Die geschätzten Kollegen von Neuwal unternehmen in diesem Monat den lohnenswerten Versuch, sich mit dem Liberalismus als Strömung auseinander zu setzen. Im Rahmen dieser Artikelserie hat auch Thomas Knapp einen Kommentar geschrieben. Auf der Suche nach dem Liberallismus in Österreichs Politik kommt er zum Schluss, dass es keine liberale Partei gibt oder gab.

Zwei grundsätzliche Probleme habe ich mit Knapps Liberalismus-Verständnis. Zum Einen, dass er von Parteien eine hundertprozentig stringente Haltung einfordert, die unrealistisch ist. Natürlich gibt es Liberalismus in der österreichischen Parteienlandschaft, sonst würde unser Land auch anders aussehen. Ich würde sogar behaupten, dass es mehrere Parteien gibt, die man zwar nicht astrein und ausschließlich, aber eben doch vorwiegend als liberal bezeichnen kann. Ein Parteiprogramm lässt sich nicht aus einzelnen Maßnahmen kategorisieren, sondern aus der Gesamttendenz. Aber darauf will ich dieses Mal nicht näher eingehen.

Wichtiger ist mir ein Widerspruch dazu, dass Knapp suggeriert, es würde den einen, wahren Liberalismus geben, der sich irgendwie verwirklichen ließe.

Das gilt besonders für Österreich, ein Land indem der politische Liberalismus bis vor kurzem einer Ruine glich. Diese Abwesenheit einer klassischen politischen Ideologie schien man nicht ganz akzeptieren zu wollen, wurde doch über Jahrzehnte hinweg in Österreich Liberalismus an den verschiedensten Orten ausgemacht, an denen er so gar nicht zu Hause war.

Was wohl nur möglich war, weil keine liberale Partei da war, um einen Kontrast zu zeichnen. Jedenfalls war es lange offenbar populär sich quasiliberal zu geben und das liberal zu nennen. Vielleicht war diese Tendenz ein Mitgrund dafür, dass liberale Parteien nicht so recht gedeihen wollten, einige Wähler und potentielle Aktivisten hatten vielleicht das Gefühl, eh schon hier und dort vertreten zu sein.

Tatsächlich ist Liberalismus – wie seiner wörtlichen Bedeutung abzuleiten ist (lat. liber: „frei“; liberalis, „die Freiheit betreffend, freiheitlich“) – eine philosophische und politische Strömung, die an der größtmöglichen Freiheit des Einzelnen interessiert ist. Liberale sehen dabei aber sehr wohl den Rahmen einer Gesellschaftsordnung und klammern sich nicht an den absurden Gedanken eines Einsiedlers auf einer einsamen Insel oder den Wahnsinn einer gänzlich chaotischen Gesellschaft.

Was, wenn Freiheit nicht grenzenlos sein kann?

Wahrscheinlich wird es jeder als banale Erkenntnis bezeichnen, dass Freiheiten im Kontext von Zivilisationen unmöglich grenzenlos sein können. (Eindrücklichstes Beispiel: Das Problem der Gewalt. Niemand ist frei im Sinne des Liberalismus, wenn er mir jederzeit ungestraft eine in die Gosch’n hauen darf.) Was gerade in der Begriffsdiskussion seltener bedacht wird, ist die nächste Konsequenz dieser Erkenntnis: Wenn man Grenzen abstecken muss, wird es über die diesbezügliche Legitimität und Notwendigkeit in Hinsicht auf Freiheit zwangsläufig Meinungsunterschiede geben. Und an diesem Punkt differnziert die Strömung sich aus, ohne gleich den kompletten Grundgedanken über den Haufen zu werfen.

Um das vorwegzunehmen: Natürlich ist demzufolge nicht jede Meinung automatisch liberal. Das Gegenteil von Liberalismus ist Autoritarismus/Totalitarismus. Reaktionäre, totalitäre, faschistische oder (ohne alles gleichsetzen zu wollen) konservative Haltungen sind Gegenstücke zum Liberalismus: Sie erheben andere(!) normative Sollvorstellungen zur Grundlage ihrer Politik, als die maximierte Freiheit. Man ist dabei nur solange frei, wie man sich im Rahmen einer erdachten, moralischen Norm bewegt, die sich beispielsweise aus Ideologie, Tradition oder Religion speisen kann. Wichtiger als das persönliche Glück auf Erden mag da beispielsweise ein gottgefälliges Leben sein.

Liberal ist, was Freiheit schafft – aber das ist nicht eindeutig

Ein plakatives Modell-Beispiel, warum das Wort liberal zu grob ist, um alles zu beschreiben und Differenzierung braucht: Stellt euch eine Gemeinschaft von 10 Leuten vor: zwei von diesen Leuten haben schlimmes Asthma, sechs sind unnachgiebige Raucher. Regelmäßig wird im gemeinsamen Gesellschaftsraum nun eine Sitzung einberufen, an der – aus welchen Gründen auch immer – alle teilnehmen möchten und sollten. Ist es nun liberal, ein Rauchverbot oder Nichtrauchgebot in diesem Raum einzuführen, um den Asthmatikern die Teilhabe zu ermöglichen und damit den Rauchern Regeln aufzuerlegen? Oder ist es liberal, gesetzte Regeln abzulehnen, um den Rauchern ihr freies Verhalten zu lassen und damit andere auszuschließen? Unabhängig davon, welcher Idee man anhängt, scheint mir kaum zu leugnen, dass beide Maßnahmen einer gewissen Form der Freiheit des Einzelnen dienen.

