Petra hat mich schon lange gedrängt, so eine Liste zu schreiben. Und Andi hat dann kürzlich tatsächlich auch sowas geschrieben. Und dann passt es auch noch hervorragend zu unserer aktuellen Umfrage, die erste Daten über Podcast-Hörer in Österreich erhoben hat. Deshalb beuge ich mich dem Druck und tue es jetzt auch: Ich verrate euch, welche Podcasts ich höre (und demnach, welche ihr auch hören solltet).
Podcasts für Fußball– oder Gaming-Themen fehlen in dieser Liste, weil ich separate Empfehlungen dafür auf meinen passenden Blogs Ballverliebt.eu und Rebell.at (hier geht es schon zur Gaming-Pocast-Liste) schreiben möchte. Dort betreibe ich übrigens selbst seit einiger Zeit Podcasts (Ballverliebt,Rebell).
Also: Was solltet ihr hören?
1. This American Life
Der absolute Klassiker und die absolute Pflichtadresse unter den Podcasts. Jede zweite Woche (dazwischen wird immer eine ältere Episode aus den zwei Jahrzehnte zurückreichenden Archiv ausgespielt) nimmt sich die Sendung von Moderator Ira Glass ein grobes Thema vor und behandelt es normalerweise mit einer Handvoll unterschiedlicher Geschichten. Das können großartige Reportagen sein, literarische Kurzgeschichten, persönliche Erzählungen oder Interviews. Ihnen gemein ist, dass sie handwerklich hochwertig gemacht sind und mit narrativem Geschick allerlei emotionale Trigger berühren. Gelegentlich nimmt man sich auch eine ganze Sendung Zeit, um ein wichtiges Thema genau auseinander zu nehmen. Die inhaltliche Vielfalt und durchghende Qualität von TAL sind unerreicht.
2. Radiolab & More Perfect
Jad Abumrad und Robert Krulwich behandeln in Radiolabs Mischung aus Talk und Interviews über naturwissenschaftliche und philosophische Themen. Hochspannend gemacht und so aufbereitet, dass auch Leute den Sendungen folgen können, die vom jeweiligen Wissenschaftszweig keine Ahnung haben. Was Radiolab von vielen Podcasts unterscheidet ist außerdem das außergewöhnliche und hochwertige Sounddesign (Abumrad ist immerhin experimenteller Musiker). Eine ganz neue Abkoppelung von Radiolab ist „More Perfect“ – eine Miniserie in denen sich die Macher mit wichtigen historischen Fällen und Entwicklungen beim US-Supreme Court auseinandersetzen.
3. Serial
Der aktuelle Podcast-Boom ist wahrscheinlich vor allem Serial zu verdanken. Das Spin-Off von This American Life dreht das Prinzip der Muttershow quasi um: Statt sich wöchentlich mit mehreren Geschichten einem Thema zu widmen, nimmt Serial über viele Wochen nur eine große Geschichte auseinander. In der ersten Staffel machte Moderatorin Sarah Koenig das Internet mit einem von Zweifeln umwobenen Kriminalfall verrückt, im zweiten Jahr versuchte sie dem Publikum den kuriosen Fall des US-Soldaten Bowe Bergdahl näher zu bringen, der eines Tages plötzlich von seiner Basis in Afghanistan spazierte und in Taliban-Gefangenschaft geriet. Die erste Staffel hat vielleicht einen etwas knackigeren Spannungsbogen, die zweite dafür deutlich mehr politische Relevanz. Eine Dritte wird kommen, Zeitpunkt und Thema sind noch unbekannt.
4. Planet Money
So muss Wirtschaftsjournalismus! Niemand hat vor This American Life so großartig und verständlich die Finanzkrise von 2008 erklärt. Aus einer preisgekrönten Show, in der sie das taten, ging in der Folge „Planet Money“ hevor. Das ist ein etwa 15-20 Minuten langer Wirtschafts-Podcast, der immer versucht konkrete Beispiele zu finden, um hochgestochene Konzepte verständlich zu machen. Etwa wurden Konzepte der Globalisierung erklärt, indem Planet Money eine Kickstarter-Kampagne startete, in denen Hörer sich Planet-Money-T-Shirts kaufen konnten. Die Journalisten begleiteten dann mit den Erlösen die Herstellung und Transportwege der Kleidungsstücke in Geschichten über den Globus. Gelegentlich führen die Themen die Reporter auch nach Europa und erklären etwa Euro-Krise, Brexit oder Probleme mit spanischen Banken.
