Je kleiner die Partei, umso größer der Spaß. Nur für die Grünen wird es ernst: Schaffen sie erstmals den Sprung ins Parlament?

Zum Beispiel „Go MAD“. Das steht für Movement for Active Democracy, und der Gründer dieses Partei-Minis heißt Andy Kirkwood. Dass ich ihn vorgestern traf, war reiner Zufall. Andy wohnt auf der Halbinsel Purbeck, eine Autostunde von Winchester, unweit der ISLE OF WIGHT (Klickempfehlung). Malerischer Flecken, die Eisenbahn macht dort noch Dampf.

Auf Purbeck gibt es auch einen Golfplatz. Den betreibt Andy, und so kam es also, dass er mich fragte, ob ich nicht seiner Partei beitreten wolle. Nicht als Mitglied, sondern gleich als Kandidat. Für meinen Wahlkreis. „Warum sollen nur Politprofis ihren Spaß mit dem Wahlkampf haben?“, meinte er. „Den Mist, den die bauen, können wir schon lange. Tritt heute bei, und ich verschaff Dir morgen Deine drei Minuten TV-Ruhm. Celebrity-Status, dank MAD!“

Darum gehe es, sagte er. Spaß. Den hat man nur, wenn man mitmischt. Und das sei auch schon sein Wahlkonzept (HIER geht es übrigens zu seiner Ansprache). Politische Ansichten uninteressant, Manifest überflüssig. Es reicht, der Politiker überdrüssig zu sein. Im Fall von MAD sind das bislang zwar erst sechs bekennende Kandidaten. Dennoch: ein guter Mann, dieser Andy Kirkwood. Sehr entspannt. Na gut, er besitzt einen Golfplatz auf Purbeck.

Winston Churchill merkte einmal an, dass Demokratie die „schlechteste aller Regierungsformen“ sei. Nachsatz: „Bis auf all die anderen Formen, die bereits versucht wurden.“ Darüber kann man denken, wie man will. Aber wenn man sich den demokratischen Prozess so gibt wie die britischen „Fun Parties“, wird Winston plausibel.

Diese kleinen Größen haben einen Prototyp: die (Official) Monster Raving Loony Party. Sie wurde 1963 von einem bunten Menschen namens Screaming Lord Sutch gegründet. Anfangs hieß sie National Teenage Party (eine Haltung zum Umstand, dass man erst ab 21 wählen durfte). Aber dann setzten sich die Loonies durch.

Die Loonies sind Legende. 1966 trat Sutch gegen (Ex-Premier) Harold Wilson an. Nicht um zu gewinnen, sondern um bei Bekanntgabe des Ergebnisses neben Wilson zu stehen und seinen Senf bei zu steuern. 1987 gewann man im Wahlkreis Ashburton sogar einen Sitz. Weil keine Gegenkandidaten antraten. Warum? Weil niemand riskieren wollte, gegen die Loonies zu verlieren. Und das ist der tiefere Sinn der Fun-Parteien: die Angst der Großparteien vor einer peinlichen Schlappe.

Zurück zu Lord Sutch. Der verschaffte mir Mitte der 90er Jahre die beste Wahlkampfnacht meiner Erinnerung. Er kam mit Band in die Stadt und zwang das Volk im „Eagle“-Pub eine Stunde lang gewaltlos, die Öde des Seins zu vergessen (in etwa wie HIER). Leider verübte er 1999 Selbstmord (weil seine Mutter gestorben war). Aber die Partei lebte weiter. Nach Sutch wurde eine Katze namens CAT MANDU neue Vorsitzende. Als sie drei Jahre später von einem Auto überfahren wurde nahm man die Forderung nach „Straßenüberquerungen für Katzen“ ins Wahlmanifest. Die Forderung existiert heute noch.

