Ein Autor namens Markus Hibbeler hat auf der Plattform „Fisch und Fleisch“ etwas zu Flüchtlingen gepostet. Anlassfall ist eine mutmaßliche Vergewaltigung in einem Schwimmbad im deutschen Norderstedt. Unter dringendem Tatverdacht stehen zwei in Polizeigewahrsam befindliche Afghanen. Dieser Text regt mich auf, denn er liefert in konzentrierter Form jene Simplifizierungen, Unwahrheiten, Klischees und Stimmungsmache, deren Folge sich tagtäglich auf Facebook und unter Artikeln zu den Folgen der Syrienkrise nachlesbar ist. Und er enttarnt „Fisch und Fleisch“ als Medium, das sich mutwillig und hinter dem Schutzschirm der „Meinungsplattform“ als Brandbeschleuniger für derlei Entwicklungen betätigt.
„Wenn der Krieg ins Spaßbad kommt“, betitelt Hibbeler sein Werk. Eine Zusammenfassung möchte ich an dieser Stelle nicht liefern, um den Text nicht versehentlich zu verzerren (lest ihn daher bitte selber, auch wenn ich F+F diese Klicks nur ungern beschere). Nun aber zu meiner Kritik an dem Geschriebenen und der Seite, die selbiges munter durch den Facebook-Äther schießt.
Die Einzelfall-Frage
Hibbeler ist der Ansicht, man dürfe nicht mehr von Einzelfällen sprechen. Das sehe ich anders. Denn wann ist ein Einzelfall kein Einzelfall mehr? Wenn die Summe seiner Fälle ähnliche Merkmale aufweist und statistisch zuverlässig einer in sich organisierten, strukturierten sowie halbwegs homogenen Gruppe zugeordnet werden kann. Lässt sich das per se für alle Afghanen behaupten? Nö. Für alle Flüchtlinge? Erst recht nicht.
Die allermeisten von ihnen sind unauffällig, dementsprechend wissen wir nichts über ihre Einstellungen. Und diese Einstellungen pauschal aus der Gesetzeslage oder den gesellschaftlichen Zuständen in manchen Regionen eines Landes abzuleiten ist kein zuverlässiges Mittel. Mitunter fliehen ja Leute genau deswegen, weil sie ihr Leben mit den rechtlichen oder gesellschaftlichen Umständen nicht vereinbaren können oder deswegen gar in lebensgefährliche Bedrängnis geraten.
Daraus folgt: Ja, es sind Einzelfälle. Ja, selbstverständlich sind sexuelle Übergriffe moralisch verwerflich und ja, natürlich sind sie auch rechtsstaatlich zu behandeln.
Was ist Hetze?
Nächstes Problem: Niemand, der dafür ist, Flüchtlinge aufzunehmen, würde von „Hetze“ sprechen, wenn eine Vergewaltigung als solche benannt wird. Diese Andeutung ist genauso blödsinnig wie die Behauptung, alle, die für „Refugees welcome“ einstehen, würden per se jeden Flüchtling zu einem unschuldigen Engel erklären. Das war nie der Fall, sondern immer ein am rechten Rand angekurbelter Spin, auf den auch so mancher sonst seriöser Kommentator hereingefallen ist.
Hetze ist es nicht, Straftaten auch so zu nennen. Hetze ist es, aus den Taten Einzelner eine kollektive Schuld zu stricken. Nicht umsonst wurde das Konzept der Sippenhaftung in modernen Rechtsstaaten durch die Bewertung und Verurteilung individueller Schuld ersetzt. Doch genau diese Sippenhaftung wendet Hibbeler an, wenn er freimütig erklärt, Flüchtlinge aus Nordafrika und Afghanistan würden allesamt inkompatible Wertvorstellungen importieren und wären niemals integrationsfähig.
Was im Text dann folgt ist eine extrem simplifizierte Darstellung des Syrienkonflikts, die sich an die anti-imperialistische Deutung des Weltgeschehens anlehnt. Garniert mit einer nicht belegten Aussage zur Sicherheitslage – die sich jedoch nicht auf Basis von Einzelfällen einschätzen lässt.
Sehnsucht nach der Apokalypse
Der Text liefert damit auch die übliche apokalyptische Grundstimmung, die Boulevardblätter, Verschwörungsblogs und rechte Radaumedien gerne heraufbeschwören. Deutschland steht angeblich vor dem Untergang, obwohl es keine Daten gibt, die das belegen. Niemand mag Merkel, obwohl laut dem Spiegel bzw. der ARD ihre Beliebtheitswerte gerade wieder stark steigen.
Bietet der Text irgendeine Lösung an? Nein. Wie sollte er auch. „Grenzen dicht“ wurde von rechten Schreihälsen eh schon tausendmal gefordert und das Ergebnis, so sieht man am Balkan, ist eine Vervielfachung des Leids – auch für das EU-Mitglied Griechenland, das im Gegensatz zu anderen Ländern tatsächlich am Ende seiner Ressourcen ist.
Tja, und vorab aussieben lassen sich die guten von den bösen Flüchtlingen eben nicht. Ob jemand jetzt der friedlichen Mehrheit angehört oder tatsächlich ein frauenverachtendes Arschloch ist, steht niemandem auf die Stirn geschrieben.
Fisch und Fleisch, ein Polarisierungs-Katalysator
Ein paar Worte zu Fisch und Fleisch, oder wie man es dort als Hashtag-Slogan formuliert: #jetztich. Hier scheinen mittlerweile bewusst polarisierende Beiträge gestreut zu werden, um die Klickrate zu steigern. Und mit „polarisierend“ ist nicht gemeint, dass es sich um generell kontroverse, aber sachlich argumentierte Meinungen handelt. Sondern oft genug um undurchdachte bis naive Perpetuierung von Klischees und Pauschalisierungen – wie in diesem Fall.
Dabei scheint man sich auch noch zu fühlen, als würde man einer aufklärerischen Sache dienen. Hibbeler behauptet, nur die Bild hätte zuerst über den Vorfall berichtet. Allein unter dem Suchbegriff „Norderstedt“ finden sich unter Google News nicht nur der in einer Headline noch mit einem Fragezeichen versehene Text („Zwei Mädchen in Erlebnisbad vergewaltigt?“) vom späten Montagnachmittag, sondern auch Dutzende andere Berichte vom folgenden Vormittag, als die Lage sich langsam aufklärte.
Hibbeler impliziert zu Unrecht, das irgendwas verschwiegen wurde. Und „Fisch und Fleisch“ erklärt, wohl auf die absehbaren Klickraten auf Facebook schielend: „Nun denn, dann lasst uns auch darüber berichten. Wir teilen den Beitrag heute noch auf FB!“. Das war übrigens nachdem viele deutsche Medien den Vorfall bereits thematisiert hatten.