5. The Moth
Der emotionalste Podcast, den ich kenne. Der „The Moth“-Podcast ist eine Best of-Sammlung an tatsächlich passierten Kurzgeschichten aus dem Leben von Menschen, die diese selbst live bei Storytelling-Events erzählen. Das kann zwischen urkomischen Erlebnissen, alltäglichen Anekdoten mit Aha-Moment, strangen WTF-Geschichten und unerträglich traurigen Erfahrungen alles sein. Ich weiß gar nicht, wie oft ich schon in der U-Bahn eine Träne rausgedrückt oder im Zug unkontrolliert losgelacht habe.
6. Hardcore History & Common Sense
Eine meiner ersten Podcast-Entdeckungen war der manchmal etwas eigenwillige Dan Carlin. Der Amerikaner mit Talk-Radio-Vergangenheit nimmt in „Hardcore History“ die Weltgeschichte auf spannend erzählte Weise ins Auge und führt gekonnt durch Passagen, für die ihr euch in der Schule nie begeistern konntet. Früher tat er das öfter in kürzeren Sendungen, in denen er schonmal über die Auswirkungen von Drogen und Alkoholismus auf die wichtigsten Figuren der Weltgeschichte sprach, mittlerweile gleicht jede Veröffentlichung einem halben Audiobuch. In „Common Sense“ spricht er in längeren Monologen über die aktuelle US-Politik und hat dabei einen eher libertären aber nicht dogmatischen Einschlag. Für mich hat sich das als ganz guter Lieferant von Gedankenanstößen bewährt.
7. Invisibilia
Alix Spiegel, Lulu Miller und Hanna Rosin berichten über „unsichtbare“ Einflüsse auf unser Leben. Heraus kommen dabei faszinierende Geschichten, wie die einer Frau, die nach langer Verwunderung über die unlogische Welt plötzlich herausfindet, dass sie an Asperger leidet. Oder die Frau, die tatsächlich alles spürt, was sie bei anderen Menschen sieht. Oder der blinde Junge, der mit einer Art antrainiertem Sonar mit Klicklauten seinen Sehsinn großteils ersetzen konnte. Die Hosts haben bei Radiolab und This American Life Erfahrung gesammelt und verstehen dementsprechend etwas von ihrem Handwerk.
8. The Axe Files
David Axelrod, der ehemalige Kampagnenleiter von Barack Obama und dementsprechend hervorragend vernetzte Host der Show, führt ausführliche Gespräche mit Personen aus US-Politik und -Medien (etwa mit Anderson Cooper, Mark Leibovich, Ben Rhodes, Mitt Romney oder Bernie Sanders), in denen er ihr Leben und aktuelle Ereignisse bespricht. Das ergibt offen wirkende Gespräche und dementsprechend faszinierende Einblicke in eben diese Bereiche. Zzumindest einmal war das auch mehr als Axelrod vielleicht lieb war – als er nämlich in einem Livegespräch von Late-Night-Ikone Jon Stewart knüppelhart von Interviewer zum Interviewten gemacht wurde.
9. Here’s the thing
Ein Interview-Podcast von Schauspieler Alec Baldwin, der in seiner unvergleichlichen Stimme mit allerlei Persönlichkeiten (oft aber nicht immer wie Baldwin im Showbusiness beheimatet) über ihr Tun und Denken spricht.
10. On the Media
On the Media ist ein Podcast über Medien- und Meinungsfreiheitsthemen aus New York.
11. 99 Percent Invisible
Ein Podcast über Design und Architektur und ihre vermeintlich unsichtbaren Auswirkungen auf unser Leben. Das klingt abstrakter, als es ist, weshalb auch ich ein paar Anläufe gebraucht habe, um tatsächlich mal reinzuhören. Aber das lohnt sich. Tatsächlich geht es um Dinge wie Sigmund Freuds Couch (warum nicht einfach ein Sessel?), den Sound von Sportübertragungen oder wie Hostile Architecture unser Leben beeinflusst.
