Ein Interview der „Presse“ mit dem türkischen Botschafter Kadri Ecved Tezcan über Integration sorgt für Aufregung in Österreich. In der politisch korrekten Hysterie wird viel über den Absender und die Hülle der Nachricht diskutiert, währenddessen gehen die Inhalte wieder einmal völlig unter. Wir wollen uns mit der Sache auseinandersetzen, sind in einem spontanen redaktionellen Kraftakt losgezogen und baten drei Experten zum Gespräch*.
Ich danke Ihnen allen, dass Sie sich so kurzfristig Zeit genommen haben. Würden Sie sich kurz vorstellen?
Gerald Kadringer: Ich bin Wiener, arbeite aber seit fünf Jahren in Ankara am Institut für anatolische Migration und bin im Moment zur Vorbereitung einer Konferenz zur Annäherung der Türkei an die EU in Wien.
Goran Ecvedinovic: Ich bin Soziologe in der freien Forschung und beschäftige mich allgemein mit Integrationsprozessen in westlichen Staaten.
Narges Salitezcan: Mein Gebiet ist die Islamwissenschaft. Ich bin ursprünglich aus der Türkei, lebe aber seit 20 Jahren in Wien.
Wo gibt es denn Probleme mit Türken in Österreich?
Ecvedinovic: Es gibt Schulen, in denen türkische Kinder mit 60, 70 Prozent die Mehrheit stellen. Viele türkische Eltern glauben, dass ihre Kinder perfekt Deutsch und Türkisch sprechen. Aber mit 500 Wörtern beherrscht man noch keine Sprache und die Kinder sprechen weder Deutsch noch Türkisch gut.
Salitezcan: Ob Eltern, Kinder oder Jugendliche, sie sollten alle Deutsch können. Ich sage meinen Leuten immer: Lernt Deutsch und haltet euch an die Regeln dieses Landes!
Wie lässt sich das lösen?
Ecvedinovic: Wenn Kinder ihre Muttersprache nicht korrekt lernen, werden sie auch eine andere Sprache nicht gut erfassen. Türkisch sollte an den Schulen gelehrt, die Lehrer dafür an den österreichischen Universitäten ausgebildet weden. Dazu bräuchte es an existierenden Orientalistik-Institutien nur einen Pädagogik Lehrgang. Bis dort Leute ausgebildet sind, kann man einige hundert Lehrer aus der Türkei holen.
Ein viel plakativerer Streitpunkt ist das Kopftuch, das viele Österreicher aufregt…
Ecvedinovic: Die Leute wollen hier keine Frauen mit Kopftüchern sehen. Aber ist das denn gegen das Gesetz? Nein.
Kadringer: Es steht jedem frei, was er auf dem Kopf trägt. Wenn es hier die Freiheit gibt, nackt zu baden, sollte es auch die Freiheit geben, Kopftücher zu tragen.
Salitezcan: Ja, aber wenn jemand die Leute zwingt, Kopftücher zu tragen, dann sollte der Rechtsstaat intervenieren. Dasselbe muss für jene gelten, die sich weigern, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Wir haben ein Problem mit Mädchen, die mit 13 nicht mehr in die Schule gehen.
Ecvedinovic: Und wir wollen auch nicht, dass unsere Töchter zwangsverheiratet werden.
Wieviel Schuld trägt Österreich als Staat an den Integrationsproblemen?
Salitezcab: Wenn Türken in Wien Wohnungen beantragen, werden sie immer in dieselbe Gegend geschickt, gleichzeitig wirft man ihnen vor, Ghettos zu formen.
Kadringer: Integration ist ein kulturelles und soziales Problem. Aber in Österreich ist das Innenministerium für Integration verantwortlich. Das ist unglaublich. Die letzten fünf türkischen Botschafter wurden nie um Zusammenarbeit in Integrationsfragen gebeten.