Auch heute noch sind die „Loonies“ immens wichtig. Weil sie die Kandidaten der UKIP (UK Independence Party) verscheuchen. Aus Angst vor Erniedrigung will kein UKIP-Kandidat gegen eine(n) Loony antreten. UKIP nennen sich zwar „unabhängig“, sind aber lediglich eine „Ausländer raus“-Partei – und deshalb mittler Weile mächtig angewachsen (die Alternative „die Britisch Nationalist Party“ hatte das rechte Wählervolk etwas irritiert, weil sie jedem Nichtweißen den Abschied von der Insel mit £50 000.- erleichtern wollte). UKIP hält zwölf Sitze im Europa-Parlament. Und was ein UKIP-Abgeordneter wie Nigel Farage in Brüssel drauf hat, ist in DIESEM VIDEO zu sehen. Erraten, jenes diplomatische Juwel, in welchem er dem EU-Obersten Herman van Rompuy das Charisma eines nassen Fetzens nachsagt.

Leider hört sich auch für kleine Parteien der Spaß mitunter auf, spätestens dann, wenn die Lage ernst und das Unglaubliche möglich wird. Heuer zum Beispiel für die Green Party. Die fristete in den vergangenen zwanzig Jahren ein bescheidenes Dasein, weil es partei-intern um ernste Sachen ging, um Fragen der Integrität. Etwa, ob es die Prinzipien verletze, wenn man „einen Anzug trägt und sich für eine(n) Einzelne(n) als Vorsitzende(n) entscheidet. Inzwischen brannte der Planet.“

Diesmal aber scheinen die Grünen Geschichte zu machen. Im Wahlkreis Brighton. Dort kandidiert die grüne Parteivorsitzende Caroline Lucas, die laut Umfragen einen Tag vor der Wahl vor den Tories führt. Sollten Labour-Wähler strategisch für die Grünen stimmen, hätten die Tories keine Chance. Das Problem ist nur, dass Brighton seit 1997 (Blair) ein Labour-Sitz ist.

Brighton ist in der Tat eine besondere Stadt. Die Hedonistenzentrale, die Gay Capital der Insel, mehrheitlich jung. Bevölkert von Musikern wie FATBOY SLIM, Autoren wie Julie Burchill, Künstlern zuhauf. In Brighton ist es schick, grün zu sein. Think Hollywood.

Vorgestern gab die Tageszeitung The Independent eine Wahlempfehlung für Caroline Lucas ab, sie selbst war kompromissbereit genug, ins Wahlmanifest neben den traditionell einzigen Punkt – Klimawandel – auch noch ein paar weitere schwere Brocken zu stellen, die keine der Großparteien anzutasten wagte: sofortiger Abzug der Truppen aus Afghanistan. Keine Atomwaffen. Abschaffung der Armut (!).

Kein Fehler.

Und gestern schließlich machte sich auch Gordon Brown für Brightons Grüne stark, wenn auch unabsichtlich: indem er sich gegen die Legalisierung der Homosexuellen-Ehe aussprach. Nicht wirklich das, was man in Brighton hören will. Heute werden wir wissen, ob es half.

Zum aktuellen Zwischenstand (4.5.) im Wahlkampf laut online-Umfrageriesen YouGov:

CON 35% (0), LAB 28% (+1), LIB 27% (-1) Prognose: Hung Parliament

Die Tories haben zwar ihren gestrigen Stand gehalten, weil aber Labour 1% zulegte, fehlen Cameron wieder 52 Sitze (gestern: 43), um sich Erster Minister zu nennen. Was ist geschehen? Hat Stephen Fry´s gestrige Empfehlung für Brown die Stimmung geändert? Oder verzichtet der Wähler doch lieber auf das „Neue“, das Nick Clegg verspricht, ganz im Sinne der alten Weisheit „Better the devil you know than the devil you don´t know?“

Manfred Sax lebt in Winchester (UK) und ist Journalist und Mitbegründer des Blogs zib21.com, wo er ein Tagebuch über den aktuellen Wahlkampf führt

Foto: Ecomonkey

Interessant oder? Teile das doch mit deinen Freunden!