12. Welcome to Mars & Hollingsville
Eigentlich sind Ken Hollings und Spreeblick ja schuld daran, dass ich so Podcast-vernarrt bin. Es war das Berliner Blog, dass mich 2008 auf Hollings‘ „Welcome to Mars“ hingewiesen und damit in gewisser Weise mein Leben verändert hat. Seit dieser 12-teilige Podcastserie des britischen Journalisten gehe ich viel mehr und viel lieber zu Fuß, stets mit einem Podcast im Ohr. „Welcome to Mars“ (eine Website gibt es nicht, die Folgen bekommt man im Web aber noch) ist eine wilde, obskure, zeitgeschichtliche Reise durch die USA nach dem Zweiten Weltkrieg die von der Entstehung der Suburbs bis zu Militärexperimenten mit Drogen eine Menge interessantes Zeug in einer schwer fassbaren, aber faszinierenden Struktur behandelt. Wichtig ist hier auch gekonntes Sounddesign. Kurz vor dem Ende der Produktion von „Hollingsville“, einer nicht minder faszinierenden Mischung aus Essays und Interviews, ist der Journalist leider erkrankt und während seiner langwierigen Genesung habe ich nur sporadisch kürzere Beiträge von ihm im BBC-Radio mitbekommen.
13. Note to Self
Manoush Zomorodi erkundet die Auswirkungen von Technologie auf unser Leben und versucht gelegentlich, Gegenstrategien zu unerfreilichen Entwicklungen aufzuzeigen.
14. Embedded
Es passiert leider öfters, dass Dinge, die heute noch wie eine skandalgetränkte Wildsau durchs Mediendorf getrieben werden, morgen schon keine Aufmerksamkeit mehr bekommen. „Embedded“ ist ein Ansatz von Slow Journalism, der versucht bei solchen Themen nachzuhaken und tiefer zu gehen – also auch Menschen die sonst nur in Statistiken vorkommen eine Stimme und eine erzählte Geschichte zu geben.
15. New Yorker Radio Hour
Der große New Yorker produziert eine wöchentliche (eigenständige) Radioshow mit Interviews und Reportagen über ein breites Themenspektrum.
16. There Goes The Neighborhood
Ein spannendes Projekt von Lokaljournalismus. Das Magazin The Nation hat mit „There Goes The Neighborhood“ versucht, die Gentrifizierung von Brooklyn zu beleuchten. Das wurde so gemacht, dass es nicht nur für den New Yorker Bezirk relevant ist, sondern für das Gentrifizierungsthema vor allem in den USA im Allgemeinen.
17. Freakonomics
Freakonomics durchforstet spröde Daten nach spannenden Geschichten und führt Interviews dazu.
18. Stuff You Should Know
Zwei Typen erklären irgendwie alles.
So, da habt ihr es. Diese 21 Podcasts werden euch jede Wartezeit, jede Reise, jede Öffi-Fahrt, jedes Kochen, jedes Laufstrecke und jedes Zufußgehen versüßen. Euer Leben wird einfach besser. Gern geschehen.
Wie ihr sicher gemerkt habt, sind meine Beispiele allesamt englischsprachig. Das ist vor allem eine Vorliebe von mir, die ich euch selbst nicht ganz erklären kann. Ich schaue meine Serien und Filme am Liebsten auf Englisch, lese meine Bücher am Liebsten auf Englisch und höre eben auch meine Podcasts am Liebsten auf Englisch. Es liegt darüber hinaus sicher auch daran, dass die Szene im deutschsprachigen Raum etwas jünger ist und ich interessante Projekte, die es vielleicht gibt, großteils noch nicht kenne (im Games- und Fußballbereich schon, aber die fehlen ja in dieser Liste).
Und Österreich?
Auch wenn große Medienhäuser den Trend mal wieder so lange abzuwarten scheinen, bis der Markt schlussendlich schwierig sein wird, gibt es auch in Österreich spannende Projekte abseits der ORF-Radios. Ich möchte jetzt niemanden wegen Nicht-Nennung kränken und die heimische Szene rechtfertigt vielleicht einmal eine eigene Liste. Exemplarisch nenne ich aber (neben nochmal schamloser Eigenwerbung für den Gamingpodcast von Rebell und Fußballpodcast von Ballverliebt) den Zeitsprung-Podcast von Daniel Meßner (auch weil der mir dankenswerterweise einst am Mediencamp den finalen Anstoß gab, selbst mit dem Podcasten zu beginnen) und Richard Hemmer. Zeitprung glänzt mit knackigen, dialogisch erzählten Anekdoten aus der Geschichte. Wer sich selbst fürs Podcasten interessiert, sollte mal beim Podcast Meetup in Wien vorbeischauen, wo man andere Projekte kennenlernen kann und ein extrem freundlicher Teil der hiesigen Szene gerne sein Wissen austauscht. Soweit ich helfen kann, tu ich das auch gerne.
Titelbild: Glauber Barreto, CC2.0 BY-NC