Im zweiten Teil unseres Interviews mit Bundespräsident Heinz Fischer sind unter anderem der österreichische Irrsinn, Freundschaft mit Nordkorea und Kärntner Ortstafeln die Themen. Außerdem verleihen wir Heinz Fischer ein Ehrenzeichen.

Die Fragen stellen immer noch Tom Schaffer und Pezi Köstinger. Die Fotos sind immer noch von Georg Pichler. Die Titelfotos (Startseite und oben) sind von Andreas Wenzel und Urheberrechts-geschützt.

Den ersten Teil findet ihr hier.

Pezi: Die politische Kultur in Österreich wirkt generell etwas verwahrlost. Immer wieder gibt es Korruptionsvorwürfe, Dinge werden vertuscht oder bleiben ohne Konsequenzen, während Studierendenprotesten schafft die Regierung zum Beispiel monatelang das zuständige Ministerium ab. Ist das nicht Irrsinn, was da momentan in Österreich passiert?
Mit dem Wort Irrsinn müssen wir vorsichtig sein. Mein Blick auf die Dinge ist kombiniert mit der Frage: Wie steht Österreich im Vergleich mit anderen Ländern da? Und da stehen wir gar nicht so schlecht da.

Aber dass man einzelne Dinge kritisiert ist für die Demokratie lebensnotwendig. Eine Demokratie ohne Kritik kann nicht existieren.

Wenn Sie sagen „die Regierung schafft für einige Monate das Wissenschaftsministerium ab“ … Es gab jede Minute einen rechtlich und politisch voll verantwortlichen Minister und der gesamte Apparat war ja in Existenz. Das ist die eine Seite.

Wo Sie recht haben: Dass ein Wissenschaftsminister der in Kürze Mitglied der EU-Kommission werden soll, auch dieser bevorstehenden Aufgabe und dem sogenannten Hearing eine gewisse Aufmerksamkeit widmen muss. Aber das ist in allen Ländern so. Österreich ist ja nicht das einzige Land, das ein Regierungsmitglied als EU-Kommissar nominiert hat.

Ich glaube diese beiden Seiten müssen Sie in Betracht ziehen. Jetzt gibt es wieder eine gut eingearbeitete, weil schon vorher an der Universität tätige Wissenschaftsministerin. Wir werden sehen wie es weiter geht. Ich habe kürzlich mit ihr ein langes Arbeitsgespräch geführt, werde weiter auch ein Anwalt der Universitäten sein. Ich habe eine gute Beziehung zur Hochschülerschaft und auch zu den Rektoren.

Generell hat man den Eindruck, die Politik gerät zunehmend zum Geschäft. Es zählt nur noch, was öffentlichkeitswirksam ist. Glauben Sie noch an die Funktionsfähigkeit der Politik?
Politik findet auf jeden Fall statt und funktioniert auf jeden Fall. Es gibt kein Land ohne Politik. Politik ist die Beschäftigung mit den Angelegenheiten der Gesellschaft. Worauf es ankommt ist, dass möglichst viele positive Impulse einfließen, und dass Menschen politisch tätig sind, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen.

Ich habe gerade in diesen Tagen darüber diskutiert, dass sich die Formen der Politik ändern. Heute wird weniger Politik über die Parteien transportiert, dafür mehr über NGOs – oder über Blogger! Aber sie findet in jedem Fall statt.

Tom: In Ihrer Auftaktrede im MAK haben Sie gesagt: „Ich habe keine Angst vor Ortstafeln, auch nicht vor zweisprachigen„. Ich bin kein Jurist, aber meines Wissens haben Sie ein Weisungsrecht an Bundesorgane bezüglich der Umsetzung von Verfassungsgerichtshofs-Erkenntnissen? Sie könnten anordnen Ortstafeln in Kärnten aufstellen zu lassen?
Nein, das ist nicht so. In der Verfassung steht, der Bundespräsident kann die Exekution von Verfassungsgerichtshofs-Urteilen anordnen, sofern dieser einen diesbezüglichen Antrag stellt. Und das hat er nicht gemacht, weil sich hier der Gegenstand der Exekution auf etwas bezieht, was mit Weisung nicht erledigt werden kann. Es gibt also die Voraussetzung für eine Weisung derzeit nicht, weil es keinen Antrag des Verfassungsgerichtshofes gibt.

