Es ist eigentlich ein Fehler, nach einem Terroranschlag über die Opfer und ihre Arbeit zu diskutieren. Man läuft allzu leicht Gefahr, ihnen dadurch eine Provokation und damit eine Teilschuld zu unterstellen, obwohl diese nur bei den Tätern zu suchen ist. Aber es wird derzeit über die Arbeit von „Charlie Hebdo“ gesprochen und das teilweise auf eine Art, die man nicht unwidersprochen stehenlassen kann.

Zum Beispiel wird die Art der Satire des Magazins mehr oder weniger zu Bürgerpflicht erhoben. So mancher wirft es Medien nun als Solidaritätsverweigerung oder Mutlosigkeit vor, wenn sie beispielsweise keine „Mohammed-Karikaturen“ abbilden. Man instrumentalisiert damit die Pietät um die Opfer des Anschlags dafür, einen anderen Ton von der Medienlandschaft einzufordern. Die deutsche Qualitätszeitung FAZ lässt in ihrem Feuilleton etwa den US-Korrespondenten die „tantenhaften“ dortigen Qualitätsmedien kritisieren. „Sie müssen ihrem Publikum erklären, was es mit ‚Charlie Hebdo‘ auf sich hat, dem Organ einer satirischen Militanz, für die es in der amerikanischen Medienlandschaft kein Pendant gibt“, schreibt Patrick Bahners.

Der FAZ-Autor fragt: „Hätte [die New York Times] ihre viktorianischen Sprachregelungen nicht suspendieren können, um zu dokumentieren, was in Paris geschehen ist?“. Aber was in Paris passiert ist, war ja nicht die Satire, sondern ein Terroranschlag. Man kann die Satire freilich nicht gänzlich aus dem Geschehen blenden. Schließlich gehört sie wahrscheinlich zum Motiv der Attentäter. Aber wie man als Medium darauf verzichten darf, Videos von den schrecklichen Morden zu zeigen, darf man auch darauf verzichten die Karikaturen nachzudrucken. „Dass die wahre Obszönität der mörderische Fanatismus ist, wird so verleugnet“, behauptet Bahners und mir fehlt jedwede Begründung dafür. Gerade wenn man die Aufmerksamkeit nicht auf die Karikaturen richtet, bleibt doch nur die Barbarei des Terrors und das Entsetzen darüber übrig.

Sehen wir davon ab, dass es ein geradezu absurder Vorwurf an ernsthafte Zeitungen wie die „New York Times“ oder die „Washington Post“ ist, dass diese andere redaktionelle Entscheidungen als ein Satire-Magazin treffen. Warum sollte ein Medium, das vorher entschieden hat, nicht die durchaus gar nicht so ungewöhnlichen Gefühle der muslimischen Bevölkerung verletzen zu wollen, nun verpflichtet sein, das anders zu handhaben? Insbesondere weil gerade diese Reaktion durchaus im Interesse der Terroristen liegen könnte? Nun besonders aggressiv auf religiösen Gefühlen einer Minderheit herumzutrampeln, deren Mitglieder für die Tat auch nichts können, könnte sie von der Gesellschaft entfremden. Extremisten hätten ihre Freude damit, die Abtrünnigen dann für den Kampf gegen diese Gesellschaft zu rekrutieren.

Mit der spontanen „Je suis Charlie“-Kampagne haben Medien und Öffentlichkeit ein wichtiges und schönes Zeichen gesetzt. Aber die meisten Menschen haben das getan, weil es keine Rechtfertigung für Gewalt wie diese geben kann, weil man Mitgefühl mit den Opfern und ihren Angehörigen hat und die offene Gesellschaft sich davon aus guten Grund in ihrer Gesamtheit angegriffen fühlt. Dass nun alle ein gleichgeartetes Satiremagazin gründen wollen, ist damit nicht gesagt.

PS: Es widerspricht der Pressefreiheit zwar nicht direkt , aber es birgt doch etwas Ironie, wenn man sie dadurch verteidigen will, indem man von jedem Medium nun dieselbe Art und Tonalität der Berichterstattung einfordert.

PPS: Der FAZ-Korrespondent kann sich auch einen Seitenhieb nicht ersparen, den ich irgendwo zwischen Selbstherrlichkeit und einer Spur Antiamerikanismus verorte. Er betitelt diesen Kommentar mit „Für Satire ist in Amerika kein Platz“. Charlie-Hebdo-ähnliche Satiremagazine seien dort Vergangenheit, heißt es. Dabei sollte man bedenken, dass „Charlie Hebdo“ als kleines Magazin mit einer Auflage von ein paar tausend Stück auch nicht gerade exemplarisch für die europäische Mainstream-Kultur stehen kann.

Ob es ein solches nicht auch irgendwo in den Staaten gibt, weiß ich nicht. Aber Satire findet man in den USA jedenfalls auch in viel größerem Stil: Den bissigen Episoden der Zeichentrickserien South Park fehlt in Aggressivität kaum etwas auf Magazine wie Titanic oder Charlie Hebdo und diese Satire wird ausgerechnet im biederen deutschen Qualitätsfeuilleton allenfalls verkannt. Man findet sie dort in den entlarvenden Berichten von halbnachrichtlich-halbsatirischen Late Night Shows und gelegentlich mehr oder weniger gelungen in Kinofilmen. Aber es gibt sie eh auch in genau dafür gedachten Magazinen wie The Onion. Natürlich unterscheidet sich diese Satire von Charlie Hebdo großteils. Sie ist in manchen Themen aggressiver, in anderen zahmer, greift anderen Themen auf. Das liegt daran, dass es erstens keinen Einheits-Leitfaden für richtige Satire gibt und es zweitens auch andere kulturelle Rahmenbedingungen und Diskurse gibt.

Fotocredit: Dennis Skley, CC2.0 BY-ND – Bildtitel: „Digitales Leben 36/365“

Interessant oder? Teile das doch mit deinen Freunden!