Ein Bekannter war bis vor kurzem arbeitslos und beim AMS gemeldet. Seinen vorherigen Job hatte er unverschuldet aufgrund von Einsparungsmaßnahmen verloren. Nachdem es anfänglich, trotz guter Qualifizierung, mit dem bitter benötigten Job nichts wurde, unterschrieb er eine Vereinbarung mit dem AMS. In ihr wurde festgelegt, dass die Eigeninitiative bei Bewerbungen dokumentiert werden sollte. Der Bekannte hatte damit kein Problem. Der Erfolg stellte sich jedoch nicht ein und viele Unternehmen – dies ist durchaus gängige Praxis – antworteten nicht auf die Bewerbung.Was ihn in Bedrängnis bringen sollte.

Arbeitslos in Österreich

Das Arbeitslosengeld ist eine Versicherungsleistung und keine milde Gabe. Im vergangenen Monat waren in Österreich 227.089 Menschen als arbeitslos gemeldet, 78.178 Personen befanden sich in einer Schulung. Beide Gruppen beziehen in der Regel ihren hauptsächlichen Lebensunterhalt aus der Versicherungsleistung, welche im AlVG (Arbeitslosenversicherungsgesetz) geregelt ist. Das AMS, für die Verwaltung von Arbeitslosigkeit maßgeblich zuständig, gerät oftmals in ein schiefes Licht. Zurecht?

Verpflichtung zum Detektivspiel

Bevor diese Frage beantwortet werden kann, kehren wir wieder zum arbeitslosen Bekannten zurück. Die Vorlage seiner Dokumentierung der Eigeninitiative endete für ihn wenig erfreulich. Denn die Betreuerin akzeptierte die Dokumentation – trotz augenscheinlicher Vollständigkeit – nicht. Sie wies den Arbeitssuchenden darauf hin, dass „Keine Antwort“ keine gültige Kategorie in der Dokumentation wäre und er dazu verpflichtet wäre, allen Bewerbungen so lange nachzugehen („nachzutelefonieren“), bis ein eindeutiges Ergebnis feststeht. Arbeitssuchende als Detektive?

Einwand und Unwilligkeit

Der arbeitssuchende Bekannte wendete ein, dass ein solches Vorgehen in der Praxis eine Zeitverschwendung wäre. Immerhin wäre „Keine Antwort“ gleichbedeutend damit, dass er für die Stelle nicht in Frage kommt. Er würde die Zeit lieber dafür nützen, sich für Stellen mit einer Chance auf Anstellung zu bewerben.

Die AMS-Betreuerin, die ihn laut seiner Aussage ohne nachvollziehbare Begründung bereits bei vorherigen Terminen stets so behandelte, als würde er seinen Status als Arbeitsloser ausnützen, ließ diesen Einspruch nicht gelten. Sie verwies auf die Verpflichtung zur Nachforschung und stellte in Aussicht, dass bei einer Nichtbefolgung (Nichtnachforschung) „Arbeitsunwilligkeit“ festgestellt werden würde. Worauf die Bezüge des AMS eingestellt werden könnten.

Licht am Ende des Tunnels

Zähneknirschend und eingeschüchtert befolgte der Bekannte den Auftrag und rief jene Unternehmen an, die die Bewerbung nicht beantwortet hatten. Zeit und Geld wurde verwendet um jenes Feedback einzuholen, welches ohnehin offensichtlich war: „Die Stelle ist bereits besetzt.“ Kurz darauf klappte es aber doch mit dem Job und der Bekannte war heilfroh, dem ständigen Druck und den Anschuldigungen seiner AMS-Betreuerin entronnen zu sein. Das AMS erhält von ihm seitdem Zuschreibungen, die nicht sehr höflich formulierbar sind.

