Undercover-JournalistInnen der Sunday Times filmten den ehemaligen österreichischen Innenminister und ÖVP-Europaparlamentarier Ernst Strasser bei einer sehr offenherzigen Diskussion über den Preis seiner Meinung im EU-Parlament. Da das ja mittlerweile in allen Medien ausführlich diskutiert wird, widme ich mich hier kurz einem Nebenaspekt der Causa: Der Bedeutung für Journalismus im Internet. Die Causa Strasser zeigt nämlich, was Rupert Murdochs Paywall mit tollem Journalismus anrichtet.
In erster Linie führt die Bezahlmauer der Sunday Times dazu, dass kaum jemand den Originalartikel aus der Zeitung liest. So bleibt die Information auf Abschriften in Gratis-Medien beschränkt. Was für den Text gilt, gilt auch für die Videos. Respektvolle Konkurrenzmedien werden sich zwar hüten, die zum Thema gehörenden Times-Videos selbst einzubinden, aber natürlich bleiben auch die nicht lange der englischen Zeitung vorbehalten. Innerhalb von Minuten tauchten Kopien davon auf anderen Videoplattformen auf.
Exklusivität ist Unsinn, Widerstand zwecklos
Die Exklusivität von journalistischem Content im Internet ist damit ein weiteres Mal als Hirngespinnst von alten Menschen entblöst, die die Internet-Infrastruktur nicht verstehen wollen (lieber würden diese gefährlichen Leute sie über politisch-wirtschaftlichen Einfluss ändern). Für das Funktionieren von Paywalls ist einzigartiger Inhalt eine wichtige Voraussetzung. Der Effekt der Paywall in der Wirklichkeit ist also: Jeder bekommt mit, was passiert ist, aber kaum jemand liest die Arbeit der Times zum Thema. Das muss journalistisch unbefriedigend sein, denn die großartige Arbeit der Times-JournalistInnen wird so nicht gewürdig. Auch dem Blatt selbst entgeht dadurch ein Prestigegewinn bei den LeserInnen.
Wirtschaftlich dürfte das Murdoch-Imperium bei solchen Fällen ebenfalls auf der Nase landen. Ich bezweifle, dass viele Menschen aufgrund dieses Berichtes ein Abo mit der Times abschließen. Und weil man anders ja nicht darauf zugreifen kann, entfallen auch die Werbeeinnahmen durch erhöhten Verkehr auf der Seite. Wäre diese Untersuchung zum Beispiel im Guardian erschienen, hätten alle Twitteranten, Facebooker und auch das ein oder andere österreichische Medium einen Link auf die britische Seite gesetzt. Zehntausende Menschen hätten draufgeklickt und so Geld in die Kassen der Times gespült – gäbe es dort einen Flattr-Button, hätten viele vielleicht sogar ein paar Dankes-Cents dortgelassen. Doch die Bezahlmauer und das im Printmedienmachen steckengebliebene Denken der Geschäftsführer verhindert das.
Die New York Times steigt auch um
Bei der Sunday Times ist all dies ein Experiment ohne Opfer für mich persönlich, hat die Einführung der Paywall doch nichts an meinem Medienverhalten verändert. Doch auch die New York Times, meine liebste amerikanische Nachrichtenseite, wird in den kommenden Wochen auf ein Bezahl-Modell umsteigen. Das System dort ist klüger und reagiert zumindest auf die Kritikpunkte, die ich hier genannt habe. UserInnen dürfen noch bis zu 20 Artikel im Monat lesen, bevor sie zahlen müssen. Das erhält die Möglichkeit, verlinkt und gelesen zu werden und so bei Exklusivgeschichten vom Besucherstrom zu profitieren.
Ob das System deshalb insgesamt angenommen wird, bleibt abzuwarten. Gut möglich, dass viele Menschen für aktuelle Nachrichten einfach zu anderen Medien surfen, und sich ihr Artikelguthaben für besonders interessante Geschichten aufsparen, die es nur bei der Times gibt. Die Frage ist dann nicht nur, ob die Zahl-Abos die permanenten Werbeausfälle kompensieren, sondern ob die Gesamteinnahmen gesteigert werden können. Ein Nullsummenspiel oder ein nur kleiner Zugewinn wäre eine Niederlage für die Geschäftemacher. Eine Paywall kostet Reichweite, Einfluss und widerspricht der Idee von frei zugänglicher Information. Abseits der damit einhergehenden Kosten ist das ein hoher Preis.
All die Energie und Mittel, die in diese Bezahlschranken gesteckt werden, wären in den Aufbau eines medienübergreifend-gemeinsamen, Flattr-artigen Services besser investiert.
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Fotocredits: twicepix, CC2.0 BY-SA