Wir haben im Jahr 2010 viel erlebt und viel geschafft. Anfang des Jahres startete das Blog als Projekt von mehreren AutorInnen mit dem Ziel, laut nachzudenken, kluge Debatten zu führen und so manch Neues auszuprobieren. Aber das Web ist auch rund um diese beste aller Internetseiten nicht stehengeblieben. Und so hielten wir als Redaktion zum Jahresanfang inne um die besten anderen Initiativen und Leistungen in vier Kategorien zu würdigen und den gebührenden Respekt zu zollen. Der Goldene Hut für herausragende Leistungen um das Internet geht an…
Beste politische Bewegung im Web: „Nichtrauchen In Lokalen“
Das dominante Thema über viele Wochen 2010 war natürlich Wikileaks. Die Whistleblower-Plattform und die „Anonymous“-Attacken auf Wikileaks-Gegner wurde deshalb am öftesten in dieser Kategorie genannt. Wir wollten uns allerdings einen direkteren Österreich-Bezug bewahren – und auch da hat sich einiges getan.
Die meisten Nominierungen und damit den Sieg in dieser Kategorie bekam „Nichtrauchen in Lokalen„. Die Aktion startete als Facebook-Gruppe, wo sie bald über 100.000 Fans fand. Von diesen Zahlen motiviert, kümmerte sich eine Gruppe von Mitgliedern darum, das Ganze in ein Volksbegehren umzuwandeln. Und tatsächlich scheinen sich – wie man hört – über 9.000 Menschen zum nächsten Amt/Magistrat aufgemacht zu haben, um zu unterschreiben. Nun wird anscheinend ein günstiger Moment abgewartet, um das Volksbegehren auch einzuleiten.
Verfolger:
3000kinderleben.at: Die Initiative schaffte es, nicht ganz 30.000 Briefe an Parlamentarier zu provozieren, als Protest dagegen, dass die österreichische Regierung die ohnehin bereits geringen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit weiter stutze.
Gegen-Unrecht.at: Über 115.000 Menschen forderten nach der skandalösen Abschiebung kleiner Kinder endlich die vollständige Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Österreich.
#unibrennt: Immer wieder brandete die Bildungs-Bewegung auch 2010 wieder auf. Zum Beispiel im März beim Gegengipfel zum Bologna-Jubiläum, im Sommer als Ars Electronica-Preisträger und im Herbst in besonders großer Zahl als Reaktion auf das jugendfeindliche Staatsbudget.
Purple Sheep: Bei einigen der umstrittenen Abschiebungen von Menschen aus Österreich, tauchte der Name der Organisation zu Demonstrationen als Hashtag bei Twitter auf. PS versteht sich als ein Zeichen gegen „die Auswirkungen der fremdenfeindlichen Debatte und der jährlich härter werdenden Gesetzeslage im Asylbereich“.
Ehrenvolle Erwähnung: Wikileaks/Anonymous
Bestes Blog eines Politikers: Christoph Chorherr
Das Urteil in dieser Wahl fiel weder unerwartet noch knapp aus. Christoph Chorherr nutzt sein Blog seit Jahren um Feedback einzuholen, Diskussionen loszutreten, Projekte oder Aktionen vorzustellen und auch einmal grundsätzliche Dinge zu sagen – auch Kritisches zur eigenen Partei.
Er bewahrt sich eine gewisse Neugierde gegenüber „neuen“ Medien und experimentiert auch gerne damit, weshalb in seinem Blog Texte mit Links versehen sind (leider tatsächlich eine Besonderheit) und er sich auch schon mal vor eine Kamera stellt. Das Ergebnis: Man bekommt mit, was ihm wichtig ist, warum das so ist und was er tut. Mit dieser offenen Affinität sticht er all seine Berufskollegen locker aus – von den Kolleginnen ganz zu schweigen. Keine einzige Frau wurde nominiert.
Ob sich auch 2011 wieder eine Nominierung ausgeht, bleibt abzuwarten. In einer Regierungsfunktion geht Kommunikation anders als in der Opposition. Auch darüber denkt er in seinem Blog öffentlich nach.
Verfolger:
Peter Pilz bloggt als ernsthaftester Oppositionspolitiker des Landes bereits seit Jahren in aufdeckerischer Manier.
Andreas Schieder berichtet regelmäßig von seiner Politik. Der Finanzstaatssekretär hat aber den Nutzen der weitergehenden Kommunikation noch nicht verstanden. Er wurde aber trotz fehlender Kommentarfunktion und Diskussionen mit der Web-Gemeinde mehrmals nominiert.
