Die Schweiz hat heute per so genanntem „direktdemokratischen“ Entscheid für ein Verbot von Minaretten gestimmt. Viele Leute jubeln. Schwer zu ertragen, aber mittlerweile sowas wie Normalität. Was ich etwas bedenklicher finde ist das mangelnde Demokratieverständnis von einigen Leuten, die die Entscheidung nicht gut finden, das Votum aber trotzdem als „demokratisch zu akzeptieren“ bezeichnen. Darüber lässt sich nämlich vortrefflich streiten.
Eine Demokratie existiert nämlich nicht einfach so, solange Mehrheiten irgendwas entscheiden dürfen. Der Mehrheitsentscheid ist nur ein Element. Wenn wir von unserer Gesellschaft als Demokratie sprechen, dann meinen wir damit ein politisches System mit freiheitlich-demokratischer Grundordnung auf Basis eines gerechten Justizsystems. Gäbe es irgendetwas davon nicht, dann würden wir das als antidemokratisch bezeichnen. Wichtige Normen wären verletzt.
Ein plakatives Beispiel, wann so etwas nicht erfüllt ist: Im Iran dürfen Menschen ihr Parlament wählen (sogar in China darf man zur Urne schreiten). Trotzdem sind diese Wahlen nicht demokratisch (die Wahlen sind weder gewaltfrei, noch darf jeder kandidieren). Demokratische Grundsätze sind hier einfach nicht erfüllt.
Im Falle des Minarettverbotes sind die Fakten nicht ganz so klar, sondern bedürfen näherer Betrachtung. Was zur Debatte steht ist im Wesentlichen die freie Entfaltung von Religionen in der Öffentlichkeit und der Schutz von Minderheiten. Dürfen religiöse Bauten existieren? Und wenn ja, zu welchem Zweck, unter welchen Bedingungen?
Ich denke man führt die Debatte rund um dieses Verbot in drei Kernbereichen: Lärmbelästigung und Stadtbild (also Ästhetik), Freiheit der Religionsausübung und Machtsymbolik.
„Ich hätte keine Lust ein Minarett in der Nachbarschaft zu haben“, sagen manche. Verständlich. Weder will man seine Sommernachmittage im Schatten eines Turms verbringen, noch steht man besonders darauf, wenn es irgendetwas Lautes in der Umwelt gibt. Die Frage der Ästhetik kann man aber schnell abhaken: Das sollte man einfach nach geltenden Gesetzen richten, die für jedes Bauwerk gelten. Die sind an und für sich restriktiv genug, dürfen aber auf keinen Fall willkürlich gestaltet und ausgelegt werden. Natürlich kann man nicht alles überallhin bauen. Das heißt aber nicht, dass man es nirgendwo bauen kann. Ein prinzipielles Minarettverbot ist damit unzulässig und viel zu restriktiv.
Recht einfach verhält sich auch noch das Gebot der freien Religionsausübung. Wann auch immer diese beschnitten wird, sind BürgerInnen- und Menschenrechte verletzt und die Demokratie im Eimer. Die Säkularität begrenzt dieses Recht und verbietet Religionen Macht auf die Politik auszuüben. Das ist natürlich ein Idealzustand mit einer offensichtlichen Grauzone, muss aber als solcher hochgehalten werden. Ob ein Minarett zur Religionsausübung benötigt wird, das sollen kompetentere Leute als ich beurteilen. Ich vermute nicht. Die Debatte geht also am Minarettverbot vorbei.
Der dritte Punkt ist der schwierigste. Er ist der Gewichtigste den die Islamophoben und Broderisten immer wieder gern ins Feld führen. Sind Minarette Machtsymbole? Und dürfen sie das sein?
Jeder Kirchturm und jedes Minarett haben auch eine machtpolitische Bedeutung. Um das zu sehen muss man nicht in den Islamisierungs-Hysterie der geistig Umnachteten einstimmen. Diese Gebäude signalisieren die Existenz ihrer Gemeinden in einer Stadt und den Anspruch, dort auch gesehen und als Teil anerkannt zu werden. Eine Demokratie genehmigt ihren BürgerInnen prinzipiell das Recht, solche Symbole zu installieren (manchmal mit der Einschränkung für Gruppen, die die Demokratie offen ablehnen, wie etwa Nationalsozialisten).
Christen dürfen Kirchen bauen, Muslime dürfen Moscheen bauen, Banken dürfen Prestige-Wolkenkratzer hinstellen. Tatsächlich ist das von Rechten gern geführte Argument, dass Minarette Herrschaftssymbole seien, sogar in einen liberal-demokratischen Standpunkt integrierbar. Wenn man Machtsymbole hinstellen darf, dürfen gesetzes- und grundordnungstreue Minderheiten das auch. Alles andere ist eine Diskriminierung.
Der Schutz von Minderheiten und das Verbot von Diskriminierung ist aber eines jener Grundrechte, ohne die eine Demokratie nicht existiert. Eine Demokratie setzt sich nicht nur über Mehrheitsentschiede zusammen, sondern misst sich auch an der ihr innewohnenden Idee einer freien und gerechten Gesellschaft, bei der gleiches Recht für alle gilt. Wer diese Ideen ausblendet, der beschreibt nur die Diktatur von Mehrheiten, jedoch keine Demokratien.
In der Diktatur der Mehrheit wäre es möglich, dass die Mehrheit der Frauen den Männern das Wählen verbietet. Da könnte die Mehrheit der NichtraucherInnen das Rauchen einfach überall verbieten – auch dort wo sie nicht gesundheitlich betroffen ist. Die Mehrheit der Dünnen könnte den Dicken den Schweinsbraten wegnehmen, oder die Mehrheit der Dicken den Dünnen den gefährlichen Sport untersagen. In solchen Gesellschaften darf eine Mehrheit der Minderheit die religiösen Gebäude verbieten.
In Demokratien geht das nicht.
Wer also nicht zu den Paranoikern zählt, die MuslimInnen und MinaretterrichterInnen grundsätzlich als Feinde der Demokratie sehen, darf als DemokratIn kein Minarettverbot akzeptieren. Auch nicht, wenn es von der Mehrheit entschieden wird.