Wissen ist Macht. Mit diesem Ausspruch hat Francis Bacon einen Stein ins Rollen gebracht, der nicht unbeteiligt daran war, die Lawine der Aufklärung auszulösen. Diesem gesellschaftspolitischen Prozess wiederum verdanken wir einen Gutteil unseres heutigen Wohlstandes, die Gründung von Staatswesen mit funktionierenden Rechtsordnungen, wissenschaftlichen Forschritt und vieles mehr was eine moderne Gesellschaft ausmacht. Die zugrunde liegende Ratio gilt übrigens heute mehr denn je.
Vor zwei Wochen befand ich mich mit einer Gruppe von Bloggerinnen und Bloggern in Brüssel, um der Europäischen Union sozusagen auf den Zahn zu fühlen. Meine Kolumne, die ich in Vorbereitung darauf verfasst hatte, war in dieser Hinsicht auch eine wichtige Lektion in Sachen Reflexion und Kritikfähigkeit, welche in der Folge auch das Zentrum des heutigen Resümees, nach erfolgter Reise und einem Sich-Vor-Ort-ein-Bild-Machen, bildet.
Skep|sis [gr.] die; -: Zweifel, Bedenken (aufgrund sorgfältiger Überlegung); Zurückhaltung, Ungläubigkeit, Zweifelsucht
Skepsis ist gut, und der Duden hat Recht, wenn er die positiven Erklärungen den negativen voranstellt. Skepsis ist notwendig, um sich als mündige Bürgerin ein Bild davon machen zu können, was den eigenen Lebensbereich direkt oder indirekt zu beeinflussen im Stande ist. Politik gehört zu diesen Einflüssen, da sie nicht nur unser Zusammenleben im Staat regelt, sondern in weiterer Folge auch bis ins Private greift.
Sie möchten mit ihrem Auto gerne schnell fahren? Können Sie, aber wie schnell sie fahren dürfen, bestimmt die Straßenverkehrsordnung. Und diese wiederum ist Folge eines Gesetzgebungsprozesses, der im Parlament und davor in diversen Ausschüssen stattfindet. Sie möchten in England arbeiten? Wenn sie österreichische Staatsbürgerin sind, dürfen sie das seit dem Eintritt unseres Landes in die Europäische Union ohne eine entsprechende Erlaubnis. Einfach so, weil eine der Grundfreiheiten der EU jene der Personenfreizügigkeit ist, diese wiederum ist Teil des Regelwerkes, welches die rechtliche Grundlage der EU bildet. Ein Regelwerk, das ebenfalls nicht gottgewollt, sondern Resultat von diversen Verhandlungen zwischen den sich über die Jahre vermehrenden Mitgliedsstaaten der europäischen Union ist. Resultat also von Politik. Diese schließlich wird von demokratisch gewählten Volksvertretern gemacht. Am Ende der Kette steht in jedem Fall der Bürger, die Bürgerin.
Dementsprechend ist ein notwendiges Maß an Skepsis für jeden Wahlberechtigten nicht nur sinnvoll, sondern Teil jener Verantwortung, die er oder sie als mündige Demokraten oder Demokratinnen, innerhalb eines Staates oder im Falle der EU eines Staatenverbundes, auszuüben verpflichtet ist.
Gesetze werden nämlich zwar von Politikern beschlossen, sie können aber durch die Wähler zu Fall gebracht, bzw. durch deren Engagement Teil der Rechtsordnung werden. Als Beispiel für ersteres kann man die Entfernung von diskriminierenden Gesetzen wie z.B. des Paragraphen 209 StGB (Diskriminierung Homosexueller) anführen, für letzteres z.B. die frauenpolitische Errungenschaft der sog. Fristenlösung. Auf EU-Ebene lassen sich ebenfalls vielerlei Richtlinien ausmachen, die Resultat politischen Aktivismus sind, zum Beispiel diverseste umweltschutz- oder arbeitsrechtliche Bestimmungen.
Kri|tik [gr.-lat.-fr.] die; -, -en: 1. [wissenschaftliche, künstlerische] Begutachtung, Bewertung. 2. Beanstandung, Tadel. usw.
Kritik ist nicht nur die Basis jeder wissenschaftlichen Arbeit, sie ist die Grundlage dafür, dass das eigene Weltbild einer laufenden Korrektur unterzogen wird. Kritik ist auch die logische Folge von Skepsis. Jeder Zweifel drängt darauf, durch Hinterfragung bestätigt oder widerlegt zu werden.
Kritik bildet schließlich genau jene Art von Einfluss, die es den Menschen erlaubt am politischen Prozess Teil zu nehmen. Egal ob es sich um Politiker oder um Wähler handelt, wechselseitige Kritik sorgt dafür, dass sich dieser Prozess ausgewogen und fair gestaltet.
Zu Bedenken gilt es diesbezüglich jedoch eines. Kritik kann man erst üben, wenn man über ein Mindestmaß an Information über jenen Umstand verfügt, den man kritisieren möchte. Kritik muss sachlich sein und sich an Fakten orientieren. In Bezug auf die Politik und im weiteren Sinne auf die Europäische Union, ist es sinnlos, die EU an sich zu kritisieren. „Die EU ist blöd“ zu sagen, reicht bei weitem nicht.
In|for|ma|tion […zion; lat.] die; -, -en: 1. a) Nachricht; Auskunft; Belehrung;Aufklärung
Jeder einzelne, der berechtigterweise Kritik an politischen Institutionen übt, muss sich am Gehalt seiner Kritik messen lassen. Sachliche Kritik kann nur der üben, der sich über den Gegenstand der Kritik ausreichend informiert. Die Verantwortung sich zu informieren trägt jeder für sich, aber selbst wenn sie uns alle betrifft und Informationsbeschaffung im Bezug auf die Europäische Union oder den eigenen Staat eine gewisse Holschuld darstellt, so bin ich der Meinung, dass unsere politischen Vertreter einen größeren Teil davon tragen.