Wenn der Verfassungsgerichtshof Sie darum ersucht, könnten Sie das anordnen?
(Fischer steht plötzlich auf und geht zu seinem Arbeitsplatz. „Jetzt holt er die Verfassung“, flüstert die Pressesprecherin lachend. Er kommt zurück und blättert.)

Ich suche es Ihnen später heraus.

(später nach dem offiziellen Ende des Interviews zeigt und erklärt er uns tatsächlich noch einmal den Gesetzestext (Artikel 146 (2)))

Und würden Sie das umsetzen?
Wenn der Antrag gestellt wird, muss man sich damit beschäftigen. Da kann man dann nicht sagen „Das freut mich nicht„. Aber im Moment geht es nicht. Das braucht einen Antrag des Verfassungsgerichtshofs.

Wir folgen naturgemäß im Internet Diskussionen zu Ihrer Person und dem Wahlkampf. Man kann sich zwar denken, woher das kommt, aber man stoßt immer wieder auf das Argument, dass sie als ehemaliges Präsidiumsmitglied der Gesellschaft für nordkoreanisch-österreichische Freundschaft zu wenig Abstand zur dortigen Diktatur hätten. Was war Ihre Aufgabe damals und warum haben Sie diese Funktion ausgeübt?
Das erkläre ich Ihnen gerne, obwohl es eine Lappalie ist, die 30 Jahre zurückliegt.

Österreich hat nicht zu allen Staaten diplomatische Beziehungen. Wenn wir solche aufnehmen, dann wollen wir, dass die Beziehungen funktionieren – auch wenn es ein Land ist das ganz andere politische Systeme hat. Auch zu Rumänien unter Ceauşescu oder Südafrika zur Zeit der Apartheid hatten wir diplomatische Beziehungen.

Anfang der 70er haben wir unter Außenminister Kirchschläger beschlossen, diplomatische Beziehungen zu China und Nordkorea aufzunehmen. Dazu wurden auch im Vereinsregister eingetragene Gesellschaften zur Förderung der Zusammenarbeit gegründet – wie vorher schon zu Dutzenden anderen Staaten.

Diese Gesellschaften waren auf überparteilicher Basis organisiert. In der österreich-nordkoreanischen waren ÖVP-Justizminister Klecatsky, die Abgeordneten Heinz-Fischer (SPÖ), Johann Gassner (ÖVP) und und Hilde Hawlicek (SPÖ, später Kulturministerin), und Leute aus der Wirtschaft, Bürgermeister und der Polizeipräsident Holaubek … Die waren völlig frei vom Verdacht mit dem kommunistischen Regime zu sympathisieren. Aber der Staat Nordkorea wurde durch diplomatische Beziehungen mit Österreich verbunden.

Weil „manche“ darauf spekulieren, dass die Österreicherinnen und Österreicher diese Details nicht kennen, sagen sie „Der Heinz Fischer macht sich verdächtig„. Sie haben das nie über ÖVP-Justizminister Klecatsky oder die anderen gesagt. Das kommt aus rein parteipolitischen Gründen immer in Wahlkampfzeiten – mittlerweile schon zum fünften Mal. In Wirklichkeit müsste man darüber einfach lachen. Für mich ist das ein Beweis, dass „ihnen“ sonst nichts einfallt.

Ich habe meine Anti-Diktatur- und Anti-Kommunismus-Haltung bei vielen Gelegenheiten bewiesen. Schon bei der ungarischen Revolution 1956 und 68 beim Prager Frühling habe ich gegen die sowjetischen Panzer demonstriert. Mich in die Nähe des Kommunismus zu rücken wird niemandem gelingen.

Pezi: Von Nordkorea zum Wahlkampf: Die Meinungsumfragen bescheinigen Ihnen 70 bis 80 Prozent. Fühlen Sie sich da nicht schon wie der sichere Sieger?
Das darf man nie bei einer Wahl. Man muss die Entscheidung der Bevölkerung ernst nehmen. Die steht erst am Abend des 25. April fest. Ich weiß nicht was bis dahin passiert. Ich gehe mit Zuversicht in diese Wahl, aber das ist schon das Äußerste was ich sagen kann.

Tom: Finden Sie es schade, dass es keine ernsthaften GegenkandidatInnen gibt (im doppelten Sinne von herausfordernd und seriös)?
Diese Frage dürfen Sie nicht an mich richten. Ich bin einer der Bewerber und kann mir die anderen nicht aussuchen. Ich hoffe auf eine vernünftige und seriöse Wahlbeteiligung.