Ecvendinovic: Die Innenministerin sollte aufhören, in den Integrationsprozess zu intervenieren. Wenn man dem Innenministerium ein Problem gibt, wird dabei eine Polizeilösung rauskommen.
Kadringer: Das Gleiche gilt übrigens auch für Angela Merkel. Ich war so überrascht, als sie vor zwei Wochen sagte, Multikulturalismus habe versagt und Deutschland sei eine christliche Gesellschaft. Was für eine Mentalität ist das? Ich kann nicht glauben, dass ich das im Jahr 2010 in Europa hören muss, das angeblich das Zentrum der Toleranz und Menschenrechte ist. Diese Werte haben andere von uns gelernt, und jetzt kehren wir diesen Werten den Rücken. Trotzdem will ich nicht sagen, dass die Migranten keine Fehler gemacht haben.
Und handelt die Gesellschaft hierzulande auch falsch?
Ecvedinovic: Österreichische Familie schicken ihre Kinder nicht an Schulen, in denen ethnische Minderheiten die Mehrheit stellen. So werden Türken in die Ecke gedrängt.
Salitezcan: Ich werde nicht nur den Österreichern Vorwürfe machen. Türken haben auch Probleme, mit anderen Leuten in Kontakt zu treten.
Kadringer: Aber ein Beispiel, was nicht gut ist: Jedes Jahr bekommen die Türken in Wien einen öffentlichen Ort, einen Park etwa, zugeteilt, um ihr Kermes-Fest zu feiern. Sie kochen, spielen, tanzen, zeigen ihre eigene Kultur. Die einzigen Österreicher, die Kermes besuchen, sind Politiker auf der Jagd nach Wählerstimmen.
Was könnte man tun, um das zu ändern?
Ecvedinovic: Die Türken sind glücklich, sie wollen nichts von uns. Sie wollen nur nicht wie ein Virus behandelt werden. Die Gesellschaft sollte sie integrieren und von ihnen profitieren. Österreich war ein Imperium mit verschiedenen ethnischen Gruppen. Es sollte gewohnt sein, mit Ausländern zu leben.
Salitezcan: Jedes Kind sollte den Kindergarten besuchen. Ab drei oder vier, wie in den österreichischen Familien.
Verbessert sich die Lage auch?
Kadringer: Es gibt viele Menschen guten Willens. In vielen Rathäusern gibt es Integrationssektionen. Aber sie warten in ihren Büros, bis die Leute zu ihnen kommen. Sie haben keine Vision.
Salitezcan: Es gibt hierzulande heute ungefähr 2000 türkischstämmige Studenten, die hier geboren wurden, plus 20.000 türkische Gymnasiasten. Es gibt mehr als 3500 türkische Unternehmer hier, 110 Ärzte. Die Medien sollten mehr über diese Erfolgsgeschichten sprechen.
Noch eine kurze Frage an Herrn Kadringer, funktioniert Integration von Türken anders, als die von anderen Gruppen?
Kadringer: Anders als Griechen oder Italiener begannen die Türken erst vor 35, 40 Jahren zu emigrieren. Auch die Einwanderer in den USA hatten ihre Probleme. Aber diese Probleme sind nun vergessen. Integration ist ein Prozess.
Vielen Dank für das Gespräch!
* Alle Antworten (außer die der Vorstellungsrunde) der drei fiktiven Personen aus diesem fiktiven Gespräch sind in Wahrheit direkte oder sinngemäße Zitate von den Aussagen des türkischen Botschafters im Gespräch mit der Presse. Sie wurden im Sinne des Textes teilweise leicht modifiziert, inhaltlich sind sie aber nachprüfbar ident.
Zweck dieser Aktion ist es, losgelöst von der umstrittenen Person und einiger provokanter Äußerungen über die Inhalte zu diskutieren, von denen wir viele wichtig finden.
Ein herzlicher Dank für die Erlaubnis zum ausschweifenden Zitieren geht an „Die Presse“!
Fotocredit: arne.list, CC2.0 BY-SA