Sie wurden von den Bürgern in ihre Ämter gewählt und müssen als politisch Handelnde, als Volksvertreter und als Gesetzgeber, nicht nur über dementsprechend mehr Informationen verfügen, sondern sollten sich auch der Verpflichtung bewusst sein, diese Informationen sachlich und inhaltlich korrekt zu verbreiten. Dasselbe gilt übrigens für die Medien. Wer also Kritik übt, ohne sich ausreichend zu informieren, wer Informationen gar verfälscht, der macht sich der Demagogie schuldig. Nicht mehr und nicht weniger.
Die einzelne Bürgerin, das kann ich nach meiner Reise nach Brüssel auch durch ausreichend vorhandene Quellen sagen, sollte es sich aber nicht nehmen lassen, sich selbst ein Bild zu machen, sich selbst über die Europäische Union zu informieren. Dokumente und Entscheidungsfindungen kann man in den allermeisten Fällen einsehen, es gibt Live-Streams aus dem Parlament und eine Vielzahl von anderen, meist online, verfügbaren Ressourcen, welche die EU und die darin getätigten Entscheidungen transparenter machen.
Deshalb und das halte ich für wichtig, liegt es hauptsächlich an uns, unsere Skepsis, unsere Kritik in einem Rahmen zu halten, der sich an Fakten, an sachliche Informationen hält und uns nicht von jedem dahergelaufenen Provinzpolitiker, von irgendeinem Boulevardblatt, die Welt erklären zu lassen. Diese Art der Kritikfähigkeit und Skepsis erfordert schließlich auch kein stundenlanges Aktenstudium. Es bedarf bloß der Neugier und der Bereitschaft sich immer wieder von neuem auf die Auseinandersetzung mit Politik und ihren Inhalten, auf nationaler und europäischer Ebene, einzulassen.
Lek|ti|on […zion; lat.] die; -, -en: 1. Unterrichtsstunde. 2. Lernpensum, -abschnitt, usw.
Ich gebe zu, dass meine Europa-Analyse möglicherweise etwas zu theoretisch ausgefallen ist. Um mich diesem Vorwurf also quasi prophylaktisch zu stellen, möchte ich abschließend auf jenen Vortrag eingehen, der mich bei der Reise nach Brüssel am meisten beeindruckt hat und der zur Gänze hier anzusehen ist, dessen Sichtung ich auch allerwärmstens empfehle.
Gehalten wurde er von Ralf von Ameln, einem launigen deutschen Vertreter der europäischen Kommission, der als Beweis dafür steht, dass man komplexe Inhalte auch einfach und verständlich – in seinem Fall sogar sehr unterhaltsam – erklären kann.
Fa|zit [lat.; „es macht“] das; -s, -s: 1. [Schluss]summe einer Rechnung. 2. Ergebnis; Schlußfolgerung
Drei Fragen stellte Herr von Ameln am Ende seines Vortrages. Erstens: Brauchen wir Europa? Seine Antwort war simpel, sie lautete: Ja!
Zweitens: Wie sieht Europa aus? Europa wäre ein dynamischer Prozess, ständig in Bewegung und diejenigen, die für die Gestaltung dieser Dynamik verantwortlich wären, seien wir, so Herr von Ameln. Europa, meint er, sei unser Unterfangen, wir würden nicht von einem Europa für die Bürger sprechen, sondern von einem Europa der Bürger. Und, so fügt er hinzu, wir hätten das Recht Fragen zu stellen.
Drittens: Europa bedarf wie jede gute Sache der Kritik. Jede Sache, die gut ist, so Herr von Ameln, kann besser werden durch Kritik. Wir, so führt er weiter aus, seien verpflichtet diese Kritik zu üben. Aber, wenn wir dies tun, so müssten wir trennen zwischen Ziel und Weg.
Das Ziel, ein geeintes Europa auf Basis von Frieden, Freiheit, gegenseitigem Respekt, Solidarität und so weiter, dieses Ziel sei nicht angreifbar. Was wäre daran zu kritisieren, fragt er, um weiter auszuführen, dass das Ziel per se gut wäre, was es aber zu kritisieren gäbe, das wäre der Weg dieses Ziel zu erreichen. Da könne man sich dann fragen, ob wir die richtige Struktur hätten, oder die richtigen Organisationen, oder vielleicht die falsche Denkweise, meint Herr von Ameln. Diesbezüglich könne man verbessern, beleben oder auch beseitigen. Dies jedoch sei Kritik am Weg und nicht am Ziel. Wer Weg und Ziel gemeinsam kritisiert, der wäre, so der Herr abschließend, einfach dumm. Anders könne man es nicht bezeichnen, meint er.
Diesbezüglich und als Fazit meiner Brüsselreise kann ich feststellen, dass ich Herrn von Ameln von der europäischen Kommission fast vollständig zustimme. In einem Punkt weicht meine Meinung ab, man kann und darf auch ein Ziel kritisieren, es hängt lediglich von der Definition des Zieles ab, ob es kritisierbar ist oder nicht. Frieden, Freiheit, gegenseitiger Respekt, Solidarität und so weiter? Da stimme ich Herrn von Ameln dann aber voll und ganz zu, man wäre einfach dumm, würde man dieses Ziel kritisieren.
Susanne, 23. Juni 2010