AlVG-Check

Auch mir erschien eine solche Vorgehensweise merkwürdig und ich begann zu recherchieren. War der Bekannte wirklich verpflichtet, sinnlose und demotivierende Telefonate zu führen? Oder war dies bloß Schikane von Seiten seiner Betreuerin, welche nur Zeit, Geld und Nerven kostete? Mein erster Blick fiel ins AlVG. Sind Arbeitslose zur Eigenitiative verpflichtet und kann ihnen Arbeitsunwilligkeit unterstellt werden, wenn sie nicht-beantworteten Bewerbungen nicht nachgehen? In Artikel 9 fand ich einen Anhaltspunkt:

„Arbeitswillig ist, […] von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.“

Also ja, Arbeitslose sind grundsätzlich dazu verpflichtet, Eigeninitiative bei Bewerbungen zu zeigen. Soweit das AlVG. Doch was ist darunter zu verstehen? Das AlVG, die gesetzliche Basis für das Handeln des AMS, ist hierbei sehr schwammig. Von Nachforschungen bei nicht-beantworteten Bewerbungen oder gar der Dokumentation der Eigeninitiative ist hierbei nichts zu lesen.

Beim AMS nachgefragt

Da ich aber kein Jurist bin und in diesem Bereich auch Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs von Bedeutung sind – die ich natürlich nicht umfassend kenne – fragte ich beim AMS nach. War mein Bekannter verpflichtet, sich die Detektivarbeit der Nachforschungen – die absehbar nicht vom Joberfolg gekrönt sein würde – anzutun?

Der Ombudsmann

Mein erster Ansprechpartner war Andreas Morscher, Qualitätsmangagement-Beauftrager und Ombudsmann des AMS-Salzburg. Via E-Mail schilderte ich ihm den Fall und fragte ihn, ob eine Vorgehensweise wie jene der AMS-Betreuerin laut seiner Einschätzung als Ombudsmann zulässig ist und ob es sich beim geschilderten Fall um die übliche AMS-Vorgehensweise handelt. Er bat mich, das Beispiel telefonisch zu besprechen.

„Ich halte es für ein Gerücht“

Andreas Morscher klärte mich im Telefonat sehr bemüht über die Strukturen des AMS auf. Der geschilderte Fall reichte laut seiner Einschätzung und aufgrund der Informationen, die ich ihm zur Verfügung stellte und die sich mit den Informationen dieses Beitrages decken, aber keineswegs aus, um von Arbeitsunwilligkeit – was den Verlust der Versicherungsleistung zur Folge hätte – zu sprechen. Er meinte dazu:

„Das Arbeitssuchende nicht-beantworteten Eigenbewerbungen nachtelefonieren müssen, halte ich für ein Gerücht. Es ist laut meiner Einschätzung nicht die Vorgehensweise des AMS, KundInnen dazu zu verpflichten. Das würde auch gar nicht gehen. In der Dokumentation sind im Fall des Falles ohnehin die Daten der Bewerbung zur Nachprüfung enthalten und man sollte – obwohl es auch eine kleine Minderheit von arbeitsunwilligen Menschen gibt – den KundInnen doch mit Vertrauen begegnen.“

Der Ombudsmann verwies mich in Folge auf unser Telefonat auf seinen Kollegen Gottfried Lochner, den Abteilungsleiter „Service für Arbeitskräfte“ des AMS Salzburg.

Der Abteilungsleiter

Wie zuvor Herr Morscher zeigte sich auch Herr Lochner sehr bemüht und nahm sich die Zeit, den von mir geschilderten „Spezialfall“ zu bewerten. Seine E-Mail-Antwort fiel eindeutig aus und deckt sich mit jener des Ombudsmannes:

Es gibt keine österreich- oder salzburgweite Vorgabe, dass KundInnen bei Initiativbewerbungen nachfragen müssen. Ich lese davon zum ersten Mal. Qualität und Quantität der Eigeninitiative werden im Berufungsverfahren festgestellt. Ich kann mir das nur dann vorstellen, wenn der/die BeraterIn Zweifel daran hat, wie ernsthaft sich jemand beworben hat. Es kommt durchaus vor, dass Bewerbungen standardisiert und beliebig nach den gelben Seiten des Telefonbuchs erfolgen und in der Qualität nicht dem Ausbildungsniveau entsprechen. Hier braucht es eine individuelle Prüfung.

