Als Journalist ist man tagtäglich so allerlei Entbehrlichkeiten ausgeliefert. Neben nichtssagendem PR-Spam im Posteingang ist der APA-OTS-Channel wohl eine der ergiebigsten Quellen für Nonsens. Österreichs Parteien erweisen sich als besonders eifrig darin, Seltsamkeiten über diesen Verteiler zu jagen. Unvergessen in dieser Diszipin ist meines Erachtens nach das Elaborat von FPÖ-Pressesprecher Karl Heinz Grünsteidl zur „intellektuell hinterfragbaren Fellner-Presse“, „Gen-Experimenten“ und Cola light.
Doch die ÖVP schickt sich nun an, ganz vorne in der Liga der OTS-Flegeleien mitzuspielen. Und zwar mit einer Aussendung ihres Generalsekretärs Peter McDonald. Aber gehen wir den Text einmal durch.
Die Aktivistin in Idomeni
„Idomeni-Aktivistin: McDonald fordert Aufklärung und Distanzierung von Grünen und Van der Bellen“, lautet der Titel. Die OTS bezieht sich anscheinend auf einen Artikel der „Krone“ über eine Aktivistin, die in Idomeni, wie auch eine Reihe von Journalisten, temporär festgenommen wurde und vor einiger Zeit noch für die Bildungswerkstatt der Grünen in Wien gearbeitet haben soll.
Interessant dabei: Die Krone stellt den Zusammenhang zu den Grünen in der Überschrift her, relativiert dies aber bereits in der Einleitung wieder – dort ist sie „möglicherweise Parteimitglied der Grünen“. Später (ob vor oder nach Versand der ÖVP-OTS, ist mir nicht bekannt) wurde eine Stellungnahme der Grünen ergänzt, welcher nach es sich bei der Frau nicht um ein Parteimitglied handelt, Überschrift und Vorspann blieben jedoch unverändert.
Was die Aktivistin, die beruflich als Fotografin tätig ist, in Idomeni getan hat und ob sie in Zusammenhang mit einem Brief steht, der den Abmarsch tausender Flüchtlinge in Richtung mazedonischer Grenze mit verursacht haben soll, ist nicht bekannt. Im Vorfeld dieses Marsches* sind drei Refugees bei einer Flussüberquerung ertrunken, was entsprechend für Schlagzeilen gesorgt hat. In der Tat ist der Brief, der die Bewohner des Elendslagers mit Falschinformationen wohl zum Verlassen desselben animieren sollte, zu kritisieren.
Seltsames Distanzierungsverlangen
Auch die ÖVP-Aussendung spricht von einer „offenbar grünen Aktivistin“ und geht sogleich auf die Todesfälle ein. „Wenn Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden, nur um eine Schlagzeile zu landen, ist das ein Skandal sondergleichen“, lässt sich McDonald zitieren. Soweit, so richtig. Skurril wird es allerdings im Folgesatz: Dort fordert man eine „rasche Aufklärung“ und will eine „dringend gebotene“ Distanzierung der Grünen und des „grünen Präsidentschaftskandidaten“ Alexander van der Bellen. Und übernimmt damit auch den begonnenen Spin am Ende des „Krone“-Artikels.
Das wirft einige Fragen auf. Dass van der Bellen offiziell als parteifreier Kandidat antritt, der aus dem Support durch die Grünen kein Hehl macht, kann einem ÖVP-Generaldirektor in der Sorge um die definitiv ausbaufähigen Umfragewerte des eigenen Kandidaten (Andreas Khol) vielleicht noch entgehen.
Eine Forderung nach einer Distanzierung von einer „offenbar grünen“ Aktivistin, deren Tätigkeit in Idomeni bislang nicht aufgeklärt ist von einem Präsidentschaftskandidaten fällt dann schon in die Kategorie „ziemlich große Verzweiflung“. Man muss sie – jedenfalls tue ich das – eigentlich als den zynischen Versuch betrachten, den tragischen Tod der drei Flüchtlinge für politisches Kleingeld auszuschlachten.
Unbenannte Umfragen, plumper Populismus
Der Rest der Aussendung erhärtet den Eindruck. Da wird van der Bellen attestiert der „letzte Vertreter einer grenzenlosen Willkommenskultur“ zu sein (für die Forderung, die Obergrenze auf ihre Kompatibilität zur Genfer Flüchtlingskonvention und EU-Grundrechte zu prüfen), obwohl „78 Prozent der Österreichinnen [sic!] und Österreicher“ den Regierungskurs begrüßen würden. Ad hoc konnte ich keine derartige Umfrage finden, sie wird in der OTS auch nicht benannt.
Dann folgt auch noch eine Dosis plumper Patriotismus. Van der Bellens Kritik erinnert die ÖVP nämlich an die frühen 2000er-Jahre, als er sich „gegen Österreich“ (gemeint ist die damalige ÖVP-FPÖ-Regierung) auf die „Seite der Champagnisierer in Brüssel“ gestellt hätte.
Angesichts dessen, dass die Republik bis heute mit der gerichtlichen und politischen Aufarbeitung der schwarz-blauen bzw. schwarz-orangen Ära beschäftigt ist, tut man sich mit einer Rückblende zur Jahrtausendwende womöglich keinen Gefallen. Dieses Attest gilt aber ohnehin für die komplette Aussendung, für die wohl Steuergeld fällig wurde. Denn der OTS-Dienst der APA ist kostenpflichtig.
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*Ergänzung, 23:40 Uhr: Die Leichen der Flüchtlinge wurden am Montagmorgen entdeckt, es ist nicht klar, inwieweit diese Tode in Zusammenhang mit dem späteren Marsch bzw. dem Brief stehen.