Das Internet ist eine tolle Erfindung, aber nicht immer ein toller Ort. Mit dem sogenannten „Web 2.0“ erhielten Nutzer die Werkzeuge, selbst ohne besondere Vorkenntnisse online zu publizieren, gleichzeitig erkannten etablierte Medien, dass man mit einer Kommentarsektion unter Artikeln eine Community schaffen und somit Leser an sich binden kann.

Bei derStandard.at, wo ich arbeite, gibt es die Kommentarfunktion schon lange und die Leser schätzen die Möglichkeit, ihre Meinung mit anderen auszutauschen. Leider gibt es Reizthemen, bei welchen die Diskussionen nicht selten ausarten und die Forenwartung eingreifen muss.

Verstummung der Moderaten

Insbesondere wenn es etwa um Sexismus geht, findet sich oft schnell eine ausgesprochen vokale Minderheit, die mit schwer misogynen Meinungen und absurden Verschwörungstheorien auffällt und gemäßigtere Nutzer mit gehässigen Antworten und einer Flut an negativen Bewertungen „niederbügelt“. Redakteure, die – auch zur Stärkung der konstruktiven Diskussionsteilnehmer – selbst Wort ergreifen, finden sich schnell im Auge des Sturms wieder. Werden problematische Beiträge gelöscht, schwingt der wütende Mob dafür nur all zu gerne die „Zensur!“-Keule.

Kein Zweifel, das ist ein Problem. Nicht nur weil es eine Menge Arbeit für Redakteure und Forenteam bedeutet, sondern weil dieses Vorgehen meist den Effekt hat, dass sich moderat gesinnte Diskutanten aus dem entsprechenden Forum zurückziehen. Im Zuge dessen wirkt es dann schnell so, als würden einige wenige „Radau-User“ eine Mehrheitsmeinung vertreten.

Klarnamen-Kampagne

Zur Lösung des Problems kampagnisiert Extradienst-Macher Christian Mucha seit geraumer Zeit für die Einführung von Klarnamen in Online-Foren und hat dabei besonders die derStandard.at-Community im Fadenkreuz. Seiner Ansicht nach, würde eine solche Regelung ein Hemmnis für „Hass-Poster“ bilden, weil diese dann unmittelbar für ihre Aussage gerade stehen müssten.

In der Theorie hört sich das freilich gut an. Näher betrachtet erweist es sich aber aus mehreren Gründen als wirkungslose, populistische Idee.

Mittel der Meinungsfreiheit

Die Möglichkeit, unter Pseudonymen posten zu können, erfüllt eine wichtige Pflicht. Sie schützt Diskussionsteilnehmer beim Veröffentlichen kritischer Meinungen vor direkter Verfolgung durch jene, welchen diese Ansichten und Aussagen vielleicht nicht in den Kram passen.

Dass etwa Politiker versuchen, Poster wegen Foreneinträgen zu klagen, ist bereits vorgekommen. Uwe Scheuch zog in einer solchen Causa gegen den ORF zu Felde, sein Bruder Kurt Scheuch gegen die Kleine Zeitung. In solchen Fällen gewährt das Medium der Identität des Nutzers so lange Schutz, bis gerichtlich eine Überschreitung der Meinungsfreiheit festgestellt wird. Das ist wichtig, denn für eine Privatperson ist ein gerichtliches Verfahren nicht nur finanziell schwerer zu stemmen.

Nicht administrierbar

Ein anderer Aspekt ist die nicht gegebenene Administrierbarkeit eines echten Klarnamensystems. Ersucht man neue User, bei der Anmeldung ihren echten Namen anzugeben, gibt es für geneigte Trolle prinzipiell kein Hindernis, sich als „Herbert Huber“ anzumelden, und fröhlich weiter Öl ins Diskussionsfeuer zu gießen.

Um tatsächlich die reale Identität zu verifizieren, müsste man damit beginnen, von Usern vor ihrer Freischaltung einen entsprechenden Nachweis zu fordern – zum Beispiel eine Ausweiskopie. Das würde zahlreiche Leute, egal ob Troll oder nicht, schon aus Aufwandsgründen davon abhalten, sich anzumelden. Gleichzeitig würde eben jener Aufwand für den Betreiber vor allem bei einer größeren Community kaum noch zu stemmen sein. Und dann würde ein solches Vorgehen bislang ungeklärte, datenschutzrechtliche Fragen aufwerfen.

Scheinlösung

Das hat freilich zwei Online-Medien nicht davon abgehalten, ihre Foren auf Klarnamenpflicht umzustellen. Neben Profil.at (wo keine Prüfung der Klarnamen auf Echtheit stattfindet) ist dies seit kurzem auch oe24.at, das Online-Portal des periodischen Druckwerks „Österreich“. Ich habe dort 2011 rund vier Monate lang gearbeitet, damals wie heute gab es dort keine besonders große Lesercommunity und Kommentare unter Artikeln fanden sich fast ausschließlich unter den größten Geschichten.

Nun, da die Nutzer aufgefordert werden, ihren Echtnamen einzugeben, ist der Kommentarbereich gänzlich tot. Bei einer kurzen Durchsicht der Meldungen in der Konsole (jene Storys, die mit einem großen Bild gefeatured werden) fand ich insgesamt drei Kommentare, die inhaltlich in die Kategorie „völlig“ belanglos fielen.

Dass nicht mehr wie einst das eine oder andere problematische Posting durchrutscht, hat aber freilich nichts mit der Klarnamenpflicht zu tun, sondern mit der im Zuge der Umstellung eingeführten manuellen Moderation. Jedes Posting auf oe24.at wird nun vor der Veröffentlichung nach „internen Kommunikationsrichtlinien“ gesichtet, erklärt oe24-Chefredakteur Niki Fellner bei Extradienst.

Im Klartext: Die Eingabe des Namens, den man sich mangels Kontrollmechanismus weiterhin frei erfinden kann, ist nur Makulatur. Denn auch pseudonyme Postings kann man vorab moderieren.

Doppelmoral

Eine gehörige Portion Doppelmoral zeigt sich dann beim Blick auf die Facebookseite von oe24. Dort fordert ein Nutzer unter anderem Arbeitslager für zwei Frauen, die eine 20-Jährige in der U-Bahn überfallen haben sollen. Ein anderer ergänzt, dass es von diesen Lagern eh genug gäbe und sie nur reaktiviert werden müssten. Wieder ein anderer ist der Ansicht, beide Frauen sollten doch dazu verpflichtet werden, im Flüchtlingslager Traiskrichen „im Mini Rock und ohne höschen“ [sic!] Reinigungsarbeiten zu erledigen.

Ihre Kommentare sind seit mittlerweile fünf Tagen online und nur die Spitze des Eisbergs. Bei oe24 hat man bislang offenbar keine Notwendigkeit zum Eingreifen gesehen. Zumindest zwei der drei Autoren dürften auf Facebook übrigens nicht mit ihrem echten Namen unterwegs sein, obwohl das Social Network die Verwendung von Pseudonymen untersagt.

Diskussion zum Artikel "U-Bahn-Schlägerinnen stellen sich" auf der oe Facebookseite (aufgenommen am 07.09.2014 um 13:40 Uhr)
Diskussion zum Artikel „U-Bahn-Schlägerinnen stellen sich“ auf der oe Facebookseite (aufgenommen am 07.09.2014 um 13:40 Uhr)
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