In einem erstaunlich pessimistischen Kommentar sieht Martin Blumenau eine autoritäre Scheindemokratie herbeiziehen. 2009, sagt er, ist das Jahr in dem alles endgültig kippt. Ich stimme zu, aber ich widerspreche.
Zentrale Punkte sind dabei
1) das fortgesetzte Schlechtreden von Demokratie
2) das in allen Bereichen propagierte Delegieren von Verantwortung
3) die NLP-mäßige Umprogrammierung von moralischen Standards.
Die Medien wären nicht wachsam genug, ja zum Teil gar Unterstützer der Entwicklung. Die Zivilgesellschaft sei nicht ausgeprägt, weil die intellektuelle Elite großteils fehle und andererseits diffamiert werde.
All das ist richtig.
All das ist 2009 am Kippen.
Und all das ist kurzfristig änderbar.
Wir alle haben gesehen, wie schnell die USA von einer autoritärisierenden Neoconhochburg zum Grassroots-bewegten Leuchtfeuer für Progressivität wurden.
Auch Österreich hatte seine Bush-Regierung. Die schwarzblauen Jahre, die Österreich der Konsenspolitik beraubten, das Land in die NATO führen sollten und die Grenzen dicht machten. Erstmals seit der Nazizeit waren Arbeits- und Wirtschaftspolitik wieder im selben Ministerium beheimatet, demokratische Strukturen wurden – zum Beispiel an den Universitäten – zerstört und die Hofierung der Rechten führte uns bis ganz nach Ebensee. Es waren 2006 als Reaktion auf all diese Entwicklungen nur wenige tausend Stimmen für das BZÖ, die eine rot-grüne Regierung in diesem Land verhinderten und uns statt einem umjubelten einen bekämpften Gusenbauer brachten. Die Felle der Irren waren „so“ knapp vor dem wegschwimmen.
Ziviles Erwachen
Das alles hat nicht genug bewirkt, aber eine Protesthaltung vorbereitet, die in den vergangenen Monaten erstmals ausgebrochen ist. Da sind tausende Menschen gegen den Rechtsruck ums Parlament gezogen, organisierten sich Studierende, SchülerInnen und LehrerInnen gegen die Aushungerung ihrer Bildung, forderten hunderte WienerInnen ihre Mitsprache in den Parteien, wollten Tausende „Nicht für eure Krise zahlen“ oder fordern mehr Zugang. Menschen treffen sich zum politischen Grillen und Tausende fordern ihre öffentlichen Räume ein.
Wo AsylwerberInnen abgeschoben werden, erheben sich immer wieder Mitmenschen gegen die unmenschliche Bürokratie. Und wenn die FPÖ ruft, stellen sich Menschen entgegen. Trommelt die mächtige Krone gegen die EU kommt gerade eine größere handvoll Leute, weniger als wenn Österreichs Iraner zum Protest für Demokratie rufen (das sind die Menschen, denen ansonsten gerne unterstellt wird, sie würden mit der Demokratie nichts anfangen können).
Die FPÖ erreicht in Wahlen längst nicht mehr die Ergebnisse, die sie sich wünscht – wenn auch immer noch zu gute. Es gibt Hinweise darauf, dass sogar die SPÖ aufwacht. Der angeschlagene alte Riese hat immer noch das Potential, für die richtige Seite viel zu leisten.
Selbst die Medienwelt kann man weniger trist sehen. Im ORF erheben sich die Inhaltemacher gegen die Politikgemachten und fordern die Sicherung ihrer Unabhängigkeit ein. Die Fellner-Rakete vermag nicht so recht abzuheben und auch Hans Dichands Krone wird genausowenig größer wie er jünger (und wie sein verstorbener politischer Zögling wird er keinen gleichwertigen Nachfolger hinterlassen). Seine Versuche die Prölls zu fördern sind letzte skurrile Taten einer Ausnahmeerscheinung, deren Imperium zerfallen wird. Ja natürlich hat er Hans Peter Martins Erfolge miterzeugt, aber dessen Inhalte sind längst nicht mehr so falsch und widerlich, wie das früher einmal bei Krone-Kandidaten war.
Shift happens
Und dabei steht das große Umdenken noch bevor. Die Bevölkerung und auch immer mehr PolitikerInnen wagen sich langsam ins Gleichberechtigungs-Web (nichts anderes ist das, was man Web 2.0 nennt). Das ist ein Kommunikations-Shift, der in Folge auch das Denken ändert – im Iran sehen wir, wie – und Menschen einander näher bringt.
Und einer, der die alten Medien entmachtet, die an den Fehlentwicklungen so viel Schuld tragen (auch das schafft Angst, die nicht begründet ist). Dieser gedankliche Wandel dauert noch etwas länger – aber der (un)beabsichtigte Dreh an der richtigen Schraube kann sowas auch unheimlich beschleunigen.
Ein Problem ist, dass hierzulande vergessen wurde wie zerbrechlich Freiheiten und Rechte sind. Dass sie gefährdet sind, halten viele Menschen noch für Paranoia. Aber ebensowenig wie die breite Mehrheit der ÖsterreicherInnen verprügelte Schwarze oder fast abgeschobene behinderte Österreicher goutiert, wird eine kritische Masse sich die Freiheit und Rechte schweigend nehmen lassen. Wenn offensichtlicher wird, wohin die Irren uns führen, werden sich mehr Menschen erheben. Trotz allen Fehlern hat sich auch die österreichische Gesellschaft seit den 1930er-Jahren weiterentwickelt.
Alles, was Österreich an diese Schwelle zum Wahnsinn gebracht hat, ändert sich – spät, aber noch vor dem bitteren Ende. Es ist ungewiss, ob uns diese neuen Entwicklungen rechtzeitig schützen, oder ob wir vorher noch einen kurzen Backlash und letztes Aufstöhnen des alten Österreichs und seiner Produkte erleben. Aber wenn wir alle daran arbeiten, dann würde ich darauf auch etwas setzen.
Nichts wird automatisch geschehen.
Kein Weg ist vorprogrammiert.
Etwas das kippen kann, kennt nicht nur eine Richtung.
Wir entscheiden, wohin es geht.
Fotocredits: Rachael Voorhees (CC2.0-BY)