Erwähnung fanden außerdem: Gebi Mair, Marco Schreuder, Klaus Werner-Lobo
Beste Politikmenschen auf Twitter: Ein Quintett
Die Kategorie ist vielleicht am besten als Follow-Empfehlungsliste zu verstehen. Denn es wurden so viele tolle Menschen genannt, dass es uns nicht möglich war jemanden allein an die Spitze zu reihen. Gleich fünf Personen teilen sich deshalb den Platz an der Sonne: Corinna Milborn (Vize-Chefredakteurin von NEWS, Autorin, Politikwissenschaftlerin), Werner Reisinger (Club 2-Redakteur, Blogger und Journalist), Hubert Sickinger (Politikwissenschaftler und Experte für Parteifinanzierung), Armin Wolf (ZiB 2-Anchorman im ORF) und Anita Zielina (Journalistin bei derStandard.at) bekamen je zwei Nominierungen.
Naturgemäß nicht viel weniger Stimmen fielen auf die VerfolgerInnen:
Christoph Chorherr, Yilmaz Gülüm, Günter Felbermayer, Max Kossatz, Sigrid Maurer, Volker Plass, Marco Schreuder, Klaus Werner-Lobo.
Bestes politisches Blog: Ein Trio
Die Königsdisziplin unseres Best-ofs. Und wer hätts gedacht? Noch vor einigen Jahren wäre in dieser Kategorie nicht viel los gewesen. Nur vereinzelt bloggte eine Hand voll Leute zu den Themen, die auch uns bewegen. Doch mittlerweile können wir uns schon gar nicht mehr entscheiden. Gleich drei Blogs haben es uns im vergangenen Jahr besonders angetan und ex-aequo den ersten Platz ergattert.
Bei Kobuk hat Helge Fahrnberger seine Publizistik-Studierenden dazu verdonnert, die journalistischen Qualitäten der heimischen Medienlandschaft zu überprüfen und ihre Fehler und Unsauberkeiten zu tadeln. Da gibt es ja einiges zu tun. Und auch wenn manche Kritik kleinlich oder nicht besonders weltbewegend erscheint, was die Kobukianer so alles rausfinden ist oftmals erstaunlich und sollte eigentlich von den betroffenen Medien abgedruckt werden müssen.
Ein Journalist, der vom Papier kommt, und sich trotzdem auch im Web wohlfühlt. Das ist Co-Gewinner Robert Misik. Der hat 2010 mit seinem Blog einen Schritt in die Spendenfinanzierung unternommen um ihm mehr Zeit widmen zu können. Nebenher macht er mit FS Misik für derStandard.at auch noch den vielleicht besten Videoblog des deutschsprachigen Raums. Da wird geraunzt, analysiert, klug gedacht und – entschuldigt den schlechten Reim – nicht selten auch gelacht.
Und dann wäre da noch ZiB 21. Die „Zeit im Blog“ ist da, wo Frater Gladius das unkonventionelle Wort zum Sonntag hält, unter der Woche das Weltgeschehen kommentiert wird und Renee Pornero zwischendurch aus ihrer nicht schwer zu erratenden Berufsvergangenheit erzählt. Mit einem breiten pop-magazinesquen Themenfeld zwischen Politik und Sex halten die Journalisten Eberhard Lauth und Manfred Sax als Herausgeber und ihre lesenswert tippenden UnterstützerInnen die Leserschaft bei Laune. Der Reichtum steht als Lohn noch aus – bis dahin muss unsere Bewunderung reichen.
Die Verfolger:
Neonliberal bringt eine steirische Sicht in die wienlastige Blogosphäre. Das Abenteuer ist noch jung, aber bereits vielversprechend.
Neuwal ist hingegen schon länger ein fester Bestandteil der politischen Bloggerei in diesem Land. Mit viel Engagement wird interviewt, berichtet, kommentiert und analysiert. Feiner Bonus: Die gesammelten, aktuellen Politumfragen des Landes.
Nonapartofthegame.eu ist das Projekt mit der vielleicht unglücklichsten Domain, aber mit einem tollen Team, das – wir raten nur – sich wohl zu einem guten Teil bei #unibrennt gefunden hat. Besonders hervorzuheben ist das Livegesprächs-Projekt „Supertaalk„, das sich anschickt der Club 2 der 2010er-Jahre zu werden.
Außerdem erwähnt: Bäckblog, Blumenau, Denkwerkstatt, Digiom, Bernhard Jenny, Wissen belastet
Nachtrag zum Modus: Alle AutorInnen, die in diesem Jahr hier regulär mitgearbeitet haben, sollten jeweils ihre drei Lieblinge (einen bei den Bewegungen) nominieren. Wer die meisten Nominierungen erhielt, gewann die Kategorie. Dieser Modus sorgte dafür, dass einige Projekte außen vor blieben, die uns auch gefallen haben. Wir bitten die vielen ungenannten, engagierten Menschen da draußen um Verzeihung.