Pezi: Kritiker bezeichnen sie hart gesagt als „konturlose Schlaftablette“. Was entgegnen Sie dem?
Dass mich die ordentlich unterschätzen.

Haben Sie nicht Angst, dass Frau Rosenkranz mit ihrem „Ohne Mut keine Werte“-Slogan genau solche Kritiker anspricht?
(überlegt) Die Frau Rosenkranz wird sicher manche Leute ansprechen. Wie viele das sind, was deren Position und politische Intentionen sind, wird sich herausstellen. Angst habe ich keine.

Tom: Angesichts dessen, dass sie der einzige moderate Kandidat sind: Sind Sie enttäuscht, dass es noch keine Wahlempfehlung von den Grünen und der ÖVP gibt?
Von der Haltung der Grünen kann ich wirklich in keinster Weise enttäuscht sein. Die Umfragen zeigen auch, dass die Wählerschaft der Grünen eine sehr positive Einstellung zu meiner Kandidatur hat. Es wird auch noch ein Hearing mit den Grünen geben, vielleicht wird die Zahl derer mit einer positiven Entscheidung sich dadurch noch vergrößern.

Was die ÖVP betrifft bin ich auch nicht „enttäuscht“. Ich bemühe mich um ein gutes Resultat für mich, und dass Österreich einen herzeigbaren Bundespräsidenten hat. Auf die anderen Parteien reagiere ich weder mit Enttäuschung noch Begeisterung. Jede Partei ist in einer Demokratie für sich selbst verantwortlich.

Fischer: "Jede Partei ist in einer Demokratie für sich selbst verantwortlich."

Einige unserer LeserInnen wollten wissen: Sie sind Zeit Ihres Lebens aktiv und werden mit Ende der zweiten Amtszeit 77 sein. Haben Sie nie das Bedürfnis in Pension zu gehen? Anders gefragt: Warum tun Sie sich das noch einmal an?
Weil es mir Freude macht. Wenn ich mich entscheide zwischen sechs Jahren als Pensionist und sechs Jahren als jemand der für das Land das ich liebe arbeitet, nehme ich die zweite Variante.

Pezi: Eine andere Leserfrage: Wird sich der neue Präsident Fischer vom alten unterscheiden?
Falls ich das Vertrauen bekommen wird es ein beträchtliches Maß an Kontinuität geben, aber man kann auch etwas dazu lernen und sich manche Kritik und Anregung zu Herzen nehmen. Man merkt ja worauf die Menschen positiv reagieren (Anständigkeit, Seriosität, Verlässlichkeit,..) und wo sie einem zu überlegen geben, etwas innovativ anzugehen.

Tom: Als Präsident bewegen Sie sich ja auch am internationalen politischen Parkett. Was erhoffen Sie sich in Ihrem Leben realistischerweise noch für eine Veränderung in der Welt zu sehen?
(Schaut ernst und schnauft kurz durch) Ganz, ganz wichtig wäre, dass der Nahost-Konflikt einer Lösung zugeführt wird – auf Basis zweier selbstständiger und in geordneten Verhältnissen friedlich nebeneinander lebender Staaten.

Das Zweite wäre, dass die Europäische Union sich bewährt und mit allen Krisen fertig wird. Sie ist ein wirklich positives Projekt für Frieden und die Rolle Europas und seiner Werte in der Welt.

Das Dritte ist, dass der Abrüstungsgedanke … (lange Pause) … Erfolge erzielen kann. Dass das wofür Obama im Voraus den Friedensnobelpreis bekommen hat, auch wirklich eingelöst werden kann.

Ich würde noch etwas Viertes hinzufügen: Die globalen Unterschiede zwischen Reich und Arm sollen geringer werden, Fortschritte bei den Millenium Goals der Vereinten Nationen wären ganz wichtig.

Das sind Aufgaben die natürlich über die nächsten sechs Jahre hinausreichen, aber mit denen wir uns auch in diesen sechs Jahren ernsthaft beschäftigen müssen.

Weil Sie gerade Obama erwähnt haben, passt unsere Schlussfrage ganz gut: Würden Sie ihn bei einem Treffen bitten, dass er uns auch ein Interview gibt?
(lacht) Ich glaube, er ist schon ein Blogger, ihr müsst ihn nur überreden.

Heinz Fischer bekommt von zurPolitik.com das "Ungoldene Ehrenzeichen für besondere Verdienste um die Blogosphäre"

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