Wenn man Liberalismus als eine Orientierung an der größtmöglichen Freiheit des Einzelnen im Rahmen der Gesellschaft definiert, dann gibt es hier zweifellos zwei legitime liberale Antworten und gänzlich unterschiedliche Meinungen darüber, ob die eine Regel nun Freiheit oder Unfreiheit schaffen würde. Eine Einigkeit scheint auch nicht zu erzielen, die Uneinigkeit lässt sich aber nicht durch Illiberalität erklären. Dementsprechend braucht man Begriffe einer größeren Trennschärfe als einfach nur „Liberalismus“.

Links- und Rechtsliberalismus

Am Prominentesten findet man das heutzutage in der Unterscheidung von Links- und Rechtsliberalismus. Knapps Text lässt diese Unterscheidung irgendwie als eine modische Erscheinung, als Marketing oder einen prinzipiellen Irrtum dastehen. Tatsächlich geht es dabei aber um einen der angesprochenen Richtungsstreits innerhalb der Strömung. Dass gerade Rechtsliberalen diese Begriffsarbeit oft ablehnen und sich als ganzheitlich Liberale hinstellen, finde ich deshalb unreflektiert bis provokant. Es gibt immer noch den wörtlichen Sinn des Liberalismus. Und in ihm steckt sein großes Schlagwort, das ich als erklärter Linksliberaler mir nicht klauen lassen will: Die Freiheit.

Linksliberale werden sich beim Lesen der großen liberalen Denker der Neuzeit (die noch nicht das Ende der intellektuellen Fahnenstange sind) oft in ihrer grundsätzlichen Haltung zum Mensch- und Gesellschaftssein wiederfinden. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass Linksliberale der Begriff Liberalismus oft gar nicht beanspruchen, weil er in linkeren Kreisen kindisch-polemisch als „bäh“ gilt. (Umgekehrt könnte man dasselbe von Rechtsliberalen über die Gleichheit sagen, den diese wiederum oft kindisch-polemisch als „Gleichmacherei“ verhunzen. Beide Gruppen haben meiner Ansicht nach keine Ahnung, was sie wirklich denken.)

Der Staat, Freund oder Unterdrücker?

Der Unterschied zwischen Links- und Rechtsliberalen entzündet sich erst an der Rolle des Staates bei der Verwirklichung von individueller Freiheit. Linksliberale halten den Staat nicht (zwangsläufig) für ein unterdrückendes Übel, sondern für hilfreich oder geradezu nötig, um Freiheiten zu garantieren oder zu schaffen. Das Argument – ich habe schon mehrmals zum Ausdruck gebracht, dass es mir persönlich höchst schlüssig erscheint – lautet: Auch die Abwesenheit von Regeln, Verboten und Geboten kann und wird reale Zwänge erschaffen. Und die können für mehr Unfreheit sorgen können, als es die Grenzen tun, die eine legitime, demokratische Regierung setzt. Gleichzeitig kann der Staat auch freie Menschen unterstützen, indem er zum Beispiel für freie Bildungseinrichtungen und Arbeitslosenversicherung sorgt.

Währenddessen haben Rechtsliberale ein distanzierteres Verhältnis zum Staat. Der soll für sie kaum mehr als ein Schiedsgericht im Streitfall sein, das die Einhaltung allergrundsätzlichster Gesetze und Verträge garantiert (Besonders extreme Rechtsliberale, die in einen Anarcho-Libertarismus hineingleiten, wollen nicht einmal mehr das und treffen sich in ihrer Totalablehnung des Staates als Repressionsisntrument fast schon wieder mit den Marxisten). Leute, deren Weltbild in diese Richtung tendiert, wollen Regulierungen, Gesetze und Regeln tunlichst vermeiden. Die sind für sie nicht nur die Wurzel von Unfreiheit, sondern die Unfreiheit an sich. Ich kann das rechtsliberale Weltbild wahrscheinlich nicht gleichermaßen gut erklären, denn ich finde es persönlich weniger überzeugend. Trotzdem bleibt mir nichts anderes übrig, als anzuerkennen, dass diese Leute zwar im Detail andere Prioritäten setzen, aber auch die Freiheit des Einzelnen im Sinn haben. Darum können sie sich ebenso liberal nennen, wie ich das tue.

TL;DR

Liberalismus ist ein Konzept zur Maximierung von Freiheit. Die lässt sich nicht nur auf eine Weise definieren und verwirklichen. Dass es nicht „den einen wahren Liberalismus“, sondern unterschiedliche Liberalismus-Strömungen gibt, ist eine logische Folge davon.

PS: Take the test

Die Gedanken, die ich hier niedergeschrieben habe, sind übrigens kein neuartiger Spleen von mir, sondern selbstverständlich schon mehreren Menschen gekommen. Im Wesentlichen decken sie sich mit dem Schema des „Political Compass„. Die Wahlprogramme der österreichischen Parteien wurde dort noch nie evaluiert, wohl aber die Deutschen. Das gibt immerhin auch eine Orientierung über die ungefähre Einordnung ihrer österreichischen Geschwister.

Wo ihr ungefähr auf diesem Koordinatensystem liegt, könnt ihr übrigens schon seit einigen Jahren selbst über deren Test ausrechnen lassen, der im Prinzip Bekenntnis zu politischen Grundsätzen abfragt. (tsc)

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