Auch Herr Lochner bestätigte, dass der arbeitslose Bekannte nicht verpflichtet gewesen wäre, den Nicht-Antworten nachzuforschen. Was den Aussagen seiner Betreuerin widerspricht. Aufgrund dieser Antwort bat ich den Betroffenen, mir die mittlerweile für ihn wertlos gewordene Dokumentation der Eigenbewerbungen zu zeigen, die er noch hatte. Alle Bewerbungen entsprachen der Qualifikation des Betroffenen.

Sowohl die Glaubwürdigkeit des Betroffenen, als auch die Kompetenz von Andreas Morscher und Gottfried Lochner steht für mich außer Frage. Doch wie lassen sich die Unterschiede zwischen dem, was sein sollte, und dem was in der Realität vorkommt erklären?

Woher die Diskrepanz?

Es wäre einfach, einzelnen BetreuerInnen den Hang zur Schikane oder Willkür zu unterstellen. In Einzelfällen mag dies bei BetreuerInnen zutreffen und dann kann Arbeitslosigkeit – mit all ihren existenziellen und persönlichen Sorgen – in unserer Gesellschaft noch unerträglicher werden. Die Regel ist es aber laut meiner Einschätzung nicht. Denn die „Schuld“ an diesen Unterschieden zwischen dem, was vorgesehen ist und dem, was in der Praxis gefordert wird, sehe ich vor allem im AlVG selbst begründet.

Gesetz vielseitig interpretierbar

Das AlVG ist schwammig formuliert und bietet eine Vielzahl an Interpretationsmöglichkeiten. Obwohl es einen Bereich betrifft, der sowohl für Einzelpersonen als auch für die Gesellschaft von enormer Wichtigkeit ist. Viele Nichtigkeiten sind hinreichend geregelt, der Bezug von Versicherungsleistungen aufgrund von Arbeitslosigkeit ist es nicht. Noch dazu in einem Bereich, der von (partei)politischer Einflußnahme nicht unbeeindruckt bleibt.

Verständnis für BetreuerInnen

Kann man es einzelnen BetreuerInnen zumuten, sämtliche Regelungen im Sinne des AlVG  richtig zu bewerten? Nein. AMS-BetreuerInnen sind in der Regel keine JuristInnen. Die Folge: Es entstehen Fehler und Mißverständnisse. Verständlich, aber nicht zufriedenstellend. Handlungsbedarf ist gegeben.

Der Gesetzgeber ist gefragt

Es ist die Aufgabe der gewählten VertreterInnen eine Gesetzeslage zu schaffen, die eindeutig, ausgewogen und transparent ist. Denn die derzeitige ist es nicht. Unsicherheit, Ärger und Schikane sind die Folge. Ein Beispiel: Wenn der Gesetzgeber Eigeninitiative bei Bewerbungen fordert, dann muss er auch klar festlegen, was Arbeitslosen im Sinne der Eigeninitiative abverlangt werden darf. „Alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung“ ist nicht eindeutig, sondern bestenfalls eine Überschrift.

Grundsicherung als Alternative

Anstatt Ressourcen des AMS mit der Verwaltung von Arbeitslosigkeit zu verschwenden, könnte ein Fokus auf die Vermittlerfunktion und die Qualifizierungsfunktion des AMS gelegt werden. Beim derzeitigen Modell ist dies kaum möglich, aber es gibt Alternativen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen und ein finanzieller Zuschlag für zuvor beschäftigte Arbeitslose wäre eine solche Möglichkeit.

Fortschritt ist machbar

In diesem Model wären Existenzen gesichert, störender Druck wird von Arbeitssuchenden und BetreuerInnen genommen und die Gesetzeslage könnte entwirrt werden. In einem solchen Modell wäre das AMS nicht nur Erfüllungsgehilfe eines zunehmend erbarmungslosen Arbeitsmarktes, sondern eine wirkliche Servicestelle als Bindeglied zwischen Menschen und der Wirtschaft.

Anstatt Sinnlos-Kurse zu verordnen, könnte sich das AMS vermehrt um eine zielführende Qualifzierung für Arbeitslose kümmern. Lebenslanges Lernen lässt grüßen. Das AMS nicht als Sanktionen-Krampus, sondern als Partner für Arbeitssuchende? Es ist möglich.

Foto: kevindooley, CC2.0-BY

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