Österreich wählt in einer Woche und seit Wochen verdrängt die Affäre rund um Tal Silberstein und Peter Puller jegliche relevante Debatte über Sachpolitik. Es ist nicht lange her, da habe ich bereits erwähnt, dass mir der Wahlkampf gewaltig auf den Allerwertesten geht. Entgegen meiner Erwartung war mein Frustrationslevel sogar noch steigerungsfähig.
Aber egal: Wer seine Wahlkarte erst noch ausfüllen muss oder am 15. Oktober sein Kreuzerl in der Wahlkabine setzt, möchte es vielleicht taktisch angehen. Daher hier ein Guide für alle Wähler, die sich selbst dem gesellschaftspolitisch liberalen Spektrum zuordnen. Darunter verstehe ich hier nach meinem Dafürhalten vernünftige Einstellungen – also das Begreifen einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft als Chance, Solidarität gegenüber Mitmenschen in schwierigen Lebensumständen und die sonstige Litanei, die in rechten Kreisen gerne als „Gutmenschentum“ oder „links“ subsummiert wird.
Also, hier ein How-to-Guide: Wie wählt man heuer taktisch vernünftig?
KPÖ wählen ist taktisch unklug
Dazu gilt es zuerst die Frage zu beantworten, was denn überhaupt damit bezweckt werden soll. Das lässt sich einfach sagen: Entweder eine Regierungsmehrheit links der Mitte oder zumindest eine starke Opposition gegen eine rechte Regierung.
Taktisch wählen bedeutet auch, dass man nicht unbedingt die Partei ankreuzt, die einem inhaltlich am allernächsten steht. Das gilt insbesondere für jene Gruppierungen, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an der Vier-Prozent-Hürde scheitern werden. Heißt: zum Beispiel KPÖ Plus zu wählen (um die relevanteste dieser Kleinparteien zu nennen) ist nicht sinnvoll. Denn Stimmen für Parteien, die es nicht ins Parlament schaffen, stärken proportional die bei der Wahl stärksten Fraktionen. Das wären also sehr wahrscheinlich ÖVP, FPÖ und die SPÖ.
Eine „starke“ SPÖ ist rechnerisch nicht notwendig
Wer eine „linke“ Regierung oder starke Opposition will, braucht natürlich gar nicht erst an eine Stimme für FPÖ oder ÖVP zu denken, ist aber auch bei der SPÖ schlecht aufgehoben. Hier mag man einwerfen, dass man ja eine stimmenstarke Fraktion möchte, um vor allem der FPÖ etwas entgegen zu setzen. Das ist allerdings Blödsinn.
Es ist es mathematisch ziemlich egal, ob man nun SPÖ, Grüne, Neos oder Liste Pilz wählt. Die stimmenstärkste Partei (die die SPÖ ziemlich sicher nicht wird) erhält zwar normalerweise zuerst den Regierungsbildungsauftrag, letztlich muss aber eine Mehrheit geschaffen werden. Das geht – wir erinnern uns an Schwarz-Blau im Jahr 2000 – auch ohne dem eigentlichen Wahlsieger. Und dafür wäre es grundsätzlich auch sinnvoll, wenn alle gesellschaftsliberal ausgerichteten Parteien, die in den Umfragen nahe der Vierprozent-Hürde liegen, den Einzug schaffen. Dass Grüne, Pilz und Neos jeweils wenigstens 4,0 Prozent schaffen, ist wichtiger als drei Prozent mehr oder weniger bei der SPÖ.
Die Wahl wird den roten Richtungsstreit nicht lösen
Außerdem ist eine Stimme für die SPÖ längst keine Stimme für „linke“ Politik mehr. Die Partei fährt spätestens seit der Faymann-Ära einen ideologischen Schlenkerkurs und blinkt ständig in beide Richtungen. Für jede gut klingende Ansage von Kanzler Kern findet man angstmachendes Sicherheitsgetrommel von Doskozil.
Der Richtungsstreit und damit die künftige Orientierung der SPÖ könnte sich aber bald entscheiden – allerdings nicht aufgrund der Wahl, sondern infolge der anstehenden Nachfolgeregelung für Michael Häupl in Wien. Schneidet die SPÖ am kommenden Sonntag besser ab, als erwartet, kann praktisch jeder beliebige Proponent der Partei den Erfolg für sich reklamieren. Wenn man keine eindeutige Haltung hat, ist es schwer, zuzuordnen, für welche Aussagen und Handlungen man nun belohnt oder bestraft wird.
Die SPÖ mag zwar (mangels Alternativen) der einzige logische „Senior Partner“ für eine „linke“ Regierungskonstellation sein, gleichzeitig ist aber Rot-Blau auch nicht auszuschließen, so es sich rechnerisch ausgeht. Im Burgenland existiert diese Variante bekanntlich schon. Sie ist viel mehr als eine reine Drohkulisse, um eventuell gegenüber der ÖVP mehr Verhandlungsspielraum zu haben, sollte der unwahrscheinliche Fall von Koalitionsverhandlungen mit der Volkspartei eintreten.
Sinnvoll: Ein Kreuz bei Grün, Pilz oder Neos
Womit taktischen Wählern das Trio Grüne, Pilz und Neos zur Auswahl bleibt. Die einen setzen auf einen stärkeren Fokus auf Klimapolitik und europäische Zusammenarbeit, die zweiten arbeiten sich an Korruptionsbekämpfung und Sicherheitspolitik ab und die dritten bieten neben modernen gesellschaftspolitischen Standpunkten eben auch eine ausgeprägt liberale Wirtschaftsagenda.
Es gibt also eine Auswahl für beinahe jeden Geschmack. Und damit auch keine Ausrede, daheim zu bleiben oder „weiß“ zu wählen.
Ein PS im Sinne der Transparenz: Ich habe bereits per Wahlkarte gewählt – zu sehen im Beitragsbild – und mein „X“ bei den Grünen gemacht.
PPS: Kollege Tom war vor vier Jahren übrigens gegen taktisches Wählen. Warum, lest ihr hier.