbung, die ihnen schlussendlich so zielsicher wie nie angeboten werden kann.
Schon Print-Zeitungen finanzieren sich zu großen Teilen über Werbung. Im Internet ist das Verhältnis noch viel weiter in diese Richtung gerutscht – wird das Bezahlmodell abgeschafft. Aber die NutzerInnen sind zu großen Teilen bereit, das Angebot anders zu entgelten. Es liegt am Unternehmen, das auch in Geld umzumünzen.
Das Internet wird die Zeitungsverläge kaputt machen:
Zeitungsverläge, die sich vom Internet kaputtmachen lassen, sind kein Verlust (die Redaktionen manchmal schon). Auf der Konferenz der International Newsmedia Agency in Wien hörte ich vor einigen Wochen einen Satz, der an die anwesenden Medienmacher gerichtet war. Sinngemäß: „Ihr seid keine Papierbedrucker, ihr seid Informationsanbieter – Journalisten, Geschichtenerzähler und Kommentatoren.“
Das Internet hat schon die Musikindustrie ruiniert:
Das Internet hat die Musikindustrie nicht kaputt gemacht. Die Musikindustrie hat das Internet verschlafen und kommt nun erst langsam darin an (und das auch vorrangig dank externen Unternehmen wie Apple). Wer lieber jahrelang Konsumenten verklagt, als eine unzweifelhaft vorhandene Nachfrage zu bedienen, sollte eh ruiniert werden. Bei Äußerungen der ersten These vermisse ich außerdem oft die Erkenntnis, das niemand unbedingt aufgeblasene Musikverläge braucht, wenn man sein Geld viel direkter den Künstlern selbst zukommen lassen kann.
Das Internet unterläuft geistiges Eigentum:
Creative Commons sind eine Erfindung „des Internets“. Eine tolle Erfindung, die von deutlich mehr Menschen respektiert wird, als die Copyright-Lizenz (die seit jeher ausgehebelt wird, was jetzt nur besonders ersichtlich wird).
Ich weiß ja nicht, wie es anderen Schaffenden geht, aber mein „geistiges Eigentum“ publiziere ich ohnehin deshalb, weil es möglichst viele kennenlernen sollen.
Zwischenfrage von mir an mich selbst: Aber kann man davon auch leben?
Meine vielleicht etwas unkonventionelle These: Je einfacher ich selbst Menschen im Internet den Zugang zu meinen Publikationen mache, desto eher kann ich selbst etwas damit verdienen.
Warum? Weil es dann niemand mehr über windige Kanäle stehlen muss, sondern alles im von mir kontrollierten Umfeld konsumieren kann.
Es ist meine Sache, ob ich in diesem nun Werbung schalte, Spendenmöglichkeiten installiere oder Merchandising-Produkte verkaufe. Ob ich meine durch die freie Verbreitung gewonnene Bekanntheit nutze, um als bezahlter Experte auf Konferenzen zu sprechen, als Filmemacher Leute ins Kino zu locken, als Musiker mehr Menschen zu meinen Konzerten zu bewegen oder als Autor mehr Bücher an die Leser meines Blogs absetze … kommt natürlich darauf an …
Soweit zur Umwegrentabilität, aber die Erfahrung zeigt auch: Wenn Menschen etwas mögen, dann lassen sie es auch möglichst nicht untergehen und unterstützen es.
Gerade sammelt die Wikipedia wieder viele Millionen Dollar für ihre Aufrechterhaltung – und bekommt sie. (Ist es wirklich ein Verlust für irgendjemanden, dass der Brockhaus auf deren Erfolg reagiert, indem er seine Inhalte auch Schritt für Schritt allen zur Verfügung stellt?) Eine Radiostation in Chicago finanziert ihre Internet-Downloadstruktur völlig über Spenden (150.000$ im Jahr).
Und ich kenne sogar Menschen, die für besondere Leistungen auch im Internet bezahlen.
Die Anonymität der NutzerInnen als Problem:
Wie in jeder Öffentlichkeit soll nur publizieren dürfen, wer sich auch zu erkennen gibt, meint Thurnher. Sonst müssten manchmal Foren geschlossen werden, weil (wie im Fall des toten Jörg Haider) bei manchen die Sicherungen durchbrennen. Einfache Antwort: Wen interessieren eigentlich diese ganze Forentrolle?
Es steht jedem Medium offen, eine entsprechende Registrierung vorauszusetzen. Aber genauso wie ich Piratenradios starten und Untergrundzeitungen drucken kann, kann ich auch anonym bloggen und wenn es erlaubt ist eben auch Artikel kommentieren – nur leichter. Persönlichkeit bestimmt allerdings Glaubwürdigkeit, deshalb sollte man das im Allgemeinen eher nicht tun.
Man sollte dabei eines nicht vergessen: Anonymität verleitet zwar zur Scharlatanerie, aber sie erleichtert auch andere, gute Dinge. Das ist vielleicht selten wirklich nützlich, aber dafür dann besonders wertvoll. Abgesehen davon können nur die bedenklichsten aller Methoden überhaupt einigermaßen sicherstellen, dass niemand anonym schimpfen kann.
Es gibt einen Qualitätsgefühl-Verlust durch das Internet
Ist das Internet das neue Radio, weil Börsianer in Massen auftretend grundsätzlich nicht ganz dicht sind? Als ein amerikanischer Radiosender Ende der 1930er (also auch etwa 20 Jahre nach der Etablierung „des Mediums Radio“) ein Krieg der Welten-Hörspiel von Orson Welles übertrug, kam es anscheinend zu einer kleinen Massenpanik. Als vor wenigen Monaten die Mär der menschenbedrohenden Vogelgrippe durch alle Arten von Medien ging, liefen die Menschen los und „plünderten“ die Grippe-Impfbestände. Hysteriker gibt es immer.
Geschätzter Herr Thurnher, dieses Qualitätsgefühls-Argument klingt dann doch zu sehr nach „Versteh ich nicht, braucht man nicht“. Wer mit der Internetnutzung vertraut ist, entwickelt sogar ein sehr gutes Gefühl für Qualität von Inhalten – ich behaupte ein besseres als Zeitungsleser. Man lernt schließlich schnell die Zeichen für Qualität zu erkennen. Und man kann den Gehalt einer Information fast immer in Sekunden nachprüfen.
Das hätten die verblödeten American Airlines-Aktionäre besser auch gemacht.
Papier ist jedenfalls ebensowenig Zeichen für Qualität wie Bits und Bytes welche sind.
Zum Schluss sagt Thurnher, man müsse zumindest über all das diskutieren:
Tut man.
Zum Glück.
Im „Scheiss Internet„.
Wäre schön, wenn man Herrn Thurnher und den Falter dort zukünftig auch finden würde. Jede weitere kluge Stimme ist hier höchstwillkommen.