Die ÖVP hat also eine neue Fibel veröffentlicht, die die Wahlkampf-Kommunikation bestimmen wird. Ein Punkt der Partei ist offensichtlich das Auftreten gegen neue Steuern. Das ist ein legitimes Anliegen und darum soll es heute auch gar nicht gehen. Was mich aber seit gestern durchaus beschäftigt, ist die Art und Weise, wie das in dieser Fibel kommuniziert wird.
Da gibt es zum Beispiel eine Seite, auf der man der SPÖ unterstellt, Steuern traditionell einzuführen, um sie später erhöhen zu können. Um das zu untermauern, greift man gleich auf mindestens zwei bedenkliche Methoden zurück, die man quer über alle Parteien mehr oder weniger häufig verwendet werden, die mit einer seriösen politischen Auseinandersetzung aber nichts zu tun haben. Beide verursachen eine Irreführung in der Debatte.
- 1. Unterschiedliche Vermögenssteuer-Modelle verschiedener Organisationen (ÖGB, GPA, AK) werden so aufgelistet, als wären sie SPÖ-Parteilinie. Aber keines dieser Modelle erblickte als SPÖ-Modell das Licht der Welt, sondern als Vorschläge dieser Organisationen (die natürlich SPÖ-nah sind, aber eben doch eigenständig). Die ÖVP stellt sie trotzdem als eine Art Evolution der SPÖ-Linie dar. Doch auf der SPÖ-Webseite ist die offizielle Linie immer noch eine Freibetragsgrenze von einer Million Euro und meiner Erinnerung nach war sie nie woanders.
- 2. Und das hat mich noch mehr geärgert. Nämlich wie das Zitat von Werner Faymann auf dieser Seite platziert wurde. Tatsächlich hat Faymann die im Bild markierten Worte einmal gesagt, allerdings im Zusammenhang mit der Finanztransaktionssteuer (für die ja auch die ÖVP angeblich sehr bestimmt sein will). Und ja, das Wort Finanztransaktionssteuer kommt auf dieser Seite vor, aber das Zitat ist nach zwei Absätzen über Vermögenssteuer-Modelle und vor einem Vermögenssteuer-Zitat platziert. Wer diese Seite liest, wird deshalb mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass Faymann von der Vermögenssteuer spricht.
Das vollständige Zitat aus der ORF-Pressestunde vom 14.2.2013 lautet: „Für mich ist es einmal ein guter Anfang. Ich könnte mir natürlich auch vorstellen, dass man bei den Derivaten statt 0,01 Prozent vielleicht 0,015 Prozent nimmt. Also ich wäre auch für Erhöhungen durchaus aufgeschlossen. Aber das ist ein Einstieg und ein Einstieg hat einen riesen Vorteil, so wie bei der Bankenabgabe, den kann man Verlängern und man kann ihn auch erhöhen.„
Das Zitat wurde also nicht nur in einen täuschenden Kontext eingebettet, sondern auch noch umgestellt und um Worte entschlackt. Das Kürzen von Zitaten ist beim Publizieren prinzipiell legitim, allerdings nicht in einer Weise, die sinnentstellend ist, und hier wurden Passagen entfernt, die es eindeutig einem anderen Themenfeld zuweisen hätten können. Die stellvertretende Chefredakteurin des SPÖ-Pressedienst (von der übrigens das Bild stammt) nennt dieses Vorgehen eine „Lügen-Propaganda“. Das sind wohl zu harte Worte, über die man (wie über so vieles, was täglich öffentlich kommuniziert wird) ebenfalls sprechen muss. Aber wer nicht versteht, dass man Derartiges als den Versuch einer Täuschung interpretiert, der ist entweder tatsächlich in einem Parteisoldaten-Tunnelblick gefangen, oder stellt sich absichtlich blöd.
Die Art wie Parteien – und das betrifft hier nur exemplarisch aber nicht allein die ÖVP – öffentlich übereinander und miteinander kommunizieren, hat längst jeden Anstrich von Würde und Wahrhaftigkeit verloren und das gehört geändert, denn es ist ein großer Beitrag zur Parteienverdrossenheit der Bevölkerung. Es ist mehr als ärgerlich, sondern auch gefährlich, dass in der demokratischen Politik (und noch dazu von ehemaligen Großparteien) zu derartigen Methoden gegriffen wird.
Wenn (insbesondere hochrangige) Politiker Dinge über Konkurrenten sagen, bei denen nicht nur die andere Hälfte des politischen Spektrums, sondern auch jeder an ernsthaften Debatten interessierte Bürger sich (ob der „kreativen Wahrheitsinterpretation“) veräppelt fühlt, läuft etwas falsch. Wenn dieses Phänomen zum permanenten Modus der Parteipolitik wird, ist es inakzeptabel und einem seriösen Parlamentarismus auch nicht zuträglich. Vor allem, weil das bis in die Alltagsgespräche über Politik hineinsickert.
Parteisoldatentum zerstört Politik
Ich erinnere mich, dass mir dieses Nachbeten von stupiden „Argumentarien“ erstmals aufgefallen ist, als ich es vor mittlerweile doch schon vielen Jahren bei einem Jugendlichen bemerkt habe. Der war lediglich Wähler einer Partei und kein aktives Mitglied. Die Wortgleichheit mit dem, was in den Nachrichten von den Parteien zu hören war, hat mich damals erstaunt und hat mich seither sensibler für derartige Muster gemacht. Leider findet man sie wirklich überall, was Gespräche über aktuelle Themen mitunter ermüdend und immergleich macht.
Was mich an vielen Menschen besonders ärgert, die in Parteien involviert sind, ist genau dieses lästige Parteisoldatentum. Was auch immer man mit ihnen bespricht, man bekommt die bloße Parteilinie in Form vorgefertigter Phrasen zurück. „Was hat eine Finanztransaktionssteuer mit der Belastung von Familien zu tun? Und seid ihr nicht auch für diese Steuer?“, kann man da einen ÖVP-Angehörigen beim Gespräch über die oben beschriebenen Dinge (sinngemäß) fragen. Entweder kommt dann gar nichts zurück, oder etwas nach der Argumentationslinie „Wir wollen den Mittelstand nicht belasten“. Irgendwo in einem vom Wahlkampf geprägten Kopf ist das eine offensichtlich nicht nur eine sinnvolle, erschöpfende Antwort auf das andere, sondern auch die einzig richtige. In der Welt eines parteilosen Wählers allerdings ehrlich gesagt nicht.
Aber den Mittelstand entlasten, das will zum Beispiel eh jeder. Die Linken behaupten das zum Beispiel, wenn sie Vermögenssteuern fordern, und die Rechten behaupten es, wenn sie Vermögenssteuern ablehnen. Umso weniger bedeutet diese Phrase für sich genommen. Und beide Seiten haben gewisse gültige Argumente für ihre Aussagen, was jeder denkende Mensch auch versteht. Aber leider wird das im Wahlkampf von den Parteiapparaten ignoriert, die tun, als hätten sie unvereinbare Standpunkte und nur die jeweilig eigene Partei hätte das Wohl der Wählermehrheit im Sinn. Da gibt es dann die „Partei der Arbeit“ auf der einen und die Partei gegen die „Faymann-Steuern“ (die „Omas Sparbuch“ bedrohen) auf der anderen Seite. Und die immergleichen Phrasen dazu tönen von den würdelosen OTS-Aussendungen über das ehrwürdige Podium des Parlaments durch die O-Töne der Medien bis hin zum schlussendlich unversöhnlichen Dorf-Stammtisch.
Woher diese Polarisierung kommt? „Schärfung des Profils“, nennt der Spin-Doktor das vermutlich, wenn er mit den Parteigranden spricht. Er sucht Themen, mit denen eine Partei traditionell mobiliseren oder der Konkurrenz schaden kann. Dann denkt man sich peppige Slogans aus und schickt diese an die Parteimitglieder, die sie dann weiterverbreiten sollen. Im schlimmsten Fall lädt die eine Seite das Argument noch mit dem Wort „Freiheit“ und die andere mit „Gerechtigkeit“ pathetisch auf, womit so auch noch diese wichtigen Konzepte über einen substanzlosen Diskurs in einen scheinbaren Gegensatz gestellt werden.
Und schon ist das landesweite Gespräch über ein politisches Thema vergiftet und der Politik nachhaltig geschadet. Aber irgendeiner wird bei der nächsten Wahl weniger Wähler verlieren als der andere, weshalb alle Apparatschiks glauben, dass diese Art der politischen Kommunikation „funktioniert“.